Extremismus von rechts: Bei der Verteidigung der Demokratie ist der starke Staat gefordert. Tatsächlich aber schwächelt die Politik nur allzu oft. Eine ernüchternde Analyse am Beispiel des Demokratiezentrums Hessen.

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Wir dürfen uns an Gewalt in der politischen Auseinandersetzung nicht gewöhnen! Niemals!", forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor wenigen Wochen bei der Gedenkfeier für den vor fünf Jahren von einem Rechtsextremisten ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. "Wir müssen unsere Demokratie aktiv verteidigen", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) jüngst bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2023. "Der Rechtsextremismus ist weiterhin die größte Bedrohung für unsere Demokratie", befand der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) Mitte April bei einem Besuch des Demokratiezentrums Hessen in Marburg.

Wenn es darum geht, vor der schleichenden Gefahr durch Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung oder Menschenfeindlichkeit zu warnen, sind die Politiker der demokratischen Parteien grundsätzlich einer Meinung. Der Rechtsstaat müsse schnell und entschlossen reagieren, um ein weiteres Auswuchern des rechtsextremen Geschwürs in der Gesellschaft zu verhindern. So weit, so gut. Aber wenn es darauf ankommt, mangelt es oft noch immer an Einigkeit und Konsequenz – oder auch einfach nur an Geld.

Beispiel Demokratiezentrum Hessen. Die an die Philipps-Universität in Marburg angegliederte Einrichtung ist nach Einschätzung des hessischen Innenministers Poseck beispielgebend für die Kooperation öffentlicher Stellen mit der Zivilgesellschaft, wenn es um Demokratieförderung und Extremismusprävention geht. Finanziert wird die Arbeit des Zentrums im Wesentlichen aus dem Bundesprogramm "Demokratie Leben". Ob es das im nächsten Jahr noch geben wird, ist allerdings ungewiss, weil sich die Diskussionen über den Bundeshaushalt 2025 in Berlin extrem schwierig gestalten.

Beratung "auf der Kippe" – ein fatales Signal

In diesem Jahr erhält das Demokratiezentrum insgesamt knapp 3,4 Millionen Euro, davon gut 2,2 Millionen aus Bundesmitteln und mehr als 1,1 Millionen vom Land. Die Bundesregierung steht indes vor der Herausforderung, eine enorme Finanzlücke zu schließen, und die Ampelkoalitionäre von SPD, Grünen und FDP wurden sich bisher nicht einig, wie das gelingen kann. SPD und Grüne wollen die Schuldenbremse lösen, die FDP pocht auf Einsparungen in Milliardenhöhe. Nach der Prognose der Steuerschätzer aus dem Mai wird der Staat im nächsten Jahr 22 Milliarden Euro weniger Steuern einnehmen als geplant.

"Unser gesamtes Beratungsprogramm steht auf der Kippe", warnt der Leiter des Demokratiezentrums, Reiner Becker. Ein solches Ausmaß an Verunsicherung habe er noch nie erlebt. Sollte der Haushaltsentwurf gar erst im Herbst vorliegen, werde die Lage "dramatisch". Es sei zu befürchten, dass das Förderprogramm "Demokratie Leben" und damit eine wesentliche Säule der Arbeit des hessischen Demokratiezentrums wegbreche. In Anbetracht des Erstarkens demokratiefeindlicher Kräfte in diesem Land wäre das ein fatales Signal.

Dass es so weit kommt, kann keiner der Beteiligten in dem zerstrittenen Berliner Regierungsbündnis wollen. Aber das hehre Ziel der Extremismusbekämpfung droht im Streit der Ampelkoalitionäre aus dem Blick zu geraten. Und das in einer Zeit, in der die Demokratie unter immer stärkerem Beschuss von rechts außen steht, in der Hetze und Verschwörungstheorien die Gesellschaft spalten. Schon Anfang dieses Jahres musste das Beratungsnetzwerk mehrere Mitarbeiter entlassen, weil sich die Berliner Koalition lange nicht auf den Etat 2024 einigen konnte. Nachdem das Zahlenwerk beschlossen war, wurden diese Mitarbeiter wieder eingestellt, doch die Unterbrechung ihrer Arbeit hat für Verunsicherung gesorgt und Spuren hinterlassen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte im Gedenken an Walter Lübcke die "Geschlossenheit im Kampf gegen den rechtsextremen Terror" an. Viel zu lange habe der Staat die furchtbare Gefahr des Rechtsterrorismus in ihrer ganzen Dimension übersehen. "Die rechtsextreme Ideologie, die vorhandenen Strukturen und Netzwerke, die Gruppierungen und ihre Kontakte wurden unterschätzt, die von ihnen ausgehende Gefahr verkannt." Gemessen an der Gedankenlosigkeit, mit der in Berlin schier endlos über die Ausgaben des Bundes im nächsten Jahr gestritten wird, scheint die Gefahr, die von der extremen Rechten ausgeht, allerdings noch immer nicht ausreichend ins Bewusstsein gedrungen zu sein.

Ein entschlossener Rechtsstaat

Diejenigen, die sich für unseren Staat engagieren und damit auch ein höheres Risiko tragen, Opfer von rechtsextremer Gewalt zu werden, verdienen den bestmöglichen Schutz – und sie brauchen eine breite gesellschaftliche Unterstützung. Dazu bedarf es einer guten politischen Bildung und eines wachen, schnell und entschlossen reagierenden Rechtsstaats. Nötig sind aber auch Hilfe und Beratung der von Rechtsextremismus, Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit Betroffenen sowie eine kompetente Präventionsarbeit – so, wie sie das Demokratiezentrum Hessen als Dachorganisation des hessischen Beratungsnetzwerks für Demokratie und gegen Rechtsextremismus leistet.

Das Netzwerk registrierte im vergangenen Jahr eine Rekordzahl von Beratungsfällen. Mehr als 300 Anfragen von Amtsträgern, Politikern, Wissenschaftlern, Schulen, Kommunen, Eltern und Familienangehörigen, Vereinen, zivilgesellschaftlich Engagierten und anderen, die von Menschen mit rechtsextremer Gesinnung bedroht oder angegriffen wurden, sind für das Jahr 2023 dokumentiert, und die bisher vorliegenden Zahlen zeigen bereits, dass es in diesem Jahr noch mehr sein werden. Das vom Land Hessen und dem Bund geförderte Beratungsnetzwerk berät Opfer von rechtsextremen Umtrieben unentgeltlich und vertraulich.

Nach Angaben des Demokratiezentrums Hessen, das die Arbeit des Beratungsnetzwerks koordiniert, stieg die Zahl der Hilfeanfragen im vergangenen Jahr von 206 auf 307 (plus 49 Prozent). Dabei sei eine deutliche Zunahme vor allem bei Themen wie Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit erkennbar. Zusätzlich zu diesen Fallberatungen gab es im Jahr 2023 noch 141 Bildungs- und Präventionsveranstaltungen des Beratungsteams – etwas weniger als noch im Jahr zuvor, weil Personal und Finanzen auf die konkreten Hilfeersuchen konzentriert werden mussten.

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Die Ursachen für den deutlichen Anstieg der Beratungszahlen sind laut Demokratiezentrum Hessen unter anderem im erstarkten Rechtsextremismus und Rechtspopulismus, in Polarisierungstendenzen in der Bevölkerung und vermehrten Radikalisierungen, Verrohungen und Anfeindungen im Internet zu suchen. Ausgelöst und verstärkt werden solche Tendenzen durch die aktuellen, gleichzeitigen Krisen – Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, Migration, Klimawandel, Inflation – , die bei vielen Menschen zu einer allgemeinen Verunsicherung, schwindendem Vertrauen in die Politik und Forderungen nach einfachen, schnellen Lösungen führen, die rechtsextreme Kreise vermeintlich anzubieten scheinen.

Für Institutionen, die sich dem Kampf gegen solche Tendenzen verschrieben haben, ist es ohnehin schwierig, sich von einem Förderjahr zum nächsten zu hangeln; umso mehr, wenn die Entscheidung über die Fördermittel erst im letzten Moment erfolgt. Das Demokratiezentrum Hessen betreibe demokratietheoretische Grundlagenforschung, die einen wertvollen Beitrag im Kampf gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit leiste, konstatierte Innenminister Poseck jüngst.

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Angesichts der zunehmenden Gefahr für Freiheit und Demokratie erscheint es nahezu undenkbar, dass eine solche Arbeit in ihren wesentlichen Zügen infrage gestellt werden könnte. Seit der Ermordung Walter Lübckes durch einen Rechtsextremisten vor fünf Jahren hat sich kaum etwas zum Besseren gewendet – im Gegenteil. Einrichtungen wie das Demokratiezentrum Hessen helfen jenen, die von Menschen mit rechtsextremer Gesinnung bedroht oder angegriffen werden. Der Bedarf ist enorm. Den Sonntagsreden der Politiker müssen deshalb Taten folgen, am Engagement des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates gegen seine Feinde darf es keine Abstriche geben. Mehr, nicht weniger Einsatz, mehr, nicht weniger Geld tut hier not.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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