Nach dem Ende der Koalition: Einige Erfolge, aber noch mehr Versäumnisse: Die nun zerbrochene Koalition in Berlin hatte in vielen Ressorts wesentlichen Einfluss auf das Geschehen im Land. Ein Fazit.
Bildung
Bildung ist Ländersache. Und doch gibt es Projekte, bei denen die Länder auf die Bundesregierung angewiesen, ja sogar von ihr abhängig sind. Der Digitalpakt für die Schulen ist so ein Beispiel. Nachdem das erste große Förderprogramm zur Digitalisierung der Schulen im Mai ausgelaufen ist, sollte im Januar eigentlich der Digitalpakt 2.0 folgen. Doch Bund und Länder haben zu lange um die Anschlussfinanzierung gestritten.
Die Kritik des hessischen Kultusministers Armin Schwarz (CDU) und seiner Kollegen richtete sich besonders gegen die frühere Bundesbildungsministerin
Rainer Schulze
Gesundheit
Das deutsche Gesundheitswesen ist schon lange zu teuer. Mit einer umfassenden Gesundheitsreform wollte Karl Lauterbach (SPD) Kliniken für die Zukunft sichern. Allerdings werden nicht alle diese Prozedur überdauern, sondern nur jene, die bestimmte Qualitätsstandards und Erfahrung bei speziellen Operationen vorweisen können. In Hessen mehren sich sorgenvolle Stimmen, dass insbesondere Kliniken in der Fläche schließen müssen.
Die Wicker-Klinik in Bad Wildungen, das Mathilden-Hospital in Büdingen sind schon betroffen, auch im Rhein-Main-Gebiet haben sich Kliniken vorsorglich zusammengetan und Stationen geschlossen. Wie die Gesundheitspolitik in einer neuen Koalition aussehen wird, ist ungewiss. Die Gesundheitsreform muss noch den Weg durch den Bundesrat nehmen, dabei werden sicher auch hessische Interessen eine Rolle spielen. Beschlossen ist hingegen schon die Cannabis-Legalisierung: Seit gut sieben Monaten ist Kiffen erlaubt, allerdings konnte die Idee der Anbau-Clubs bisher nicht realisiert werden. In Hessen ist noch keine einzige Lizenz erteilt worden.
Monika Ganster
Sicherheit
Insbesondere bei der Vorratsdatenspeicherung hatte Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) die Ampel immer wieder kritisiert und ihr vorgeworfen, die Aufklärung von Straftaten auch bei schweren Fällen zu behindern. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass es aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 30. April dieses Jahres erlaubt sei, IP-Adressen anlasslos und unabhängig von der Schwere des Deliktes zu speichern.
Doch die Ampel hat laut Poseck mit ihrer zögerlichen Haltung verhindert, dass Täter ermittelt werden können. Hessen hatte eine Bundesratsinitiative eingebracht, damit der Bund endlich eine "umfassende gesetzliche Regelung zur Speicherung der IP-Adressen" schaffe. Noch im Juli dieses Jahres beklagte Poseck, dass die Realisierung bisher an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gescheitert sei. Dass dieser noch immer auf das sogenannte "Quick-Freeze-Verfahren" setze, das von Fachleuten als unzureichend bewertet wird, bezeichnete der hessische Innenminister als Fehler. Denn das Verfahren läuft nach Ansicht der Praktiker ins Leere: Denn wo keine Daten existieren, kann auch nichts eingefroren werden.
Und auch die Cannabis-Legalisierung bringt dem Land mehr Schaden als Nutzen ein: Dealer, die mit bis zu 25 Gramm Cannabis kontrolliert werden, können strafrechtlich nicht verfolgt werden. Die Polizei fühlt sich machtlos. Zudem warnen Sicherheitsbehörden vor niederländischen Verhältnissen. Die Cannabis-Legalisierung, sagen sie, sei nichts anderes als ein Konjunkturprogramm für die organisierte Kriminalität.
Robert Maus
Umwelt
Selten hat ein Gesetz so die Bevölkerung verstört wie das Heizungsgesetz. Als es vor einem Jahr nach monatelangem Gezerre der Berliner Ampelkoalition dann doch verabschiedet wurde, ist fast unbemerkt ein weiteres Gesetz auf den Weg gebracht worden: das Wärmeplanungsgesetz. Es schreibt vor, dass Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern bis Ende Juni 2026 einen kommunalen Wärmeplan vorlegen müssen. Ziel ist es, möglichst viele Haushalte über ein Fernwärmenetz zu versorgen. Denn das ist, so die Fachleute, die effiziente Lösung, eine klimaneutrale Versorgung der Wohnungen und Häuser mit Wärme zu erreichen.
Für die Großstädte in Hessen ist lediglich die zeitliche Frist zur Vorlage der Planung neu. Das hessische Energiegesetz hat schon zuvor den Kommunen vorgegeben, eine solche Planung zu erarbeiten. Danach sollen sogar nicht nur die Großstädte, sondern alle Kommunen mit mehr als 20.000 Einwohnern, das sind 59 an der Zahl, einen Plan erarbeiten. Denn Hessen will bis 2045 klimaneutral sein. Also bis dahin den Energieverbrauch von Strom und Wärme zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien decken.
Die Fernwärmeplanung und ihre Umsetzung werden die Städte und damit auch die Bürger herausfordern, denn nahezu jede Straße muss dazu aufgerissen werden – für die Fernwärmeleitung oder eine bessere Stromversorgung. Das ist, da sind sich Experten einig, unumstößlich, um dem Klimawandel zu begegnen.
Mechthild Harting
Migration
Die hohe Zahl der Asylbewerber hat viele Kommunen im vergangenen Jahr an den Rand ihrer Belastbarkeit gebracht. Die Ampelregierung reagierte mit mehreren Maßnahmen, um den Zuzug zu begrenzen. Sie zeigen in diesem Jahr auch in Hessen Wirkung – wenngleich vielen Kommunen die Schritte noch nicht weit genug gehen. Die Zahl der Flüchtlinge ging zurück. Hessen muss etwas mehr als sieben Prozent aller Flüchtlinge, die Deutschland erreichen, aufnehmen.
Als wirksam haben sich verstärkte Grenzkontrollen und Zurückweisungen erwiesen. Geplant ist, mehr ausreisepflichtige Ausländer abzuschieben und die Zahl der sicheren Herkunftsländer auszuweiten. Die Einführung der Bezahlkarte für Flüchtlinge, gemäß einem Gesetzentwurf der Ampel, soll Überweisungen an Schlepper und Familienangehörige in den Herkunftsländern unmöglich machen. Damit soll der Anreiz, vor allem in Deutschland Asyl zu beantragen, weiter gesenkt werden. Hessen führt die Bezahlkarte noch im Dezember ein.
Monika Ganster
Verkehr
Volker Wissing ist seit Langem der erste Bundesverkehrsminister, der sich für das Rhein-Main-Gebiet interessiert. Seine Vorgänger hat man nie in dieser Region gesehen,
Dass sich der Blick seit Beginn seiner Amtszeit verstärkt auf Deutschlands Mitte richtet, hat gute Gründe: Wenn der Schienenverkehr dort nicht funktioniert, leidet er in der gesamten Bundesrepublik darunter. Und so hat die Deutsche Bahn mit ihrem neuen Vorhaben, Strecken auf einen Schlag zu sanieren statt in vielen kleinen Schritten, auf der Riedbahn begonnen, die Frankfurt mit Mannheim verbindet. Gut für die Schiene in Rhein-Main: Wissing bleibt vorerst im Amt, wenn auch nicht mehr als Politiker der FDP.
Manfred Köhler
Wirtschaft
Die Industriepolitik der Ampel hat die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Hessen verschlechtert. Vier von zehn Betrieben machen sich konkrete Gedanken, Teile der Produktion oder gleich das ganze Unternehmen ins Ausland zu verlagern. Gerade energieintensive Betriebe, wie sie zum Beispiel im Industriepark Höchst ansässig sind, ächzen unter den hohen Energiekosten, viele produzierende Unternehmen in Hessen bauen Stellen ab.
Dagegen hat der Finanzplatz Frankfurt von der Ampel profitiert. Jahrelang wurden nach der Finanzkrise die Belange der für die Region und vor allem für Frankfurt so wichtigen Banken in Berlin allenfalls wahr-, aber kaum ernst genommen. Dass das heute anders ist, hat spätestens der engagierte Auftritt von Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) beim Werben um die europäische Anti-Geldwäsche-Behörde AMLA gezeigt, die sich dann ja tatsächlich in Frankfurt angesiedelt hat – ein Erfolg.
Dass der Finanzplatz in der Regierung Scholz eine Stimme hat, liegt nicht zuletzt an dem gebürtigen Mainzer Jörg Kukies, der als Deutschlandchef von Goldman Sachs die Bedeutung der Finanzwirtschaft kennt und sie zuletzt ins Kanzleramt getragen hat, bevor er zum neuen Finanzminister ernannt wurde.
Daniel Schleidt © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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