• Gesprächsbereit, aber mit deutlichen Botschaften: Das Auftreten von Außenministerin Annalena Baerbock in Moskau stößt in Deutschland parteiübergreifend auf Zustimmung.
  • "Sie hat das Beste aus der Situation gemacht", sagt der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter.
  • Die Ampel-Koalition ist in der Russland-Frage zuletzt aber nicht geschlossen aufgetreten. Das schwächt Baerbocks Position.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Russlands Außenminister Sergei Lawrow ist ein gefürchteter Gastgeber. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borell reiste im Februar 2021 gedemütigt von einer gemeinsamen Pressekonferenz zurück nach Brüssel. Kein Wunder also, dass von einer Feuertaufe die Rede war, als Deutschlands neue Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in dieser Woche zum Antrittsbesuch nach Moskau reiste.

Russland zieht seine Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen, ein Überfall auf das Nachbarland ist aus Sicht von Expertinnen und Experten eine reale Option. Ausgerechnet in dieser Zeit muss Baerbocks ihre erste Schritte auf dem rutschigen diplomatischen Parkett gehen. Das Zusammentreffen mit Lawrow verlief offenbar in recht frostiger Atmosphäre – aber auch sachlich und ohne Demütigungen.

Positives Presse-Echo

In den Medien erntet Baerbock für ihren Auftritt überwiegend Lob. "Sie zeigt sich gut vorbereitet, lässt sich nicht überrumpeln", heißt es in der Süddeutschen Zeitung. Die Ministerin habe souverän reagiert, als ihr von russischer Seite vorgeworfen wurde, Deutschland würde die Arbeit des russischen Fernsehsenders RT behindern und verwehre ihm Sendelizenzen. Baerbock ließ das an sich abperlen: Eine Sendelizenz würden auch andere Staatssender nicht bekommen.

Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der "Welt" und nicht gerade ein Grünen-Fan, findet auf Twitter ebenfalls lobende Worte: "Sie ließ sich weder vereinnahmen noch provozieren und sagte, was gesagt werden musste. Keine hinreichende, aber notwendige Bedingung für gute Außenpolitik."

FDP-Politikerin Strack-Zimmermann: "Ich finde, dass sie das wirklich gut macht"

Zufrieden mit Baerbocks Auftreten ist auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag: "Sie ist in Russland nicht gerade herzlich begrüßt worden, hat aber ihre Themen gesetzt", sagt die FDP-Politikerin im Gespräch mit unserer Redaktion. "Ich finde, dass sie das wirklich gut macht."

Konkrete Erfolge konnte die Grünen-Politikerin aus dem Gespräch zwar nicht mitbringen. Das war aus Strack-Zimmermanns Sicht aber auch nicht anders zu erwarten: "Wir sollten nicht naiv sein: Wenn eine nationale Persönlichkeit aus Deutschland in Moskau anreist, lässt das die Russen ja noch nicht erzittern."

Das Entscheidende sei, dass Russland diese Krise ausgelöst habe, betont die Parlamentarierin. "In dieser sehr ernsthaften Situation ist jeder Austausch, ist jede Reise, jedes diplomatische Gespräch von ganz großer Bedeutung. Die Außenministerin hat in dieser Hinsicht unsere volle Unterstützung."

Lob auch von der Opposition

Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz war von 2005 bis 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Er betont, wie wichtig es war, dass Baerbock vor ihrer Moskau-Reise einen Stopp in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gemacht hat. "Damit hat sie deutlich gemacht, dass Deutschland nicht über den Kopf der Ukraine hinweg mit Russland sprechen wird."

Gefallen hat ihm auch, dass die Außenministerin in Kiew den Opfern der Maidan-Proteste gedachte und in Moskau die Menschrechtsorganisation Memorial besuchte: "Es sind in der Diplomatie immer diese bewusst gesetzten Akzente, die Botschaften vermitteln."

Eine Fragezeichen macht Polenz allerdings hinter eine Äußerung von Baerbock in Kiew: Dort hatte sie Waffenlieferungen an die Ukraine mit dem Argument abgelehnt, vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sei das schwierig. Das hätte sie erklären müssen, findet Polenz: "Wenn sie damit den Überfall von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion gemeint hat: Man darf nicht vergessen, dass ein großer Teil der Opfer damals aus den Gebieten kam, die heute nicht zu Russland, sondern zur Ukraine und Weißrussland gehören."

Roderich Kieswetter: "Haltung der deutschen Politik ist ungeheuer diffus"

Roderich Kiesewetter, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, zieht eine gemischte Bilanz nach Baerbocks Moskau-Besuch: "Sie hat das Beste aus der Situation gemacht. Sie war in einer sehr schwierigen Lage, weil es keine abgestimmte europäische Position gab", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. "Sie ist nicht dem Versuch erlegen, einen Schmusekurs zu fahren, sondern hat klar und deutlich gemacht, worauf es ihr ankommt."

Kritisch sieht Kiesewetter allerdings, dass aus Deutschland sehr unterschiedliche Stimmen zum Thema zu hören sind. Seiner Einschätzung nach müssten drei Optionen auf den Tisch, um Russlands Präsidenten Wladimir Putin davon abzuhalten, in die Ukraine einzumarschieren: ein Stopp der deutsch-russischen Gas-Pipeline Nord Stream 2, ein Ausschluss Russlands aus dem globalen Zahlungsnetzwerk SWIFT sowie Waffenlieferungen an die Ukraine.

In diesen Punkten ist sich die deutsche Politik allerdings uneinig – das gilt nicht nur für die regierende Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, sondern auch für die Unionsfraktion im Bundestag. "Die Haltung der deutschen Politik ist ungeheuer diffus. Das macht es Putin so leicht, herauszufinden, wie weit er in dieser Lage gehen kann. Das gibt ihm einen strategischen Vorteil", sagt Kiesewetter.

Unterschiedliche Stimmen in der Ampel-Koalition

In den vergangenen Wochen war die Ampel-Koalition in der Russland-Frage nicht besonders geschlossen aufgetreten. Grüne und FDP sehen die russisch-deutsche Gaspipeline Nord Stream 2 kritisch und treten allgemein für eine harte Linie gegenüber Moskau ein.

Sozialdemokraten wie Fraktionschef Rolf Mützenich oder der frühere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck warben dagegen zuletzt für mehr Verständnis für russische Interessen und Befindlichkeiten. SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz ging am Dienstagnachmittag dagegen einen Schritt in die andere Richtung: Er stellte klar, dass bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine auch die Zukunft von Nord Stream 2 auf dem Spiel stehe. Damit stärkte er seiner Außenministerin durchaus den Rücken.

Die Regierungskoalition ist derzeit um eine gemeinsame Position bemüht. Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, sieht keinen Grund, an der Geschlossenheit der Ampel zu zweifeln. "Das ist eine brandgefährliche Situation, in der die Gesprächsfäden erhalten bleiben müssen. Es geht darum, einen Krieg zu verhindern. Diplomatie muss auf Hochtouren gefahren werden", sagt er gegenüber unserer Redaktion. "Ich bin für die Reise von Annalena Baerbock nach Russland sehr dankbar - genau wie ich für jedes Gespräch von Olaf Scholz mit Putin dankbar bin."

Es sei keine Überraschung, dass es in der Koalition beim Thema Russland unterschiedliche Sichtweisen gebe, sagt FDP-Politikerin Strack-Zimmermann. "Wir werden uns darüber konstruktiv austauschen. Es ist auf jeden Fall nicht hilfreich, wenn mehrere Stimmen Unterschiedliches sagen. Damit helfen wir letztlich nur Putin."

Quellen:

  • Gespräche mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Ruprecht Polenz, Roderich Kiesewetter und Omid Nouripour
  • Twitter-Account von Robin Alexander
  • Sueddeutsche.de: Ein kluger Auftritt der Außenministerin
  • Deutsche Presse-Agentur


JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.