Halbzeit für die Ampel: Zwei Jahre ist die Koalition aus SPD, Grünen und FDP im Amt. Wie haben sich die Ministerinnen und Minister der Bundesregierung geschlagen? Wir teilen Zeugnisse aus.

Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von F. Busch, M. Fischer, L. Kottmann, T. Pillgruber und J. Schultheis sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Am 8. Dezember 2021 ging in Deutschland eine Ära zu Ende und ein Experiment begann: Nach 16 Jahren übergab Angela Merkel das Bundeskanzleramt an Olaf Scholz - und die erste Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP übernahm die Ministerien. Scholz gelobte, man wolle für Aufbruch und Fortschritt sorgen, auch wenn das Land damals noch in der Endphase der Corona-Pandemie steckte.

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Er konnte nicht wissen, dass nur zweieinhalb Monate später ein Krieg in Europa ausbrechen und seine Koalition vor ungeahnte Herausforderungen stellen würde.

Zwei Jahre ist die Ampelkoalition jetzt im Amt – und steckt zur Halbzeit in ihrer schwersten Krise. Die Finanzplanung liegt nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Trümmern, nur einer von vier Deutschen ist noch mit der Regierung zufrieden. Wie haben sich die einzelnen Regierungsmitglieder geschlagen? Unsere Redaktion hat sich jede und jeden von ihnen angeschaut.

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Olaf Scholz (Bundeskanzler)

© dpa/Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopr

Man muss es so sagen: Der Kopf dieser Regierung ist eine ihrer Schwachstellen. Olaf Scholz hat zwar die "Zeitenwende" ausgerufen und den Bürgerinnen und Bürgern einen "Doppel-Wumms" versprochen. Doch wummsige Ankündigungen endeten in der Ampelkoalition immer wieder im Streit, in holpriger Umsetzung oder im Schweigen des Kanzlers. Zur Halbzeit sind die Beliebtheitswerte von Scholz auf einem Tiefpunkt angekommen.

Fraglos ist der Interessenausgleich in diesem Bündnis eine besondere Herausforderung. Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier, sagt: Olaf Scholz führe die Koalition von hinten, indem er in vertraulichen Runden Kompromisse sucht. "Die Wahlbevölkerung wünscht sich aber eine sichtbarere, unmittelbare Führung", so Jun im Gespräch mit unserer Redaktion: "Viele haben nicht den Eindruck, dass Scholz in die Rolle geschlüpft ist, die sie sich von ihm wünschen." Das liege auch daran, dass er die Leitlinien seiner Politik zu wenig erkläre. "Seine Stärke ist das Finden von Kompromissen, er glänzt nicht gerade durch kommunikatives Geschick."

Als Scholz am 8. Dezember 2021 von seiner CDU-Vorgängerin Angela Merkel das Kanzleramt übernahm, wollte er anknüpfen an die "nordostdeutsche Mentaltät": "So viel wird sich da nicht ändern", sagte er über Ton und Stil.

Bei Merkel hatte sich das Land irgendwann an ihre stoische Gelassenheit gewöhnt. Bei Scholz kann man ob seiner demonstrantiven Ruhe im Sturm langsam unruhig werden. (Fabian Busch)

Fazit: Für die Geschichtsbücher reicht das noch lange nicht.

Robert Habeck (Wirtschaft)

© dpa/Britta Pedersen

Zur Halbzeit steht Wirtschaftsminister Robert Habeck an einem Tiefpunkt: Die Wirtschaft lahmt und die Klimapolitik liegt nach dem Haushaltsurteil in Trümmern. Habecks Beliebtheitswerte sind im Keller, was nach Einschätzung von Politikwisschaftler Uwe Jun allerdings auch am Gesamtbild seiner Partei liegt. "Die Grünen werden inzwischen viel ideologischer wahrgenommen. Das hat auch Habeck geschadet."

Dabei hat der einiges vorzuweisen: Der Ausbau erneuerbarer Energien geht voran. Habeck hat Deutschland von seiner Abhängigkeit von russischem Gas befreit. Das sogenannte Heizungsgesetz ist durch. Insgesamt hat die Regierung Maßnahmen beschlossen, die die Lücke zwischen Klimaschutzziel und tatsächlichem Ausstoß bis 2030 von 1.100 Tonnen zu Beginn der Legislatur auf rund 200 Tonnen reduzieren sollen.

Nur ist derzeit eben völlig unklar, was davon realisiert wird. Für Habeck heißt es jetzt: weiterkämpfen. Ohnehin auf der Habenseite steht, dass sich Habeck als Staatsmann profiliert hat. Politologe Jun nennt ihn einen "Erklärer der Politik", dem es meist gelingt, sein Handeln gut zu begründen. Jüngst fand Habeck die richtigen Worte zum Antisemitismus in Deutschland - Worte, die sich viele vom Kanzler gewünscht hätten. (Marie-Christine Fischer)

Fazit: Guter Rhetoriker mit Problemen in der handwerklichen Umsetzung

Christian Lindner (Finanzen)

© IMAGO/photothek/Florian Gaertner

Der FDP-Vorsitzende war mit zwei Prinzipien als Finanzminister angetreten: Mit ihm sollte es keine Steuererhöhungen geben, und die Regierung sollte 2023 zur Schuldenbremse zurückkehren. In Zeiten vieler Krisen (Krieg in der Ukraine, Klimawandel, Inflation, Rezession) war dieser Spagat schnell zum Scheitern verurteilt.

Lindner versuchte, das mit der Schaffung von Sondervermögen und Buchungstricks zu kaschieren. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts stürzte dieses Kartenhaus zusammen. Das Gericht sah die Methode von Lindner und dessen Vorgänger Scholz als verfassungswidrig an. Die Schuldenbremse 2023 ist damit passé, auch wenn Lindner sich erst zierte, das einzugestehen.

Der Politologe Uwe Jun sieht Lindners Problem in seiner "herausfordernden Doppelrolle". Als einziger Minister ist er nämlich gleichzeitig Parteichef. Mehr als andere ist Lindner gezwungen, sich gegenüber der eigenen Basis zu profilieren. Das sorgt für Unmut in der Ampel und offenbar auch beim Wähler. Seine Partei schlittert in Umfragen der Fünf-Prozent-Hürde entgegen – was Lindner weiter unter Druck setzt. Das verheißt für die zweite Halbzeit der Ampel unruhige Zeiten. (León Kottmann)

Fazit: Zu sehr Parteichef, zu wenig Ermöglicher

Annalena Baerbock (Auswärtiges)

© IMAGO/photothek/Thomas Koehler

Zu Beginn musste sich die Grünen-Politikerin abfällige Fragen anhören: Ist sie als relativ junge Frau ohne Regierungserfahrung für das Auswärtige Amt geeignet? Sie hat gezeigt: Ja, das ist sie.

Baerbock verleiht Deutschland in der Welt eine selbstbewusste und empathische Stimme. Ihre entschlossene Haltung gegenüber Russland gefällt nicht jedem, bringt ihr aber auch von CDU-Politikern Respekt ein. Im Nahostkonflikt hält sie die Balance zwischen der Solidarität mit Israel und der Sorge um die humanitäre Lage der Menschen im Gazastreifen. Angesichts der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste im Iran hätten sich gerade viele Frauen von der Feministin Baerbock allerdings deutlichere Worte gegenüber dem Regime in Teheran gewünscht.

Impulsivität und klare Sprache sind Baerbocks Stärken – und zugleich ihre Schwächen. Als sie 2022 in Tschechien sagte, sie werde die Ukraine unterstützen, "egal wie meine deutschen Wähler das finden", erntete sie daheim viel Widerspruch. Ob es taktisch klug war, den chinesischen Präsidenten im US-Fernsehen als Diktator zu bezeichnen, lässt sich ebenfalls bezweifeln. Bisweilen dürfte die Chefdiplomatin ruhig ein bisschen diplomatischer sein. (Fabian Busch)

Fazit: Versierte Chefdiplomatin in unruhigen Zeiten

Nancy Faeser (Inneres)

© dpa/Jan Woitas

Das hatte sich die Südhessin ganz anders vorgestellt: Wäre es nach Nancy Faeser gegangen, würde sie künftig ihr Heimatland als Ministerpräsidentin regieren. Stattdessen wird ihre Hessen-SPD mit historisch schwachen 15 Prozent Juniorpartner der CDU. Und Nancy Faeser? Die bleibt im Bundesinnenministerium – und steht so schwach da wie kaum ein anderes Kabinettsmitglied.

Der breiten Öffentlichkeit dürfte die Ministerin vor allem durch einen Skandal bekannt geworden sein: Faeser soll den hohen Cyber-Beamten Arne Schönbohm zu Unrecht versetzt und sich dabei womöglich unlauteren Mitteln bedient haben. Politisch hat die 53-Jährige die Sache überlebt, in den Augen der Wähler hat ihr Ansehen aber enorm gelitten.

Nun setzt die SPD-Ministerin alles auf eine Karte: Migration. Mit ihrem Gesetzentwurf "zur Verbesserung der Rückführung" schlägt Faeser deutlich härtere Töne in der Asylpolitik an. Kaum ein anderes Thema beschäftigt die Deutschen derzeit mehr. Kann Nancy Faeser hier endlich punkten? Gut möglich. Kann sie ihre Bilanz als Ministerin noch retten? Unwahrscheinlich. (Joshua Schultheis)

Fazit: Über den eigenen Ehrgeiz gestrauchelt

Marco Buschmann (Justiz)

© IMAGO/Chris Emil Janßen

Der FDP-Politiker beweist: Man kann in dieser Koalition auch geräuschlos regieren. Zwar blockiert Buschmann seit Monaten bessere Rechte für Mieterinnen und Mieter. Und mit der Innenministerin liegt er bei der Frage über Kreuz, wie stark der Staat zur Verbrechensbekämpfung in die Kommunikation seiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen darf. Aber das gehört bei einem Justizminister sozusagen zur Jobbeschreibung. Insgesamt ist der Liberale eher eine integrierende Figur in der Ampel.

Buschmann ist mitverantwortlich für die gesellschaftliche Modernisierung – ein Ziel, bei dem sich die ungleiche Koalition noch einig ist. Das Abtreibungsrecht wurde zum Teil liberalisiert, das Selbstbestimmungsgesetz ist auf der Zielgeraden. Dass über diese moralischen Fragen noch kein großer Kulturkampf entbrannt ist, hat wahrscheinlich auch mit Buschmanns unaufgeregter Kommunikation zu tun.

Nicht zu vergessen: Ganz zu Beginn der Amtszeit hat der Liberale mit sanftem Druck den Bundesgesundheitsminister zum Auslaufen der letzten Corona-Maßnahmen bewegt. (Fabian Busch)

Fazit: Ein Ruhepol in der Streitkoalition

Boris Pistorius (Verteidigung)

© dpa/Marcus Brandt

Beliebtheit ist in der Politik eine Währung. Und Boris Pistorius hat reichlich davon. Seit Monaten liegt der Verteidigungsminister in den entsprechenden Umfragen vor allen anderen Kabinettsmitgliedern. Aber beliebt zu sein, reicht nicht. Man muss auch in der Sache abliefern – und was das angeht, hat er Aufholbedarf.

Militärisches Material ist noch immer Mangelware, weil die Beschaffung zu lange dauert. Zwar hat Pistorius Reformen angestoßen. "Allerdings bleiben zahlreiche Probleme", urteilt Konfliktforscher Michael Brzoska diesbezüglich in einer neuen Studie.

Eine langfristige Strategie, wie man dem Personalmangel bei der Bundeswehr Herr werden will, sucht man auch vergeblich. Sogar das Ziel, bis 2031 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten aufzustocken, stellt Pistorius inzwischen infrage.

Deutschland müsse "kriegstüchtig" werden, hatte der Minister jüngst erklärt. Das geht nicht von heute auf morgen. Dass er hinter der Truppe steht, hat Pistorius deutlich gemacht. Jetzt muss er auch zeigen, dass er sie wieder fit machen kann. (Thomas Pillgruber)

Fazit: Charismatiker mit überschaubarer Zwischenbilanz

Hubertus Heil (Arbeit und Soziales)

© dpa/Britta Pedersen

Er ist das einzige Kabinettsmitglied, das auf seinem Posten blieb: Bereits in der letzten Merkel-Regierung war Hubertus Heil (SPD) Bundesminister für Arbeit und Soziales. Der gebürtige Niedersachse bringt es daher schon auf über fünf Jahre Erfahrung als Leiter des Ressorts. Und sein Ministerium läuft offenbar wie geschmiert: Mehr als die Hälfte seiner umfangreichen Gesetzesvorhaben hat Heil laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung bereits umgesetzt.

Mit der Erhöhung des Mindestlohns, der Einführung des Bürgergeldes und der Förderung der beruflichen Weiterbildung hat Heil viel für Geringverdiener und Bedürftige getan. Im Fokus der Öffentlichkeit stand der stets besonnen auftretende Minister dabei selten.

Das könnte sich ändern: Das Arbeitsministerium hat mit einem Budget von über 170 Milliarden Euro das mit Abstand größte aller Ressorts. In der Debatte um Haushaltskürzungen schielen strenge Fiskalpolitiker insbesondere auf die Sozialausgaben. Heil muss um sein Vermächtnis kämpfen. (Joshua Schultheis)

Fazit: Erfolgreicher Malocher im Arbeitsministerium

Karl Lauterbach (Gesundheit)

© IMAGO/Chris Emil Janßen

Selten kam ein Minister mit so viel Vorschusslorbeeren ins Amt: Am Corona-Dauererklärer als Bundesgesundheitsminister kam Olaf Scholz nicht vorbei. Der Kanzler soll Bedenken gehabt haben, ob der Professor Lauterbach auch einen guten Minister abgibt. Womöglich zurecht.

Bei den Koalitionspartnern und in den mächtigen Verbänden des Gesundheitswesens sind viele genervt von einem Minister, der häufig den Eindruck vermittelt, alles am besten zu wissen. Den Einfluss der Lobby-Gruppen will Lauterbach zurückdrängen. Das ist nachvollziehbar, hat aber einen Preis: Viele Reformvorhaben sind im Streit verhakt.

Das Pensum des SPD-Politikers ist enorm. An 15 Gesetzen für die Modernisierung des Gesundheitswesens arbeitet sein Ministerium gerade. Zum Beispiel an einer großen Krankenhausreform und der Elektronischen Patientenakte. Geerbte Probleme wie der Medikamentenmangel kommen noch obendrauf.

Nicht weniger als eine "Revolution" des Gesundheitswesens hat Lauterbach sich vorgenommen. Zur Hälfte seiner Amtszeit sind bisher vor allem große Baustellen sichtbar. (Fabian Busch)

Fazit: Zu viel Professor, zu wenig Politiker

Lisa Paus (Familie)

© dpa/photothek/Janine Schmitz

Lisa Paus folgte im April 2022 auf die zurückgetretene Anne Spiegel. Ihr Steckenpferd sind Finanzthemen. Sie musste sich also erst einarbeiten. Zur Halbzeit steht ihr Haus trotzdem nicht schlecht da: Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge hat das Familienministerium 36 Prozent seiner Vorhaben realisiert und damit mehr als die Ministerien im Durchschnitt (31 Prozent).

Paus' wichtigstes Projekt ist die Kindergrundsicherung. Um es durchzudrücken, brach die Grüne einen Streit mit Finanzminister Lindner vom Zaun und verursachte damit wieder einmal Krach in der Koalition. "Kein Glanzstück" rügte selbst Habeck. Die Bilanz des Manövers: mittelmäßig. Denn die Kindergrundsicherung kommt zwar, ist finanziell aber deutlich schwächer ausgestattet als Paus wollte.

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz hat Paus, die ihr Haus gerne als Gesellschaftsministerium bezeichnet, das wohl wichtigste gesellschaftspolitische Vorhaben der Ampel auf den Weg gebracht. Kritiker werfen ihr allerdings vor, die Gesellschaft mitnichten in ihrer Breite zu verteten, sondern eine stramm linke Agenda zu verfolgen. (Marie-Christine Fischer)

Fazit: Keine Fehlbesetzung, aber ihre Rolle sucht sie noch

Bettina Stark-Watzinger (Bildung)

© dpa/Flashpic/Jens Krick

Es ist gar nicht so einfach, als Bundesministerin für Bildung und Forschung eigene Akzente zu setzen. Denn: Bildung ist Ländersache und der Bund meist nur dazu verdonnert, mit Geld dort auszuhelfen, wo es am meisten brennt. Aber angesichts der klammen Haushaltslage ist es eher unwahrscheinlich, dass Stark-Watzinger als besonders großzügige Bildungsministerin in die Geschichte eingehen wird.

Die FDP-Politikerin versucht stattdessen, sich auf einem anderen Gebiet zu profilieren: Als erstes Kabinettsmitglied seit 25 Jahren besuchte Stark-Watzinger Taiwan, wo sie eine Technologie-Kooperation besiegelte. Im Inland wird ihr derweil von ihren Fachkolleginnen und -kollegen die kalte Schulter gezeigt. Als Stark-Watzinger im März zum großen Bildungsgipfel einlud, tauchten nur zwei von 16 Kultusministerinnen und -ministern auf.

Durchwachsen ist auch ihre Bilanz im Bereich der Bildungsgerechtigkeit. Mit einem Umfang von zwei Milliarden Euro jährlich sei das "Startchancenprogramm" für Brennpunktschulen viel zu gering ausgefallen, sagen Kritiker. Damit wären wir wieder beim leidigen Thema: dem lieben Geld. (Joshua Schultheis)

Fazit: Begrenzte Möglichkeiten zu wenig ausgeschöpft

Steffi Lemke (Umwelt)

© dpa/Patrick Pleul

Beim ersten großen Kampf hat sich die Bundesumweltministerin ein blaues Auge geholt: Steffi Lemke musste der FDP entgegenkommen, einer Planungsbeschleunigung und damit einem schnelleren Bau von Straßen zustimmen. Als im Sommer 2022 massenhaft Fische in der Oder starben, prangerte die Grünen-Politikerin laxe Umweltkontrollen in Polen an. Viel ausrichten konnte sie jedoch nicht. In Umweltverbänden genießt die Ministerin trotzdem Vertrauen, weil sie sich schon vor ihrem Amtsantritt glaubhaft für das Thema eingesetzt hat.

Lemke gehört zu den weniger bekannten Regierungsmitgliedern. Eifer kann man ihr jedoch nicht absprechen. Sie hat Strategien zu Moorschutz, Klimaanpassung, Wasserschutz, zum Umgang mit dem Wolf aufgelegt. Sie hat ein weltweites Artenschutzabkommen mitverandelt, einen Meeresschutzbeauftragten eingesetzt – und vier Milliarden Euro für natürlichen Klimaschutz herausgeschlagen. Allerdings steht der Betrag jetzt wegen des Sparzwangs auf der Kippe.

Lemke muss noch beweisen, dass sie für ihre Themen erfolgreich kämpfen kann. (Fabian Busch)

Fazit: Fleißig, aber unauffällig

Volker Wissing (Verkehr)

© dpa/Michael Kappeler

Gemessen an seinem Vorgänger Andreas Scheuer konnte Volker Wissing gar nicht viel Porzellan zerschlagen. Weil es quasi nur Luft nach oben gab, ist es enttäuschend, dass Wissing zum Teil genau dort weiter macht, wo Scheuer aufgehört hat.

Denn auch unter Wissing bleibt das Verkehrsministerium das Sorgenkind der Bundesregierung im Kampf gegen den Klimawandel. Statt endlich die Verkehrswende einzuleiten, verschwendete er lieber Zeit, bereits ausgehandelte EU-Kompromisse zum Verbrenner-Aus zu blockieren.

Andererseits: Bei der Bahn geht unter Wissing deutlich mehr voran. Das Deutschlandticket ist ein Triumph. Und sein Bahn-Sanierungsplan dürfte die Kunden zwar einiges an Nerven kosten, hat aber auch das Potenzial nachhaltig Verbesserungen zu bringen.

Weil sich Bund und Länder bei der Ticket-Finanzierung nicht grün werden und wegen des Haushaltsurteils, drohen beide Erfolge aber derzeit zu scheitern. Für Wissing wäre das ähnlich fatal wie die verpatzte Pkw-Maut von Scheuer.

Und falls Sie es mangels nennenswerter Fortschritte vergessen haben: Wissing ist auch Digitalminister. Nur setzt er sich für die "Datenautobahn" bei weitem nicht so energisch ein, wie er es für neue Straßen tut. (Thomas Pillgruber)

Fazit: Es braucht mehr Tempo bei der Verkehrswende

Klara Geywitz (Bauen)

© dpa/Britta Pedersen

Die Wohnungskrise ist längst zu einer zentralen sozialen Frage Deutschlands geworden. Dass ihre Arbeit nicht leicht wird, wusste Klara Geywitz, als sie zur ersten Wohn- und Bauministerin seit mehr als 20 Jahren berufen wurde. Dazu kommt, dass viele Kompetenzen, die sie für eine Trendwende bräuchte, nicht in ihrem Ministerium liegen.

Der große Wurf ist ihr bislang nicht gelungen. Aber mit Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, musste selbst einer ihrer schärfsten Kritiker zuletzt anerkennen, dass sie "die Zügel beim Thema Wohnen mit Elan in die Hand genommen" habe.

Genehmigungsverfahren sollen etwa beschleunigt werden und bis 2027 rund 18 Milliarden für den sozialen Wohnungsbau fließen. Auch eine Kurskorrektur, weg vom Fokus auf Neubauten und hin zum Umbau von Bestandsimmobilien, hat die Bundesregierung signalisiert.

Einige von Geywitzs Förderprogrammen stehen nach dem Haushaltsurteil aber auf der Kippe. So oder so darf sie jetzt nicht nachlassen, nein muss sogar noch entschiedener vorgehen. Denn Wohnungsnot bleibt eine deutsche Dauerbaustelle. (Thomas Pillgruber)

Fazit: Engagiert, aber noch keine echten Lösungen

Cem Özdemir (Landwirtschaft)

© IMAGO/photothek/Leon Kuegeler

Es ist kein Geheimnis, dass das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung nicht Cem Özdemirs erste Wahl gewesen ist. Lieber hätte sich der Grünen-Politiker wohl im Auswärtigen Amt gesehen, für dessen Spitze er auch schon während der gescheiterten Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition nach der Bundestagswahl 2017 vorgesehen war.

Der 58-jährige Schwabe mit türkischen Eltern macht dennoch aus seinem Job eine persönliche Mission: Auch wegen seiner eigenen Erfahrungen als Heranwachsender setzt sich Özdemir mit großer Verve für gesündere Kinder ein. Diese bewegen sich zu wenig und essen zu viel Zucker. Das will der Minister unter anderem mit einer Ernährungsstrategie und strengeren Werberegeln für die Lebensmittelindustrie angehen.

Für den Koalitionspartner FDP riecht das jedoch verdächtig nach Freiheitseinschränkung und so blockieren die Liberalen einige Vorhaben des Grünen-Ministers. Viel umsetzen konnte Özdemir in den vergangenen zwei Jahren nicht. Dem Optimismus des stets gut gelaunten Süddeutschen tut das aber keinen Abbruch. (Joshua Schultheis)

Fazit: Viel Leidenschaft, wenig Erfolge

Svenja Schulze (Entwicklungshilfe)

© IMAGO/Janine Schmitz/photothek

Zwei Schicksale teilen praktisch alle bisherigen Ministerinnen und Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Erstens ist nie genug Geld da, um alle Krisen und Probleme auf der Welt zu lindern. Zweitens schafft man es als Politiker mit dem Thema selten ins Rampenlicht.

Beides gilt auch für Svenja Schulze: Die SPD-Politikerin führt das Ministerium unauffällig, aber engagiert. In der Ukraine setzt sie sich für Wiederaufbau und Korruptionsbekämpfung ein – weil die Wiederherstellung von zerstörtem Wohnraum und Energieversorgung schon jetzt dringend notwendig ist.

Zur Bekämpfung von klimabedingten Schäden in armen Ländern hat Schulze viel Geld in Aussicht gestellt und auch Golfstaaten zum Mitmachen bewegt. Außerdem setzt sie sich für eine Modernisierung und Reform der Weltbank ein, um der Organisation mehr Finanzmittel zu verschaffen und diese Gelder nachhaltiger auszugeben. Sollte sie beides durchsetzen, hätte sie mehr geschafft als einige ihrer Vorgänger im Amt. (Fabian Busch)

Fazit: Die Unterschätzte

Verwendete Quellen:

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

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