Abschiebung nach Afghanistan: Menschen, die in Frankfurt leben, aber Familie in Afghanistan haben, wollen nicht mit Gewalttätern in Verbindung gebracht werden. Die Debatte über Abschiebung verunsichere genau die Falschen.

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Wenn in diesen Tagen in fast jeder Nachrichtensendung, jeder Zeitung davon die Rede ist, dass straffällige Afghanen abgeschoben werden sollen, bewegt das besonders jene Menschen, die vor den Taliban nach Deutschland geflüchtet sind. Gleichgültig, ob sie schon jahrzehntelang hier sind oder erst seit kurzem. Lemar Omari, der selbst vor mehr als zehn Jahren sein Heimatland verließ, erlebt die Nöte seiner geflüchteten Landsleute hautnah: Jeden Abend, wenn er auf Tiktok seinen ehrenamtlichen Deutschunterricht gibt, erreichen ihn viel existenziellere Fragen als jene nach der richtigen Verbform: "Werden wir jetzt alle nach Afghanistan zurückgeschickt?"

Omaris Livestream folgen jeden Abend bis zu 3000 Menschen, darunter viele Flüchtlinge aus seinem Heimatland, die sich von ihm die schwierige deutsche Grammatik gerne in ihrer Muttersprache erklären lassen. Deshalb ist er vielen Afghanen in Deutschland bekannt.

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Und er hat diese Popularität genutzt, um wenige Tage nach der tödlichen Messerattacke eines Islamisten auf einen Polizisten in Mannheim zu einer Kundgebung in Frankfurt aufzurufen. Er wandte sich an seine Follower, die wie er schockiert waren von der Tat ihres Landsmanns: Sie sollten sich am 8. Juni auf dem Kaiserplatz versammeln. Viele kamen. Teilnehmer der Veranstaltung berichten, dass nach der Rede von Omari, die er auf Deutsch und Persisch hielt, viele Anwesende ihre Abscheu über die Tat zum Ausdruck gebracht und den Hinterbliebenen ihr Beileid ausgesprochen hätten.

Seit jenem Tag sind die Zuschriften, die Omari erhält, noch zahlreicher geworden. Anfangs versuchte er seinen besorgten Landsleuten noch zu erklären, dass nur über die Rückführung von Straftätern beraten werde. Seit davon die Rede ist, dass das Innenministerium Wege sucht, Gefährder aus Afghanistan an Usbekistan zu übergeben, kann er die vielen Anfragen nicht mehr beantworten. Besorgt seien besonders jene, deren Asylantrag schon abgelehnt worden sei, die aber bisher in Deutschland bleiben durften, weil sie ein Abschiebungsverbot in das von den islamistischen Taliban regierte Land schützt. Dort sind Hinrichtungen, Amputationen, Auspeitschungen alltäglich. Weil das Land derart archaisch regiert wird, sind seit Jahren Rückführungen aus Deutschland ausgesetzt.

Besorgte Anfragen aus Afghanistan

Die Schlagzeilen in Deutschland erreichen heutzutage auch Kabul und Herat, über die sozialen Medien haben auch die Angehörigen der Flüchtlinge davon gehört. Sie fragen ständig nach, ob ihre Familienmitglieder bald wieder zurückkehren müssen, wie Omari berichtet. Er sucht nun Kontakt zum Hessischen Innenministerium, um sich von dort bestätigen zu lassen, dass nur straffällig gewordene Landsleute damit zu rechnen haben, Deutschland verlassen zu müssen. Dieses Wissen möchte er gerne auf seinem Tiktok-Kanal teilen.

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Die Verunsicherung vieler Afghanen, die in Deutschland Schutz gesucht haben, spürt auch Hanifa Haqani bei ihren Klienten. Die Geschäftsführerin von Rumi Impuls, die schon seit Jahren in der Extremismus- und Gewaltprävention arbeitet, weiß um die Angst der Geflüchteten vor Pauschalurteilen. "Wir klären sie dann auf, dass eine Abschiebung in einer Demokratie nicht so einfach passiert." Die schrillen Überschriften, in denen rasche Rückführungen von straffälligen Asylbewerbern gefordert werden, ängstigten genau jene, "die hier bleiben und sich integrieren wollen", sagt Haqani. Der Wunsch nach Abgrenzung zu Gewalttätern sei groß: "In meinem Umfeld gibt es Afghanen, die sagen über Täter wie jenen von Mannheim: Raus aus Deutschland mit solchen Islamisten."

Die Debatte, die nun geführt werde, sei grundsätzlich positiv. "Die Bürger müssen auch spüren, dass etwas passiert, dass man diese Taten nicht nur hinnimmt. Wir müssen zeigen, dass unsere Demokratie stark ist und Konsequenzen fordert." Aber vieles werde verkürzt auf Schlagzeilen, ohne dass genauer erläutert werde, welche Delikte zu einer Abschiebung führen sollten, wie lange Verfahren vor Gericht dauern könnten oder warum gerade nur Straftäter aus Syrien und Afghanistan im Fokus der Politik zu stehen scheinen. Die öffentliche Erregung scheine wie eine Schiffsschaukel hin und her zu schwingen, sagt Haqani. In den sozialen Medien verursacht sie extreme Ausschläge: Rechtsextreme Gewalttaten nutzen dort Islamisten, um zu behaupten, dass Muslime in Deutschland nicht erwünscht seien. Anschläge von Islamisten wiederum dienen den Rechtsradikalen im Netz, um gegen Geflüchtete zu hetzen. Haqani wünscht sich auch von der Politik den Mut zur Mitte, zur Rationalität: "Extremisten schüren unsere Ängste. Sie appellieren nicht rational, sondern emotional."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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