Vorbild Rheinland-Pfalz: Um über eine Asylklage zu entscheiden, benötigen die hessischen Verwaltungsgerichte im Schnitt 25,9 Monate. Aber die Statistik verrät nur die halbe Wahrheit.

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Die hessischen Verwaltungsgerichte benötigten im Durchschnitt deutlich mehr als 20 Monate für Asylverfahren, heißt es im Berliner Regierungsviertel mit einem Gruß nach Wiesbaden. Im Nachbarland Rheinland-Pfalz hingegen vergingen bis zu einer Entscheidung nur 3,5 Monate. Die Zahlen dienen dann als Hilfsargument in der Debatte über die Migrationspolitik. Damit wird auf die einmütig erhobene Forderung der Ministerpräsidenten reagiert, der Bund müsse viel mehr zur Steuerung der Migration tun. Aber die Berliner Einflüsterer haben recht: Auch die Länder haben ihre Hausaufgaben zu erledigen.

Und die Länder wissen es. So einigte sich die Ministerpräsidentenkonferenz im November des vergangenen Jahres unter der Führung des Hessen Boris Rhein (CDU) mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf das Ziel, "das Asyl- und das anschließende Gerichtsverfahren jeweils in drei Monaten abzuschließen. In allen anderen Fällen sollen die behördlichen sowie erstinstanzlichen Asylverfahren jeweils regelhaft nach sechs Monaten beendet sein."

Dauer deutlich über dem Bundesdurchschnitt

Im vierten Quartal des vergangenen Jahres dauerten die asylgerichtlichen Verfahren in Hessen sogar 29,2 Monate. Der Bundesdurchschnitt lag 2023 bei 20,8 Monaten. Die Zahlen von 2020 an seien ein Spiegelbild früherer Jahre, erklären die Fachleute in den hessischen Ministerien für Justiz und Inneres. Infolge der 2015 ausgelösten Flüchtlingswelle seien deutlich mehr Klagen neu eingegangen, als von den Verwaltungsgerichten hätten erledigt werden können, zumal zwischen 2009 und 2014 noch 32 Stellen abgebaut worden seien. Die Neueingänge hätten sich nach 2015 vervielfacht. Eine hohe Welle sei auf eine "stark abgemagerte Gerichtsbarkeit" getroffen. Darum seien in jedem Berichtsjahr die Bestände an nicht erledigten Verfahren deutlich gewachsen.

In Berlin wird die Verfahrensdauer in Hessen also zutreffend benannt. Aber die Zahl verrät nur einen Teil der Wahrheit. Denn es handelt sich um einen Durchschnittswert. Neu eingehende Verfahren dauern nicht so lange. Die Verwaltungsgerichte erledigen immer noch Altbestände. Nur die abgeschlossenen Fälle fließen in die Statistik ein, nicht aber die laufenden Verfahren.

Nachbarland schneidet viel besser ab

Dies führt dazu, dass die offiziell genannten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten ansteigen, wenn viele Altverfahren erledigt werden. "Die Reduzierung von Altbeständen ist an sich gut, verschlechtert aber die Statistik der Laufzeiten", so die Quintessenz der Landesregierung. Im Übrigen gingen die Verfahrenslaufzeiten erkennbar zurück. 2023 hätten sie schon unter dem Durchschnitt von 2022 gelegen. Außerdem seien die Altbestände an Asylverfahren erheblich reduziert worden, nämlich von 25.946 im Jahr 2017 auf 7590 im ersten Quartal 2024.

Dass Rheinland-Pfalz viel besser dasteht und mit der angegebenen Laufzeit von 3,5 Monaten im Bundesvergleich klar am besten abschneidet, hat einen strukturellen Grund. Alle Asylklagen werden im Verwaltungsgericht Trier zentral behandelt. An dieser Zentralisierung nimmt sich Hessen nun ein Beispiel. Roman Poseck (CDU), seit dem Sommer 2022 Justiz- und seit Januar dieses Jahres Innenminister, wählte dafür den Standort Gießen aus. Seit Anfang des Jahres werden dort alle asylgerichtlichen Klagen von Flüchtlingen aus sicheren oder selten behandelten Herkunftsstaaten bearbeitet.

In der Vergangenheit waren Richter an unterschiedlichen Orten in Hessen gleichzeitig damit beschäftigt, sich mühevoll in die Besonderheiten derselben Herkunftsstaaten einzuarbeiten. Dieser mehrfache Aufwand fällt nun weg. In der Regel werden die Richter in Gießen nur noch mit Staaten befasst, die sie von vornherein einschätzen können.

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Von der Konzentration ausgenommen sind Fälle, in denen es um große Herkunftsstaaten wie etwa Türkei, Syrien oder Äthiopien geht. Bei ihnen ist das Fallaufkommen so hoch, dass auch die normalen Verwaltungsgerichte über die nötigen Erfahrungen verfügen. Außerdem behält das Verwaltungsgericht Frankfurt seine Zuständigkeit für die sogenannten Flughafenverfahren. Ob das Modell sich bewährt, werden die nächsten Zahlen zeigen.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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