Die Kindergrundsicherung macht das Leben für Familien einfacher, verspricht Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Im Interview mit unserer Redaktion spricht die Grünen-Politikerin über ihr Vorzeigeprojekt, das Abtreibungsrecht – und die Frage, ob Kinderrechte ins Grundgesetz gehören.

Ein Interview

Lisa Paus spricht vom größten sozialpolitischen Projekt der aktuellen Bundesregierung: In diesem Jahr hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Kindergrundsicherung auf den Weg gebracht: Sie soll bisherige staatliche Leistungen wie Kindergeld und Kinderzuschlag zusammenfassen und die Beantragung einfacher machen.

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Über die Einzelheiten beraten gerade die Fraktionen im Bundestag. Vorangegangen war ein langes Hin und Her innerhalb der Bundesregierung, besonders zwischen Grünen-Politikerin Paus und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Im Interview mit unserer Redaktion räumt Paus ein: Der Streit hat auch an ihren Nerven gezerrt.

Frau Paus, wird Kinderarmut in Deutschland mit der Kindergrundsicherung abgeschafft?

Lisa Paus: Die Kindergrundsicherung ist der entscheidende Einstieg, um die Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. Wir werden die Leistungen für Kinder und Jugendliche, die von Armut bedroht sind, verbessern. Wir wollen vor allen Dingen endlich die verdeckte Armut reduzieren. Mit dem Kindergrundsicherungs-Check wird regelmäßig geprüft, ob jemand eine zusätzliche finanzielle Unterstützung benötigt oder nicht. Die Familien werden dann gezielt über ihre Ansprüche informiert.

Kindergrundsicherung

  • Die ab 2025 geplante Kindergrundsicherung besteht aus zwei Komponenten. Ein einkommensunabhängiger Kindergarantiebetrag ersetzt das bisherige Kindergeld von 250 Euro. Volljährige Kinder sollen ihn direkt erhalten.
  • Dazu kommt ein Kinderzusatzbetrag, der nach Alter gestaffelt wird und vom Einkommen der Familie abhängt. Diesen Zusatzbetrag sollen Kinder aus Familien mit niedrigen Einkommen erhalten.
  • Die Kindergrundsicherung soll einfach und digital zu beantragen sein. Der Zusatzbetrag soll mehr Familien erreichen als bisher.

Die Opposition bezeichnet das Projekt als Bürokratiemonster.

Es wird weniger Bürokratie geben. Und vor allen Dingen wird es für die Bürgerinnen und Bürger einfacher. Momentan blicken viele nicht mehr durch, welche unterschiedlichen Leistungen existieren und auf welche sie Anspruch haben. Dazu kommt, dass viele Dokumente schwer zu verstehen sind. Als Hilfe in diesem Bürokratie-Dschungel brauchen wir leicht verständliche, automatisierte Antragsformulare. Deswegen wollen wir mit 400 Millionen Euro die Verwaltung ertüchtigen, um es für alle Anspruchsberechtigten unbürokratischer zu machen.

Die Bundesarbeitsagentur bezeichnete zuletzt den Start der Kindergrundsicherung zum 1. Januar 2025 als unrealistisch. Was sagen Sie dazu?

Wir führen intensive Gespräche mit der Bundesagentur für Arbeit. Wir haben bereits eine Verwaltungsvereinbarung unterzeichnet, um mit Hochdruck die Kindergrundsicherung an den Start zu bringen. Das A und O ist nun eine ordentliche und zügige Beratung des Gesetzes, dann bleiben wir auch im Zeitplan.

Sie haben mit Finanzminister Christian Lindner einen langen und heftigen Streit über die Finanzierung der Kindergrundsicherung geführt. Am Ende blieben von Ihren geforderten 12 Milliarden Euro nur noch 2,4 übrig. Haben Sie anfangs zu viel verlangt?

Nein, das habe ich nicht. Um Kinderarmut komplett abzuschaffen, braucht es laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung mindestens 20 Milliarden Euro. Wenn es uns gelingt, dass 80 Prozent der Anspruchsberechtigten Kindergrundsicherung bekommen, wird der Leistungsumfang bei insgesamt sechs Milliarden Euro liegen.

Hätten Sie Christian Lindner wegen des Streits am liebsten auf den Mond geschossen – rein gedanklich natürlich?

Christian Linder und ich arbeiten gut zusammen. Aber ja, zwischendurch war ich schon etwas ungeduldig, denn wir wollten unseren Zeitplan einhalten. Jetzt bin ich froh, dass wir ein gutes Gesetz beschlossen haben.

Wie viel Geld wird es denn ab 2025 für ein Kind geben, das ein Recht auf den Zusatzbetrag hat?

Es soll mindestens 530 Euro monatlich für ein Kind von 0 bis 6 Jahren geben. Und für 14- bis 18-Jährige werden es mindestens 636 Euro werden. Alleinerziehende sollen auch mehr bekommen. Mit der Kindergrundsicherung werden die Unterhaltszahlungen für die Kinder künftig nur noch zu 45 Prozent statt wie zuvor vollumfänglich angerechnet. Ungefähr die Hälfte der Kinder, die in Armut leben, kommen aus Haushalten von Alleinerziehenden.

Viele Sozial- und Familienverbände kritisieren, dass die 2,4 Milliarden Euro zu wenig sind.

Das hängt davon ab, wie gut wir dieses Gesetz umsetzen. Wir als Bundesregierung wollen durch Digitalisierung und Automatisierung jedem Menschen, der einen Anspruch auf Unterstützung hat, diese auch zukommen lassen. Keine Familie soll mehr unter dem Existenzminimum leben müssen.

Lisa Paus: "14 Elterngeldmonate für die allermeisten Eltern erhalten"

Fast alle Ministerien müssen sparen. Sie haben vorgeschlagen, das Elterngeld für Paare mit mehr als 150.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen zu streichen. Der Plan stößt auf Widerstand – halten Sie trotzdem daran fest?

Mir ist sehr wohl bewusst, wie einschneidend das wirken kann. Angesichts des Spardrucks aus dem Bundesfinanzministerium ist das die am wenigsten schlechte Lösung. Damit schaffen wir es, die 14 Elterngeldmonate für die allermeisten Eltern zu erhalten. Das Elterngeld hat eine wichtige gleichstellungspolitische Wirkung. Für eine gerechte Aufteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit brauchen wir aber noch mehr: Familien brauchen ausreichend Kita- und Ganztagsschulplätze. Auch mein Gesetzentwurf für eine Familienstartzeit liegt vor. Der Partner soll sich dann bis zu zehn Tage nach der Geburt eines Kindes bezahlt von der Arbeit freistellen lassen können.

Die FDP hat jetzt einen anderen Vorschlag gemacht. Sie will das Elterngeld für Besserverdiener erhalten, aber die Bezugsdauer für alle von 14 auf 12 Monate senken. Würden Sie da mitgehen?

Ich habe meinen Vorschlag gemacht. Ansonsten liegt das Verfahren jetzt im Bundestag.

"Das Grundgesetz ist mehr als ein Symbol."

Lisa Paus

Die Ampel-Parteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, die Rechte von Kindern im Grundgesetz zu verankern. Geschehen ist das bisher nicht. Halten Sie daran fest?

Selbstverständlich. Gerade in diesen Krisenzeiten ist es wichtig, verletzliche Gruppen besonders abzusichern. Die seelische Belastung von Kindern und Jugendlichen hat unter anderem in der Corona-Pandemie zugenommen. Kinderrechte dienen dem Schutz, der Beteiligung und Förderung von Kindern. Die Ampel-Fraktionen arbeiten daran.

Es gab auch in der vorigen Wahlperiode schon einen Anlauf. Der ist gescheitert, weil sich CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP nicht auf eine Formulierung einigen konnten. Für eine Grundgesetzänderung bräuchten Sie jetzt auch die Zustimmung der Union. Warum sollte dieses Mal klappen, was zuvor gescheitert ist?

Die Ampel-Parteien arbeiten an einem Verhandlungsangebot an die Union und kommen gut voran. Es ist erstaunlich: CDU und CSU sehen sich als Familienparteien, tun sich aber schwer damit, Kindern Rechte einzuräumen. Die Union muss sich jetzt bewegen.

Wäre die Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung nicht vor allem ein symbolischer Schritt?

Nein, das Grundgesetz ist mehr als ein Symbol. Es hätte Auswirkungen auf die Entscheidungen von Gerichten. Wir haben das beim Klimaschutz gesehen: Da hat das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil gefällt. Wir können aber auch darüber hinaus mehr für junge Menschen machen, etwa indem wir sie besser beteiligen und das Wahlalter bei der Bundestagswahl auf 16 Jahre absenken. Wir können es uns nicht leisten, dass sich Kinder und Jugendliche aus dem gesellschaftlichen und demokratischen Bereich zurückziehen, weil sie sich nicht gehört fühlen.

"Rahmenbedingungen für Schwangerschaftsabbrüche sind nicht gut"

Die Ampel hat sich auch Änderungen des Abtreibungsrechts vorgenommen und eine erste Reform schon umgesetzt. Sie machen keinen Hehl daraus, dass Sie Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs gerne streichen würden. Er schreibt die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen fest. Warum wollen Sie daran rütteln?

Wir sehen überall in der Welt, dass es keinen direkten Zusammenhang gibt zwischen der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs und der Zahl der durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche. Ich denke, dass es andere Wege gibt, um ein Schutzkonzept für das werdende Leben sicherzustellen als die Stigmatisierung und Kriminalisierung von ungewollt schwangeren Frauen. Ob und wie das gehen könnte, dafür erhoffe ich mir Impulse von der unabhängigen Sachverständigenkommission, die die Bundesregierung eingesetzt hat.

Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland aber auch jetzt schon möglich, weil sie unter bestimmten Bedingungen straffrei sind. Warum muss man dann den Paragrafen 218 noch streichen?

Leider sind die tatsächlichen Rahmenbedingungen für Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nicht gut, sondern prekär. Sie werden bislang kaum in der Ausbildung von Medizinerinnen und Medizinern berücksichtigt. Und die Versorgungslage hat sich seit den 1990er Jahren in vielen Regionen massiv verschlechtert: Zu wenig Praxen bieten die Eingriffe an. Ein Problem sind auch Gehsteigbelästigungen. Vor Stellen für Schwangerschaftskonfliktberatung werden Frauen und Mitarbeitende zum Teil belästigt und bedroht. Deswegen werden wir das Schwangerschaftskonfliktgesetz ändern und diese Gehsteigbelästigungen als Ordnungswidrigkeit sanktionieren.

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Das aktuelle Abtreibungsrecht beruht auf einem mühsam gefundenen gesellschaftlichen Kompromiss. Wenn Sie nun daran rütteln, schaffen Sie doch ein zusätzliches Streitthema in einer ohnehin polarisierten Gesellschaft.

Es geht ja nicht um Ideologie, sondern um reale Probleme in den Leben von Frauen in Deutschland – deswegen ist es meine Aufgabe als Frauenministerin, diese Probleme anzugehen. Natürlich ist das ein emotionales Thema und berührt grundlegende ethische Fragen. Die Koalition hat einer Kommission den Auftrag gegeben, Antworten zu finden. Sie prüft unter anderem Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches. In der Kommission sitzen 18 ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um diese und weitere Fragen zu klären. Sie arbeiten sehr intensiv und unabhängig und werden uns im nächsten Jahr Vorschläge machen.

Sie sind auch für das Demokratiefördergesetz zuständig. Die Koalition will damit eine dauerhafte finanzielle Förderung von Projekten für Demokratie, Zivilgesellschaft und gegen Extremismus ermöglichen. Davon könnten auch Projekte gegen Antisemitismus profitieren, was aktuell sehr wichtig wäre. Auch das Demokratiefördergesetz hängt aber gerade im parlamentarischen Verfahren fest.

Ich gehe davon aus, dass die Fraktionen die Beratungen im Bundestag bald abschließen. Das ist ein wichtiges Gesetz und es wäre ein positives Signal, wenn es endlich verabschiedet wird. Damit hätten wir eine bessere rechtliche Sicherheit für Demokratieförderung. Wir würden damit auch die Prävention gegen Antisemitismus absichern.

Über die Gesprächspartnerin

  • Lisa Paus wurde 1968 in Rheine (Nordrhein-Westfalen) geboren. Die Diplom-Volkswirtin ist seit 2009 für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied des Deutschen Bundestags und war dort unter anderem finanzpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Im April 2022 wurde die Mutter eines Sohns Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
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