"Ein elektrisches, autonom fahrendes Auto: Woher wird das kommen? Aus China, den USA – oder aus Deutschland?" Rainer Hüttebräucker hofft natürlich auf Letzteres.
Aber der Mann, der jahrzehntelang in Leichlingen Busse fahren ließ, will doch eine Bestätigung haben von kompetenter Stelle. Da kommt Hildegard Müller gerade recht. Die Parteifreundin ist gerade als Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie wiedergewählt worden. Sie hat also den Überblick.
Dass eine derart vielbeschäftigte Frau ihren Freitagabend im Schloss Eicherhof verbringt, erklärt sich aus alter Freundschaft: "Wenn Herbert Reul anruft ..." Das hat er in diesem Fall gemacht, um die Reihe der Karl-Reul-Gespräche zu schmücken. Die wurden vor zwei Jahren zum 100. Geburtstag Karl Reuls erfunden; der Leichlinger CDU geht es darum, das Andenken des prägenden Politikers zu wahren, der in jedem Fall auch ein großer Kommunikator war.
Sein Sohn Herbert, der Innenminister, sitzt neben Müller am Tisch – und kaum ist das hübsche, aber an diesem Ort wegen ihrer Veilchen-Allergie falsche Blumengesteck abgeräumt, kann es losgehen. Reul muss gar nicht viel mehr, als immer wieder ein paar einfache Fragen stellen, um Müller in Fahrt zu bringen.
Natürlich bringt es der Job von Müller mit sich, dass sie Hüttebräucker eine eher optimistische Antwort gibt. Sie glaubt, dass ein Hersteller wie Mercedes das hinbekommt. Auf Teststrecken in Kalifornien seien in Untertürkheim erdachte selbstfahrende Autos unterwegs. Womit schon eines der Probleme des Standorts Deutschland angerissen ist: Hierzulande scheut man das Risiko im Versuchsstadium.
Ein Nachsatz von Hildegard Müller zeigt die nächste Schwierigkeit: "Früher wäre das aus Deutschland gekommen." Inzwischen gebe es starke Konkurrenz, die deutsche Autoindustrie ist längst nicht mehr sozusagen von Natur aus vorne, wenn es um Innovation geht. "Der Wettbewerb wird härter werden", der Satz fällt so und in Abwandlungen immer wieder in den zwei Stunden im Schloss. Etwa dieser: "Es gibt ganz neue Giganten in anderen Regionen der Welt." Die gigantischen Märkte, vor allem China, ordnet die VDA-Präsidentin zu Beginn kurz mal ein: "Wir verkaufen 100 Mal so viele Autos nach China als umgekehrt."
Noch, möchte man meinen, womit sofort die Zoll-Diskussion im Raum steht. Erst recht, seit in den USA der Einfuhrzoll-Fetischist Donald Trump wiedergewählt ist. Protektionismus durch Preisaufschläge – aus Sicht deutscher Autohersteller ist das nicht gut. Erst recht nicht, wenn man’s so macht wie die Europäische Kommission bei Importen aus China: Im Bemühen, um "gerechte", also abgestufte Zölle kommen, Stand jetzt, ausgerechnet VW und Co. schlecht weg.
So verlockend der chinesische Markt allein ob seiner schieren Größe und Potenziale ist, so kompliziert ist er im E-Auto-Zeitalter geworden, weiß Hildegard Müller. Das habe zum einen mit Patriotismus zu tun: Chinesen kaufen natürlich gern chinesische Produkte, so emanzipiert ist das Land längst.
Zum anderen mit etwas, das aus deutscher Sicht erst einmal verstanden werden müsse, so die Autolobbyistin: Im Auto, das sei "Me-time" – Wohnungen, aber auch Büros sind eng in China, das Auto daher ein komfortabler Rückzugsort. Wenn er denn das bietet, was vielen wichtig ist. Gute Vernetzung, und damit meint man dort nicht nur Mail und Internetbrowser, sondern Filme, Spiele und Karaoke. Wer das bietet, punktet. Und da sind BYD und andere heimische Hersteller den deutschen voraus. Mal abgesehen davon, dass in China praktisch niemand mehr darüber räsoniere, ob ein Auto überhaupt einen elektrischen Antrieb haben müsse. Oder ob nicht doch der Verbrenner die bessere Option sei.
Teure deutsche Autos verkaufen sich in China schlecht
Der Absatz der teuren deutschen Autos mit alter Antriebstechnik in China gebe längst die Antwort, so Müller. Ganz knapp: "Die Zahlen sind schlecht." Die Reichweitenangst ist nach ihrer Beobachtung typisch deutsch. In China lege man mit dem Auto nicht so große Strecken zurück. Wer aber hier ein Auto kaufen will, habe die ein, zwei Urlaubsfahrten auf dem Schirm, nicht den Alltagsbetrieb, sagt Müller.
Das ist auch eine Replik auf Herbert Reul, der sich froh zeigt, "im Moment keine neuen Autos kaufen zu müssen für die Polizei": Eine Ladeinfrastruktur gebe es nicht bei den Behörden. Müller sagt: Die Reichweite reiche für eine Schicht im Streifendienst. Für sie ist die Zukunft des Automobils, jedenfalls des Pkw, ausschließlich elektrisch. "Bei unserer Art, Energiepolitik zu machen, ist Wasserstoff sehr weit weg", widerspricht sie einem Reul-Gedanken.
Leichlingen hat keine Schnellladestation
Deshalb sei es auch so grundfalsch gewesen, vor einem Jahr erst die E-Auto-Förderung für Dienstwagen und dann in einer Wochenend-Nacht-und-Nebel-Aktion auch noch die für Privatwagen zu kippen. So habe die Regierung der Autoindustrie "in der Hochlaufphase" die Luft abgedreht. Die Effekte sehe man jetzt, etwa bei Volkswagen. Aber auch bei den vielen Zulieferern. Und auch da steht nicht jeder so im Fokus wie der Gigant Schaeffler. Da muss man nur in Burscheid mal nachfragen. Oder nebenan in Pattscheid bei Carcoustics.
Ein großes, weiteres Hindernis sieht die Auto-Lobbyistin auch nicht bei ihren Mitgliedsunternehmen, sondern in Berlin und Brüssel. Es müssten Handelsabkommen her, um die Versorgung mit Ökostrom zu stabilisieren. Denn: "Wir haben zu wenig Angebot bei der Energie."
Und im Netz, was der Verbreitung des E-Autos massiv schade. "Ein Drittel der Kommunen hat bis heute keine einzige öffentliche Ladesäule", weiß Hildegard Müller. "Und zwei Drittel haben keinen Schnelllader." Leichlingen, so heißt es an diesem unterhaltsamen Abend im Schloss Eicherhof, gehört dazu. © Kölner Stadt-Anzeiger
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