Wiesbadener Citybahn-Debatte: Wiesbaden hat einen neuen Nahverkehrsplan beschlossen, der das Bussystem verbessern soll. Doch der Plan lässt die Debatte um die Straßenbahn neu aufflammen.
Vor vier Jahren haben sich die Wiesbadener mit der Mehrheit von 62 Prozent der Stimmen gegen die Rückkehr der Straßenbahn ins historische Stadtbild ausgesprochen. Die Befürworter einer "Citybahn", die mit einer Neubaustrecke von Mainz über Biebrich die Innenstadt durchfahren und dann auf die Gleise der denkmalgeschützten Aartalstrecke gen Bad Schwalbach einschwenken wollten, erlitten eine deutliche Niederlage.
Die rechtliche Bindungswirkung dieses Bürgerentscheids für die Kommunalpolitik ist vor mehr als einem Jahr abgelaufen. Eine neue Entscheidung wäre möglich. Ausgerechnet die Diskussion über den neuen, vom Linksbündnis aus Grünen, SPD, Linke und Volt beschlossenen Nahverkehrsplan wird absehbar zu einer Neuauflage der emotional geführten Auseinandersetzung über die Tram führen.
Zwar hatte der Nahverkehrsplan einzig die Aufgabe, "auf einem weißen Blatt Papier" ein von Grund auf neues Bussystem zu entwickeln, das effizienter, schneller und komfortabler ist als sein in den Sechzigerjahren wurzelnder Vorgänger. Ein System, das Autofahrer zum Umsteigen auf den Bus bewegen kann.
Der Plan sieht vor, dass künftig Metrobusse auf den Achsen mit der höchsten Fahrgastnachfrage fahren, während Sprinterbusse eine schnelle Verbindung zwischen den Vororten und der Innenstadt herstellen. Stadtbusse und Rufbusse sorgen für die Feinerschließung im Stadtgebiet.
Kann der Entscheid zur Citybahn revidiert werden?
Doch das 430 Seiten starke Werk enthält einige Passagen, die die Gegner der Straßenbahn in Alarmzustand versetzt haben. Die FDP sowie die FWG, die in der Stadtverordnetenversammlung mit Pro Auto eine Fraktionsgemeinschaft bildet, haben einige Einschätzungen der Verkehrsplaner bewogen, in der jüngsten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung die im Mobilitätsausschuss noch geübte Stimmenthaltung in ein entschiedenes Nein umzuwandeln.
Diese Fraktionen stören sich vor allem an Passagen der Gutachter, wonach sich die Ablehnung der Citybahn "mit entsprechenden Aufarbeitungs- und Anpassungsarbeiten wieder revidieren" ließe. Zum Beleg verweisen sie auf ein regionales Straßenbahnprojekt in der Schweizer Bundesstadt Bern. Dort seien konkrete Pläne zunächst von der Bevölkerung abgelehnt, später bei einem Plebiszit aber akzeptiert worden.
Mit Blick auf Wiesbaden halten es die Planer für sinnvoll, ein ganzes Schienennetz statt lediglich einzelner Strecken zu entwickeln. Die Grundlage dafür könne das im neuen Nahverkehrsplan vorgesehene Metrobus-Liniennetz sein.
Erneutes Thema im Wiesbadener Kommunalwahlkampf
Eine langfristig angelegte Kapazitätsreserve im ÖPNV sei nur mit der Schiene möglich, heißt es im Nahverkehrsplan. Straßenbahnen hätten einen geringeren Fahrzeug- und Personalbedarf. Das wirke sich positiv auf die Betriebskosten aus. Ein weiterer Vorteil sei die Lebensdauer der Fahrzeuge, die im Vergleich zu Bussen zwei- bis dreimal höher sei.
Das erleichtere die langfristige Planbarkeit des ÖPNV-Betriebs. Der Nachteil der teureren Fahrzeuge relativiere sich durch höhere Effizienz. Die Fahrgäste bewerteten das ÖPNV-Angebot in Städten mit Straßenbahnen positiver als in Städten ohne Schiene.
Die FDP und ihr Sprecher Alexander Winkelmann gehen nach dieser Analyse davon aus, dass im Vorfeld der Kommunalwahl 2026 die Citybahn-Debatte in Wiesbaden eine Neuauflage erfahren wird. Im Linksbündnis wurden dazu unterschiedliche Stimmen laut. Daniel Weber (Volt) sagte, eine Straßenbahn gehöre zu einer zukunftsfähigen Stadt, weshalb auch er sie als Thema im Kommunalwahlkampf sehe.
Dagegen sprach Daniel Winter (Die Linke) von einer "absurden" Argumentation der FDP und Martin Kraft (Die Grünen) von einem "inszenierten Skandal". Im Nahverkehrsplan gehe es allein um die Zukunft des Busverkehrs in Wiesbaden. Silas Gottwald (SPD) warf der FDP "den verzweifelten Versuch" vor, schon jetzt ein Thema für den Wahlkampf zu finden und deshalb die Citybahn-Debatte neu beleben zu wollen.
ÖPNV für Mobilitäts- und Klimaziele
FDP-Fraktionschef Christian Diers allerdings wies die Stadtverordneten darauf hin, dass die Planer es für "zwingend erforderlich" halten, langfristig in den Bau einer Straßenbahn für Wiesbaden zu investieren, um die Mobilitäts- und Klimaziele zu erreichen. Die FDP fürchtet zudem eine geplante Änderung der Hessischen Gemeindeordnung, die Fragen der Verkehrsinfrastruktur von der Möglichkeit eines Bürgerbegehrens künftig ausnimmt. Auch Diers sieht deshalb die Schienendiskussion neu entflammen: "Das wird uns 2025 beschäftigen."
Hinzu kommt, dass immer noch keine Pläne auf dem Tisch liegen, wie der künftige Stadtteil Ostfeld an die Schiene angebunden werden soll. Wenn das nicht durch eine Überwindung der Autobahnen von Süden oder Osten gelingt, dann bliebe womöglich nur ein Schienenstrang aus Richtung Hauptbahnhof und Innenstadt. Skizzen zu einer "Ostfeldlinie" und einer möglichen Erweiterung des Netzes "mit dem höchsten verkehrlichen Nutzen" bis in die Innenstadt waren von Verkehrs- und Stadtentwicklungsdezernat schon vor der Citybahn-Abstimmung vorgestellt worden.
Auch in diesem Fall wäre die Diskussion über ein Straßenbahnnetz neu eröffnet. Dem Verkehrsdezernat wäre dies vermutlich nicht unlieb. Einer der Mitarbeiter von Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne) wies bei der Vorstellung des Nahverkehrsplans ausdrücklich darauf hin, dass Wiesbaden in ganz Deutschland die einzige Stadt dieser Größenordnung ohne eigenes Schienennetz sei. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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