Mit 19 Jahren den Rucksack packen, das Leben in der Provinz hinter sich lassen, im eigenen Zelt übernachten, irgendwo in Europa, irgendwo, wo es schön ist, abends mit einem Feuer allein sein – und schreiben.
Das klingt nicht nur romantisch, das sei es auch gewesen, sagt Nico Feiden. Angst spielte da noch keine Rolle. In der Jugend war er furchtlos, so beschreibt er es.
"Ich war sehr viel allein und ich hab's geliebt. Wenn ich jetzt allein im Wald bin, schaue ich mich doch ein paar Mal um", sagt Feiden. Geschrieben hat der 32-Jährige da vor allem noch für sich, Tagebuch, Notizen. Als Feiden 2013 dann nach Köln zog, um für das Online-Magazin für elektronische Musik "Faze" zu schreiben, war das eine gute Übung.
Doch das Nachtleben und die Techno-Szene waren zu intensiv für ihn. "Wenn ich da weiter drin bleibe, komme ich vielleicht unter die Räder, habe ich gedacht." Er hörte auf und zog wieder los. Ein Jahr lang reiste er quer durch Europa, in Südtirol lernte er Obdachlose kennen und lebte mit ihnen zusammen. "Sie hatten so emotionale Geschichten zu erzählen, dass ich sie mit der Welt teilen wollte. Ich saß also auf der Straße und habe meine Texte verkauft. Da hat es dann wirklich angefangen." Mit einigen Obdachlosen hat er sich angefreundet und lange danach geschrieben. Mittlerweile seien bis auf einen alle tot.
Nico Feiden schreibt auch für die Musikindustrie
Erst Hannover und dann wieder Köln: Feiden wohnt in Ehrenfeld. Was ihm bleibt, von jener Zeit als Landstreicher, der mit anderen Landstreichern das Leben geteilt hat, ist das Zwischenmenschliche. "An den Rändern der Gesellschaft suche ich und habe ich Empathie und Herzlichkeit gefunden, die ich zuvor vermisst habe."
Beim Schreiben stellte er schnell fest, dass ihm das Gedicht die liebste Form ist. "Ich liebe es, Dinge zu konstruieren, die sich nicht sofort erschließen. Ein Gedicht liest man nicht nur einmal, man liest es mehrmals, und man kann jedem etwas mitgeben."
Feiden, der aus Zell an der Mosel kommt, hat es verstanden, dass man mit Lyrik nicht über die Runden kommt. Er hat sich in der Kreativszene vernetzt, andere Schreibende kennengelernt und die vorhandene Struktur der Literaturförderung genutzt. Er erhielt Stipendien, Preise. Einmal durfte er ein Jahr in Florenz am Dante-Institut verbringen. Heute ist er breit aufgestellt und Schreiben sein Produkt.
Zum Beispiel schreibt er gerade für einen Streaming-Anbieter, für das Theater, für die Shakespeare Company Coelln, und für die Musikindustrie. Sowohl als Autor als auch als Ghostwriter. Ein Song sei sogar Platin gegangen, ihn im Radio zu hören sei ihm Anerkennung genug, auch wenn die Leute nicht wüssten, dass der Text von ihm stammt, sagt er.
Doch seinen Nebenjob im Weinhandel braucht er trotzdem. Der strukturiert auch seinen Tag. Und wenn er dann dichtet, fühle sich das nicht wie Arbeit an, sondern sei Entspannung.
Nico Feiden: "Es war noch nie so ungewiss, was passieren wird, mit den Neuwahlen"
Mit der Zeit seien er und sein Werk immer politischer geworden. Er demonstrierte mit Fridays For Future und am Hambacher Forst. "Das ist vielleicht eine radikale Aussage, aber Kunst muss in diesen Zeiten politisch sein. Es war noch nie so ungewiss, was passieren wird, mit den Neuwahlen, der AfD. Die ist da, und kann nicht einfach wegrationalisiert werden."
Gehör verschafft sich der Autor auf Instagram, wo ihm 10.000 Menschen folgen, seine Gedichte weiß er dort multimedial in Szene zu setzen - anders würde es heute nicht funktionieren. "Der Algorithmus ist schwierig, Lyrik wird nicht oft ausgespielt, aber man muss dran bleiben." Auch Lyriker sollten mutiger sein, findet er, und die Form von Lesungen aufpeppen. Vergangenes Jahr hat Feiden zusammen mit anderen im Geschäft The Factory in der Nähe des Brüsseler Platzes Lesungen organisiert, in der auch Jazzmusik gespielt wurde – das kam gut an. Ob sie wieder stattfinden kann, hängt davon ab, ob die Stadt seinen Antrag auf Förderung bewilligt.
Belgisches Viertel: Nico Feiden kritisiert Bezirksbürgermeister Andreas Hupke
Neben der Haushaltskrise könnte sich auch die Debatte um das Belgische Viertel als Hindernis erweisen. Dass es hierbei hitzig zugeht, hat er selbst bei einer öffentlichen Diskussion in Sankt Michael erlebt. "Ich war einer der wenigen Kulturvertreter und bin dafür eingetreten, das kulturelle Viertel beizubehalten." Dass Anwohner emotional auf so eine Aussage reagieren, sei nachvollziehbar. Dass jedoch der Bezirksbürgermeister Hupke gegen Gastronomen und Kulturschaffende agitiere, hingegen nicht, so Feiden. "Das kann ich nur als polemischen Populismus bezeichnen. Ich war entsetzt, als ich da rausging."
Doch trotz aller Probleme habe sich Köln in seinen Augen zu einer tollen Literaturstadt hochgearbeitet. Nur noch eine lange Nacht der Lyrik fehle ihm. Die möchte er organisieren, falls grünes Licht von der Stadt kommt.
Nico Feiden, Verwüstung, erschienen im Verlag Do The Taboo, 2024, 12 Euro © Kölner Stadt-Anzeiger
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