"Schockstarre": Das gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen KWB im Rheingau-Taunus-Kreis hat genug von den folgenlosen Lippenbekenntnissen der Politik. Wer mehr Wohnungen will, der muss einiges ändern, so die Forderung.

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Die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum gehört zum Standardrepertoire der Politiker nicht nur in der Rhein-Main-Region. Doch die Entwicklungen in den zurückliegenden fünf Jahren haben es noch unwahrscheinlicher werden lassen, dieses Ziel zu erreichen. Den Beleg dafür lieferte kürzlich die gemeinnützige Kommunale Wohnungsbau (KWB) im Rheingau-Taunus-Kreis mit ihrer Bestandsaufnahme anlässlich ihres fünfundsiebzigjährigen Bestehens.

In dieser Bilanz ist von einer deutlichen Eintrübung der Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau die Rede, ausgelöst durch den Anstieg der Baupreise und der Leitzinsen, durch hohe Energiekosten und wegen einer Überregulierung durch den Staat bei gleichzeitig unzureichend ausgestatteten Förderprogrammen nebst einem "unausgewogenen und unsozialen Mietrecht".

Wohnungsneubau der KWB kommt zum Erliegen

Nach Angaben der KWB führen die seit 2019 um 42 Prozent gestiegenen Baupreise zu Baukosten von mehr als 5000 Euro je Quadratmeter Wohnfläche und damit zu Kostenmieten von 20 Euro je Quadratmeter. Solch teure Wohnungen zu errichten ist aber nicht das Ziel der 1949 gegründeten und gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft, die heute 2569 Wohnungen in ihrem Bestand hat mit einer Durchschnittsmiete von deutlich weniger als zehn Euro. Ihr vorrangiges Ziel ist bis heute "eine sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung der breiten Schichten der Bevölkerung".

Doch die aktuelle Misere ist groß. Der Wohnungsneubau der KWB kommt absehbar völlig zum Erliegen. Aktuell wird in Idstein zwar noch ein Neubau mit 25 Wohnungen errichtet, der im Dezember bezugsfertig sein soll. Und dank eines geschickt eingesetzten Wohnbaudarlehens wird die Kaltmiete wohl bei gerade noch moderaten 12,70 Euro je Quadratmeter liegen.

Ohne dieses Darlehen wären es mehr als 15 Euro je Quadratmeter, was die KWB in einer Kommune wie Idstein "weder für durchsetzbar noch mit unserem Unternehmenszweck für vereinbar" hält. Die Konsequenz: "Weitere Neubauten sind derzeit nicht geplant", heißt es lapidar im Bericht. Lediglich vorbereitende Planungen sollen fortgesetzt werden, um die "Pipeline" mit möglichen Projekten zu füllen und gegebenenfalls schnell reagieren zu können.

5000 zusätzliche Wohnungen nötig

Danach allerdings sieht es nicht aus. Die Pläne werden absehbar in der Schublade bleiben. Das Bauen sei "unfassbar teuer" geworden, bestätigte Axel Tausendpfund vom Verband der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft auf dem KWB-Jubiläumsempfang die eingetretene "Bauflation".

Die Zahl der Baugenehmigungen breche weiter ein, und die Schere zwischen Angebot und Bedarf gehe immer weiter auseinander. Allein im Rheingau-Taunus-Kreis seien bis zum Jahr 2040 rund 5000 zusätzliche Wohnungen nötig. Dass sie gebaut werden, scheint wenig wahrscheinlich. Dabei leben laut Landrat Sandro Zehner (CDU) derzeit 4000 Menschen in Provisorien und benötigen eigentlich eine Wohnung. Dafür reiche eine "Innenverdichtung" der Städte nicht aus. Doch Freiflächen für Wohnungsbau seien rar, gerade auch im Rheingau zwischen Rhein und Reben.

Der Bund müsse das Baurecht reformieren, seine Förderprogramme optimieren und die Zinsen auf rund ein Prozent verbilligen, damit das Bauen wieder einfacher, günstiger und schneller werde, lauten die Forderungen von Tausendpfund. Doch solche Besserung ist nicht in Sicht.

Immer mehr Bürokratie

Harald Simons vom Forschungsinstitut Empirica sieht die Bodenbildung bei den Genehmigungen noch nicht erreicht, weil viele Projekte wegen der langen Planungs- und Genehmigungszeiträume noch in der "Pipeline" seien. Diese werde erst 2025/26 leergelaufen sein. Erst im Jahr 2028 rechnet er wieder mit einem Anstieg der Baugenehmigungen.

Die "Schockstarre" der Branche könne sich schon 2025 wieder langsam lösen. Allerdings rechnet Simons nicht damit, dass bürokratische Hemmnisse und Auflagen tatsächlich weniger werden. Die vielfach geforderte Entbürokratisierung scheitere immer dann, wenn es konkret werde. Dann werde jede einzelne der Regeln verteidigt, die allein in der Hessischen Bauordnung mehr als 500 Seiten umfassen.

Das sind auch die leidvollen Erfahrungen der KWB und ihres langjährigen Geschäftsführers Ditmar Joest. Den "ritualisierten Lippenbekenntnissen" zur Notwendigkeit des Abbaus überzogener Regelungen folgten keinerlei konkrete Entscheidungen. Inzwischen müsse vor dem Abbruch eines Gebäudes ein Lärmgutachten vorgelegt werden, das unter anderem das Zuschlagen von Lastwagentüren bewerte. Ein Gutachten, das bestätige, dass Bauarbeiten eine Lärmquelle seien, habe 3800 Euro gekostet.

Gutachterkosten übersteigen Jahresgewinn

Andernorts im Landkreis sei der Ausbau eines Dachgeschosses mit zusätzlichen Wohnungen im Zuge einer Gebäudemodernisierung nur deshalb unterblieben, weil auf dem bestehenden Grundstück keine zusätzlichen Stellplätze hätten nachgewiesen werden können. Die KWB habe sich deshalb auf die Modernisierung beschränken müssen.

Nach Ansicht von Joest wird das Wettrennen zur "kreativen Neuerfindung" immer weiterer Vorschriften fortgesetzt. Womöglich werde Vermietern künftig abverlangt, die Schadstofffreiheit jeder einzelnen Wohnung zu dokumentieren. Die KWB rechnet im Einzelfall mit Gutachterkosten von 3500 Euro und einer jährlichen Mehrbelastung von 900.000 Euro. Das übersteige den üblichen Jahresgewinn der KWB.

Immobilienexperte Simons sieht die Hauptursache der Krise des deutschen Mietwohnungsmarktes in der wachsenden Differenz zwischen Bestandsmieten und Neuvertragsmieten. Diese klaffe so weit auseinander, dass es zu wenig Bewegung auf dem Markt gebe. Wohnungstauschbörsen seien deshalb zum Scheitern verurteilt.

Er plädierte dafür, neben der Senkung der Grunderwerbsteuer die Grundsteuer deutlich zu erhöhen, um Anreize zu geben, beispielsweise im Alter eine zu große Wohnung gegen eine kleinere zu tauschen, um hohe Kosten zu sparen. In anderen Ländern zeige das auf dem Mietwohnungsmarkt spürbare Wirkungen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Politik – trotz Einsicht in die Stichhaltigkeit des Arguments – diesen Vorschlag aufnehme und die Steuer anhebe, bezifferte Simons auf "null Prozent".

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Noch radikaler fielen auf der Jubiläumsveranstaltung der KWB die Vorschläge der Architektin und Wissenschaftlerin Annette Hillebrandt von der Bergischen Universität Wuppertal aus. Sie plädierte dafür, Neubaugebiete in Natur und Landschaft aus Rücksicht auf den Planeten ganz zu unterlassen. Notwendig sei, bestehende Gebäude weiter zu nutzen, sie für flexible Nutzungen umzubauen und wo immer möglich aufzustocken.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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