Lukas Sieper (27) aus Wiehl ist seit der Wahl im Juni vergangenen Jahres als erster Oberberger überhaupt Mitglied des Europäischen Parlaments.

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Vier Jahre zuvor hat er die "Partei des Fortschritts" gegründet. Diese wird bald auch einen Bürgermeisterkandidaten in seiner Heimatstadt aufstellen. Reiner Thies sprach mit dem Jungpolitiker über seine Arbeit in Brüssel und Straßburg und seine Perspektiven.

Sie tragen keinen Schnurrbart mehr, und auf den offiziellen Fotos sieht man Sie im schicken Anzug. Ist das der neue Berufspolitikerstyle?

Lukas Sieper: Der Altersdurchschnitt hier liegt bei 55 Jahren. Ich werde als Youngster gesehen, versuche aber, meiner Rolle gerecht zu werden und mich anzupassen. Im Plenum trage ich einen Anzug, weil das Europäische Parlament eine Institution ist, die einem ein gewisses Maß an Würde abverlangt. Man muss sich im Plenum aber auch warm anziehen, die Klimaanlage ist gnadenlos.

Sie hatten kürzlich Besuch von Schülern des Wiehler Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums, Ihrer alten Schule. Was haben Sie denen erzählt?

Ich habe von meinem Parlamentarieralltag berichtet, von Meetings, Sitzungen und Auftritten in den Sozialen Medien. Ich habe aber auch meine eigene Geschichte als Beispiel dafür erzählt, dass es sich lohnt, politisch aktiv zu werden. Als junger Mensch muss man sich den Respekt erkämpfen, aber man kann es schaffen.

Wie sieht denn Ihr Alltag aus? Was hat Sie überrascht? Was ist wie erwartet?

Ich habe damit gerechnet, dass es einen harten Kampf gibt unter den Fraktionen. Diese sind abgeschlossene Blöcke, in die man schlecht hineinkommt. Auch wenn sie abends ein Bier trinken gehen, bleiben die Grünen und die Liberalen unter sich. Unser politischer Ansatz ist ein anderer. Mich hat überrascht, wie unfair mit Fraktionslosen wie mir umgegangen wird und wie sie von den politischen Entscheidungen ausgeschlossen werden. Ich bin oft gegen Wände gelaufen, die sich nicht aus dem Gesetz, sondern aus interfraktionellen Vereinbarungen ergeben. Das hat allerdings seinen Grund, muss ich zugeben: Die meisten anderen Fraktionslosen sind extremistische Spinner.

Warum schließen Sie sich nicht einer Fraktion an?

Das haben wir auf der allerersten Seite des Wahlprogramms ausgeschlossen. Wir wollen allerdings zur Mitte der Legislaturperiode eine neue Fraktion gründen, wenn wir mindestens 26 Abgeordnete aus sieben Ländern zusammenbekommen. Wenn sich herausstellen sollte, dass der Nutzen für meine Wähler größer ist, würde ich auch einer bestehenden Fraktion beitreten. Allein ist es schwierig. Mir ist es nach einiger Zeit immerhin gelungen, einige Aufmerksamkeit zu erkämpfen, das ist die wichtigste Währung im Parlament. Tatsächlich bin ich schon als "das unangenehme gute Gewissen des Parlaments" bezeichnet worden. Eine grüne Kollegin hat mich sogar "einen der Stars dieses Parlaments" genannt.

Was war der Anlass für dieses Lob?

Gerade weil ich zu keiner Fraktion gehöre, kann ich mir erlauben, was sich andere nicht trauen. Ein Beispiel war eine Resolution, in der wegen des Bürgerkriegs im Sudan humanitäre Hilfe gefordert wurde. Ich habe im Plenum gesagt: "Das ist alles schön und gut, liebe Leute. Aber hier geht es um systematische Vergewaltigung von Kindern als Kriegswaffe. Wir sollten Eurofighter dahinschicken!"

Sie haben nach dem Abi einen freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr absolviert. Muss Europa wehrhafter werden?

In einer perfekten Welt bräuchten wir keine Waffen. Aber wir haben es heute mit blutrünstigen Diktatoren zu tun, die vor Kriegsverbrechen nicht zurückschrecken. Die Antwort muss eine europäische sein. Die Luxemburger werden uns Deutsche nicht angreifen, die Bedrohung richtet sich von außen auf das gesamte Europa. Die EU hat in Zeiten der Krise immer zusammengehalten. Ich bin sehr zuversichtlich, was das angeht.

Sind Sie noch dann und wann in Oberberg?

In Oberberg bin ich nur noch selten, seit meine Eltern nicht mehr in Wiehl leben. Aber am 23. Dezember war ich in der Stadt beim "Warten auf das Christkind", wenn sich alle auswärtigen Wiehler in der Heimat auf ein Kölsch treffen. Ich habe gelernt: Man weiß nicht, wie sehr man seine Heimat liebt, bis man ausgewandert ist. Wenn ich über die Autobahn nach Oberberg fahre und die grünen Hügel sehe, geht mir das Herz auf. Ich habe eine Wohnung in Brüssel. Und wenn die Sitzungen in Straßburg anstehen, miete ich mir dort ein Airbnb, das ist billiger als ein Hotelzimmer. Meine Wohnung in Köln ist heute eher ein Wahlkreisbüro mit Bett.

Wie entwickelt sich die Partei?

Seit der EU-Wahl ist die Zahl der Mitglieder von 200 auf 780 gewachsen. Dazu kommen 300 Anträge, die in Bearbeitung sind. Es gibt inzwischen 13 Landesverbände. Die Zahl unserer Follower in den Sozialen Medien hat sich vervielfacht. Wir bekommen jetzt mehrere 10.000 Euro aus dem Etat der Parteienfinanzierung, was eine Menge ist, wenn man bedenkt, dass unser EU-Wahlkampf-Budget nur 2500 Euro betrug.

Ein Wermutstropfen ist, dass wir nicht bundesweit, sondern nur in NRW und Berlin zur Bundestagswahl zugelassen wurden. Das war unfair. Obwohl wir wegen des vorgezogenen Wahltermins viel weniger Zeit hatten, hätten wir 30.000 Unterschriften vorlegen müssen. Wir hatten aber nur 7000 zusammen. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen. Das Gute an Deutschland ist, dass immer irgendwo eine Wahl ansteht. So werden wir auch bei der Kommunalwahl in NRW vielerorts antreten. Übrigens auch mit einem Bürgermeisterkandidaten in Wiehl. Ich kann aber noch nicht verraten, wer es ist.

Aber nicht Sie selbst, oder?

Nein, ich habe mit mehr als 90 Stunden in der Woche als Parlamentarier genug zu tun. Ich möchte gern wieder ins EU-Parlament gewählt werden. Mein Traum war eigentlich immer der Bundestag. Aber hier gefällt es mir auch gut. Und an der Fünf-Prozent-Hürde des Bundestages sind ja schon ganz andere Parteien gescheitert. Wenn in fünf Jahren wieder Wahl ist, wollen wir zwei Prozent schaffen.

Zur Person

Aufgewachsen ist Lukas Sieper in Wiehl, 2015 machte er dort sein Abitur. Nach einem Jurastudium in Köln trat Sieper 2024 ein Referendariat an, von dem er derzeit beurlaubt ist. 2020 gründete er mit den beiden Oberbergern Lukas Preis und Carlo Lüdorf die "Partei des Fortschritts" (PdF) und amtiert seitdem als Parteisprecher. Als Listenplatzerster zog Sieper 2024 ins Europaparlament ein, weil die PdF mit bundesweit 227.631 Stimmen (0,6 Prozent) ein Mandat gewann.

Bonhoeffer-Schüler besuchten das EU-Parlament in Straßburg

Die 40 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 12 des Wiehler Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums staunten nicht schlecht, als sie auf der Zuschauertribüne des Europäischen Parlaments während der Debatte begrüßt wurden. Lukas Sieper, ein ehemaliger Abiturient des DBG, hatte die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten nach Straßburg eingeladen, wo das Parlament Mitte März tagte.

Lukas Sieper hatte die Wiehler Gruppe zuvor in einem Konferenzraum empfangen, um "vom spannenden Leben eines EU-Parlamentariers" zu berichten, schildert DBG-Lehrer Felix Draube, der die Reise anführte. Anschließend erhielten die Jugendlichen eine Führung durch das Parlamentsgebäude, bevor sie auf der Zuschauertribüne die Debatte und die anschließende Abstimmung beobachten konnten. Abiturientin Lea findet: "Man merkt, dass das Parlament das Wohl seiner Bürgerinnen und Bürger vor Augen hat."

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Am Abend besuchte Sieper die Jugendlichen, um mit ihnen den Besuch in Straßburg ausklingen zu lassen. Der Kontakt zum Europaabgeordneten kam über Felix Draube zustande, Siepers ehemaligen Geschichtsleistungskurslehrer. Dieser kann sich nach dem Besuch in Straßburg gut vorstellen, die Exkursion zu einer regelmäßigen Einheit seines Unterrichts zu machen: "Demokratieförderung ist fester Bestandteil unserer täglichen Arbeit am DBG Wiehl", sagt Draube. "Und wo ging dies besser als im Epizentrum des europäischen Gedankens, der unseren Frieden seit über 80 Jahren sichert?"   © Kölner Stadt-Anzeiger