"Ich dachte immer, in Deutschland werde ich endlich in Würde und in Freiheit leben können, das ist mein Traum.

Mehr News aus Nordrhein-Westfalen finden Sie hier

Jetzt hoffe ich, dass es nicht mein Albtraum wird." Renas Sido ist in Syrien aufgewachsen. 2011 verließ er das Land, um nicht dem Militär beitreten zu müssen. Zwischenzeitlich lebte er im Libanon, in Libyen, in der Türkei und im Irak, 2015 floh er nach Deutschland. Über den Rassismus, den er auf seiner gesamten Flucht und bis heute erlebt, sprach er im Siegburger Gymnasium Alleestraße.

Die Volkshochschule Rhein-Sieg, das Katholisch-Soziale Institut, der Verein KuBiFo und die evangelische Erwachsenenbildung an Rhein und Sieg haben den Buchautor im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus eingeladen. Nach seiner Lesung um Punkt 18.51 Uhr, nach Sonnenuntergang, genießen alle Gäste ein gemeinsames Fastenbrechen ("Iftar") im Zuge des Ramadan.

Renas Sido möchte mit seiner Geschichte gegen den Hass arbeiten

Sein Buch "Wo sind meine Olivenbäume" hat Renas Sido auf Empfehlung eines Psychologen geschrieben. Nachdem dieser Sidos Geschichte gehört hat, habe er gesagt: "Ich brauche jetzt wohl selbst einen Psychologen", erzählt der 32-jährige Autor. Es könne helfen, sich alles von der Seele zu schreiben. "Das Buch hat mich gerettet. Ich möchte damit auch andere Leben retten", sagt Sido.

Als syrischer Kurde sei er in der Türkei beschimpft und beleidigt worden, in Libyen musste er seinen Vornamen ändern, um nicht fälschlicherweise für einen Christen gehalten zu werden. In Syrien sei ihm schon in der Schule der Hass auf Juden eingetrichtert worden. "Es tut mir leid, wenn ich manchmal stottere", sagt Renas Sido. Das komme unter anderem von den harten Bestrafungen, die er als Schüler zu befürchten hatte, wenn er etwas Falsches sagte.

Ich konnte nie rechtfertigen, dass ich in diesem Land einfach ganz normal leben möchte.

Renan Sido, Buchautor

In Neuss kam Sido 2015 in einem Sammellager für Geflüchtete unter. Schnell lernte er Deutsch und begann zu arbeiten, von Kollegen sei er zunächst herablassend behandelt worden. Bald stieg er in eine höhere Position auf. "Dann hieß es, ‚Warum bekommt der Flüchtling ein eigenes Büro und ich nicht?‘", erzählt Renas Sido. "Ich konnte nie rechtfertigen, dass ich in diesem Land einfach ganz normal leben möchte. Aber das ist auch nicht meine Aufgabe."

Er erzählt die Geschichte, als er einmal zu spät zur Arbeit kam, weil er auf dem Weg eine demenzkranke Frau gesehen hatte, die halbnackt und ohne Schuhe auf eine Straße lief. Er habe ihr eine Jacke gegeben, die Polizei gerufen und mit ihr gewartet. "Meine Kollegen haben dann gesagt, das hätten sie nicht gemacht - und ob ich nur einen deutschen Pass wollen würde, ob ich Hintergedanken gehabt hätte", sagt der Autor schockiert.

Einen deutschen Pass beantragte er lange nicht, jetzt hat er das vor: "Um gegen die AfD zu wählen." Der Raum applaudiert. "Nicht jeder AfD-Wähler ist ein Nazi", sagt Renas Sido später im Gespräch, "viele sind verzweifelte Menschen, so wie auch ich oft verzweifelt bin." Er hoffe, mit seiner Geschichte auch Menschen zu erreichen, die mit rechten Parteien sympathisierten, ihnen seine Perspektive zeigen zu können.

Er und seine Familie fühlten sich in der jüngsten Zeit in Deutschland sehr viel weniger sicher als früher, so Sido. Rechte Positionen würden öffentlich geäußert, normalisiert. Er wolle jedoch weiterhin das Gespräch suchen. Hierzu möchte er auch Schulen besuchen, da er selbst als Schüler die Erfahrung machen musste, wie schnell man schon Kindern Hass eintrichtern kann.

VHS Rhein-Sieg: Feiern interkultureller Feste normalisieren

"Ihm sind schlimme Sachen in der Türkei passiert, meinem Heimatland – wo ich mir dachte, wie kann das nur sein. Und hier in Deutschland passiert Rassismus genauso" sagt Semih Ücok (23), der die Lesung besucht, "Wie viele solche Geschichten gibt es, von denen wir nicht wissen?" Aysun Ücok (21) würde sich wünschen, dass mehr jüngere Menschen an solchen Veranstaltungen teilnehmen: "Wir sind ja die Generation, die versuchen kann, etwas zu ändern."

Auch Holger Hansen, Leiter der VHS Rhein-Sieg, zeigt sich besorgt nach der jüngsten Bundestagswahl. Engagement für Demokratie und Vielfalt sei jetzt wichtiger denn je. "Selbst mit Menschen mit anderem Glauben im Kontakt zu sein - ich glaube, da ist der erste Schritt getan, dass man für rechtes Gedankengut nicht empfänglich ist", sagt Hansen.

Ramadan ist eine Zeit, um Vorurteile zu brechen und aufeinander zuzukommen.

Yeşim Özenmiş, Kunst- und Bildungsforum Bonn-Rhein-Sieg

Das gemeinsame Feiern von Festen wie dem täglichen Fastenbrechen während des Ramadan wolle man daher normalisieren. "Uns liegt es am Herzen, das ganz unaufgeregt einfach zu tun", sagt der VHS-Leiter. Die Initiative, eine Lesung über Rassismus mit dem Iftar zu verbinden, kam von Marzena Apitz, die den Fachbereich "Selten unterrichtete Sprachen" an der VHS leitet. "Dass während des Ramadan eigentlich jeder Tag ein Fest ist, kann so viele schöne Gelegenheiten bieten, um zusammenzukommen", so Apitz.

Vielen Dank für Ihr Interesse
Um Zugang zu allen exklusiven Artikeln des Kölner Stadt-Anzeigers zu erhalten, können Sie hier ein Abo abschließen.

Wichtig ist dafür natürlich auch das Essen: Das haben Yeşim Özenmiş und Güzün Cam mit weiteren Ehrenamtlichen des Siegburger Kunst- und Bildungsforums (Kubifo) vorbereitet. "Es bedeutet mir sehr viel, das zu teilen - das Fastenbrechen ist unser sozialer Höhepunkt", sagt Güzün Cam. Über das gemeinsame Genießen wolle man kulturelle Verbindungen knüpfen, sagt Yeşim Özenmiş: "Ramadan ist damit eine Zeit, um Vorurteile zu brechen und aufeinander zuzukommen."  © Kölner Stadt-Anzeiger