• Russland hat an der Grenze zur Ukraine zehntausende Soldaten zusammengezogen, im Nachbarland steigt deswegen die Angst vor einer möglichen Invasion.
  • Die Bundesregierung befürwortet für den Fall weitere Sanktionen.
  • Allerdings liegen SPD sowie Grüne und FDP über Kreuz, ob dabei auch die deutsch-russische Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 eine Rolle spielen soll.

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Der erste große Streit innerhalb der neuen Bundesregierung entzündet sich an zwei genau 1,153 Meter dicken Metallröhren, die einmal quer durch die Ostsee verlegt wurden.

Bundeskanzler Olaf Scholz sieht die Betriebserlaubnis für die Gaspipeline Nord Stream 2, durch die russisches Gas nach Deutschland fließen soll, und die Bemühungen um eine Deeskalation des Ukraine-Konflikts als getrennte Vorgänge. Die Entscheidung über die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 sei "ganz unpolitisch", sagte Scholz am Freitag nach dem EU-Gipfel in Brüssel.

Die Grünen, die das Großprojekt seit jeher ablehnen, halten dagegen: Jede weitere militärische Aggression könne nicht ohne scharfe Konsequenzen bleiben, sagte Parteichef und Wirtschaftsminister Robert Habeck der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Da kann es keine Denkverbote geben", betonte er auch mit Blick auf die Pipeline, die sich im Besitz des staatlichen russischen Energiekonzerns Gazprom befindet.

Auch die SPD befürwortet Sanktionen – will aber die Pipeline nicht antasten

Unterstützung bekommt die Ökopartei von der FDP. "Die Signale, die es insgesamt auch mit Blick auf juristische Fragen gibt, zeigen, dass das Pipelineprojekt mindestens stark belastet ist", erklärt der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Bijan Djir-Sarai, auf Anfrage unserer Redaktion. Er betont: "Nord Stream 2 hatte von Anfang an nicht nur eine wirtschaftliche Komponente, sondern auch eine politische Dimension."

"Es ist ganz klar", sagt Djir-Sarai: "Die territoriale Souveränität der Ukraine darf nicht verletzt werden" Für ihn sind deshalb Sanktionsandrohungen in Richtung des Kreml "folgerichtig".

Prinzipiell sieht das auch die SPD so. Die Sozialdemokraten wollen den Druck auf Russlands Präsident Wladimir Putin erhöhen, der seit Wochen russische Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren lässt und dem Westen kaum verhohlen droht. "Aktuell müssen wir Putin und sein Umfeld ins Visier nehmen", sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD).

Und der neue Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), befürwortet für den Fall eines russischen Einmarsches in die Ukraine "selbstverständlich auch weitere Sanktionen", wie er der "Welt" sagte. "Auch wenn manche an ihrer Wirksamkeit zweifeln: Sanktionen bleiben ein wichtiges Instrument, weil wir so ein klares Signal setzen, dass wir Völkerrechtsbrüche nicht achselzuckend hinnehmen." Allerdings: Die SPD will Nord Stream 2 dabei in jedem Fall ausklammern.

Grüne bekräftigen Widerstand zu Nord Stream 2

Das geht den Grünen zu weit: "Es wäre gerade jetzt falsch, ein Ende dieses Vorhabens auch bei einem Angriff auf die Ukraine auszuschließen", sagte die Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Agnieszka Brugger, dem Berliner "Tagesspiegel".

Sie bekräftigte in diesem Kontext den Widerstand ihrer Partei gegen die deutsch-russische Pipeline. "Der Kreml hat Nord Stream 2 anders als die letzte Bundesregierung eben nie als rein privatwirtschaftliches Vorhaben gesehen", sagte die Grünen-Politikerin.

Bereits vergangenen Sonntag hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärt, sie sehe derzeit gar keine Grundlage für eine abschließende Genehmigung der Gaspipeline. Die Ampel-Parteien hätten in ihrem Koalitionsvertrag "verankert, dass für Energieprojekte - und dazu zählt Nord Stream 2 – europäisches Energierecht gilt", sagte Baerbock im ZDF-"Heute Journal". "Und das bedeutet, dass nach jetzigem Stand diese Pipeline so nicht genehmigt werden kann, weil sie eben die Vorgaben des europäischen Energierechts nicht erfüllt und die Sicherheitsfragen ohnehin noch im Raum stehen."

Zudem sei klar, "dass bei weiteren Eskalationen diese Pipeline so nicht weiter ans Netz gehen könnte". Dies sei noch von der alten Bundesregierung mit der US-Regierung vereinbart worden.

Scholz: Nord Stream 2 ist ein "privatwirtschaftliches Vorhaben"

Kanzler Scholz sieht das anders. "Es handelt sich im Hinblick auf Nord Stream 2 um ein privatwirtschaftliches Vorhaben", hatte er vergangene Woche erklärt. Darüber hinaus sei für die Inbetriebnahme der Pipeline nur in einem Teilaspekt die Übereinstimmung mit europäischem Recht zu klären.

Die Pipeline wurde im September fertiggestellt. Mit ihr sollen die russischen Gaslieferungen nach Deutschland deutlich erhöht werden. Seit Freitag wird auch der zweite Strang mit Gas gefüllt, damit wird der für den Betrieb erforderliche Druck aufgebaut. Die Befüllung des ersten Strangs war laut Betreiber bereits im Oktober abgeschlossen worden.

Über die Betriebserlaubnis entscheidet nun die Bundesnetzagentur. Deren Präsident Jochen Homann hatte am Donnerstag gesagt, dass über eine Erlaubnis für den Gastransport nicht vor Mitte 2022 entschieden werde. Ein Zertifizierungsverfahren hatte die Bundesnetzagentur im November vorerst ausgesetzt. Diese Zertifizierung komme nur dann in Frage, wenn die Betreiberfirma in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert sei, hieß es. Dem will die Nord Stream 2 AG mit Sitz im schweizerischen Zug mit Gründung einer deutschen Tochterfirma entsprechen.

Internationale Kritik an Nord Stream 2

Die Pipeline wird seit Langem von den USA, aber auch von einigen EU-Ländern scharf kritisiert. Sie befürchten eine zu große Abhängigkeit von Russland bei der Energieversorgung.

Kritiker sahen Nord Stream 2 schon immer als geopolitisches Projekt und fühlen sich wegen der jüngsten Ereignisse bestätigt. In den vergangenen Wochen hat Russland an der Grenze zur Ukraine zehntausende Soldaten zusammengezogen. Dies nährt Befürchtungen im Westen, dass eine Invasion der russischen Armee im Nachbarland bevorstehen könnte. Moskau bestreitet dies und wirft der Regierung in Kiew Provokationen vor.

Mit Material von dpa und AFP.
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