CCAA in Exile in Frankfurt: Mit der Machtergreifung der Taliban sind viele Künstler aus Afghanistan geflohen. In Frankfurt haben sie einen Ort gefunden, wo sie ihre Werke zeigen können.

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Trotz der Lage in Afghanistan ist es ein hoffnungsvolles Vorhaben: Das vom Kunstdozenten Rahraw Omarzad geleitete afghanische Künstlernetzwerk CCAA in Exile konnte für einige Monate im Frankfurt Prototype unterkommen. Das von Studenten der Städelschule konzipierte und gemeinsam mit Studenten der Frankfurt University of Applied Science im Hof des Senckenberg Museums errichtete Holzgebäude mutet beim ersten Anblick neuartig und experimentell an – wie ein wagemutiges Ausrufezeichen für ein anderes Bauen.

In den über eine Außentreppe erreichbaren oberen Etagen des Containerbaus finden bis Ende Dezember öffentlich zugängliche Kunstworkshops und Filmabende, Konzerte und Ausstellungen des 2004 mit deutscher und internationaler Unterstützung in Afghanistan gegründeten und seit der Taliban-Machtergreifung im Exil agierenden Center For Contemporary Arts Afghanistan statt.

"Ein Fenster" für afghanische Kunst und Kultur

Die äußert kompakt geschnittenen Prototype-Räume erwecken einen hellen und freundlichen Eindruck – und wirken dadurch nicht zu beengt. An diesem Nachmittag sind dort Fotografien, Filme, Zeichnungen und Künstlerbücher zu sehen, die eindrücklich und mitunter ergreifend von Afghanistans jüngster Geschichte und Gegenwart erzählen. Bei einem Rundgang berichtet die CCAA-Künstlerin und Projektkoordinatorin Razia Akbari vom Kooperationsprojekt "Crossing the Distance", das afghanische Kunststudenten mit angehenden Künstlern aus Europa und den Vereinigten Staaten zusammenbrachte und eine Grundlage für die Ausstellung schuf.

Für Omarzad ist das am 1. Oktober eröffnete Holzgebäude "ein Fenster zur Vorstellung der afghanischen Kunst und Kultur". Im Gespräch wirkt der 1964 geborene Künstler und Kurator nachdenklich und konzentriert. Sorgfältig wählt er seine Worte. "Wir benötigen diese Räume", unterstreicht er. Das Atelierhaus basis habe dem CCAA in Exile Büro- und Atelierflächen zur Verfügung gestellt. Im Frankfurt Prototype könnten die in und rund um Frankfurt sowie in ganz Deutschland verstreut lebenden 20 CCAA-Künstler zusammenkommen und mit der Stadtgesellschaft in Kontakt treten.

Seit der Machtergreifung der Taliban seien die mehrheitlich weiblichen Künstler unter teils widrigen Umständen aus Afghanistan nach Deutschland gebracht worden, berichtet Omarzad. Er zeigt sich dankbar und wünscht sich von der Bundesregierung, dass weitere Künstler nachkommen können. Er mahnt jedoch auch, dass das nicht reiche. Tausende afghanischer Kunststudenten hätten ihre Ausbildung nicht beenden können. Rund 1300 Frauen seien vor August 2021 an den beiden Kunstfakultäten eingeschrieben gewesen: "Was ist mit ihrer Zukunft?" Es sei wichtig, in Afghanistan lebende Künstler mit Stipendien und Residenzen zu unterstützen.

Weitere deutsche Kunsthochschulen sollen folgen

Als positives Beispiel verweist Omarzad auf die Offenbacher Hochschule für Gestaltung (HfG), die mehrere CCAA-Künstler als Studenten aufnahm und ihnen damit die Ausreise aus Afghanistan ermöglichte. In Kiel hätten sich zwei weitere Künstler immatrikulieren können. Diesem Vorbild sollten, so Omarzads Wunsch, weitere deutsche Kunsthochschulen folgen. An die Bundesregierung und den Frankfurter Magistrat appelliert er, dem CCAA zu helfen, die Ausbildung afghanischer Künstler in Frankfurt zu ermöglichen. Das zuvor in Kabul ansässige National Institute of Music habe seine Arbeit samt 280 Hochschulangehörigen in Portugal fortsetzen können.

Razia Akbari konnte ihr Kunststudium an der HfG wieder aufnehmen. Ihr liegt vor allem am Austausch und Dialog zwischen den exilierten und in Deutschland lebenden Künstlern: "Es ist eine Chance." Es sei wichtig, einen Ort für Begegnung und Zusammenarbeit zu haben, sagt Akbari über den Frankfurt Prototype. Dessen experimentelles Konzept habe sie positiv überrascht. Auch vom Eröffnungsabend hat sie positive Eindrücke mitgenommen. Akbari zeigt sich optimistisch: "Studenten werden zusammenkommen und diesen Ort formen."

"Nur Kunst und Kultur können Terrorismus und Gewalt bekämpfen"

Auch Omarzad sieht im temporären Domizil ein dem Kulturaustausch gewidmetes Projekt. Er sagt, dass die Aktivitäten seines Künstlernetzwerks sich nicht auf Afghanen beschränken sollen: "Wir heißen Künstler unterschiedlicher Nationalitäten willkommen, hierherzukommen und sich uns anzuschließen." Ein Kernanliegen des CCAA bestehe darin, eine Brücke zwischen Künstlern aus Afghanistan und Europa zu bauen.

Über die Lage der Künstler in seinem Heimatland macht sich Omarzad keine Illusionen. Die Herrschaft der Taliban bringe erhebliche Einschränkungen und Diskriminierungen mit sich. Das Regime lasse nur Werke zu, die zu ihrer Ideologie passten: "Sie wollen Taliban-Kunst." Die internationale Gemeinschaft müsse daher im Untergrund agierende Künstler unterstützen. Omarzad mahnt, nicht wegzuschauen, was heute eine Gefahr für Afghanistan sei, könne morgen die ganze Welt bedrohen. "Nur Kunst und Kultur können Terrorismus und Gewalt bekämpfen." Auf diese Weise könne auf der ganzen Welt eine "Kultur des Friedens und der Koexistenz" etabliert werden, sagt Omarzad.

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Welchen Beitrag kann The Frankfurt Prototype leisten? Schon wenige Wochen nach der Eröffnung seien afghanische Künstler sichtbarer, sagt Akbari. CCAA-in-Exile-Leiter Omarzad hofft auf bessere Teilhabe und einen intensiveren Austausch mit der deutschen Kulturszene. Es gelte, aus dieser neuen Erfahrung zu lernen. "In irgendeiner Weise werden wir das erreichen", meint er. "Wir werden etwas beginnen."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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