75 Jahre F.A.Z.: Vor 25 Jahren stand der Baukonzern Philipp Holzmann vor der Pleite. Der Bundeskanzler schaltete sich ein, doch Bankenvertreter bezweifelten, dass das Unternehmen sanierungswürdig sei. Für die F.A.Z. berichteten damals Winand von Petersdorff und Hans Riebsamen.

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Begleitet von Protesten, sind gestern Vertreter der Gläubigerbanken mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in der Zentrale der Philipp Holzmann AG zusammengekommen, um über einen Vergleich zu verhandeln. Vor Bauarbeitern, die vor der Zentrale an der Taunusanlage demonstrierten, sagte Schröder: "Ich bin hierher gekommen, um die Banken in die Pflicht zu nehmen, um Holzmann nicht kaputtgehen zu lassen." Der Kanzler erklärte weiter: "Wir können es uns nicht leisten, auch nur einen Arbeitsplatz kampflos preiszugeben." Die Banken sollten bedenken, welche Verantwortung sie für den sozialen Zusammenhalt im Land hätten. Wegen der Proteste musste die Straße gesperrt werden.

Im Vorfeld war spekuliert worden, die Bundesregierung könnte mit einer Bürgschaft in dreistelliger Millionenhöhe versuchen, das angeschlagene Unternehmen zu stützen und die Banken so zu einem Vergleich zu bewegen. Schröder kündigte an, alle rechtlichen Möglichkeiten, die der Bundesrepublik zur Verfügung stünden, auch zur Verfügung zu stellen. Ohne einen neuen "Datenkranz" werde es kein Ergebnis geben, hieß es dagegen gestern in Frankfurter Bankenkreisen. "Nur weil der Kanzler dabei ist, ändert sich die Ausgangslage nicht", sagte ein Bankmanager, der ungenannt bleiben will. Der Präsident der Frankfurter Industrie- und Handelskammer, Frank Niethammer, äußerte Zweifel am Sinn einer Stützung des Baukonzerns. Angesichts der Schuldenlast von sieben Milliarden Mark sei fraglich, ob der Konzern sanierungsfähig sei.

Vor dem Gespräch mit den Vertretern von 27 Banken war Schröder auf dem Flughafen mit Ministerpräsident Roland Koch und Oberbürgermeisterin Petra Roth (beide CDU) zusammengekommen, um Chancen eines Vergleichs auszuloten. Die Stadt Frankfurt wiederholte gestern ihr Angebot, Holzmann das Battelle-Gelände für 150 Millionen Mark abzukaufen. Dies bestätigte gestern Felix Semmelroth, Sprecher der Oberbürgermeisterin. Allerdings gelte das Angebot weiterhin nur, wenn eine Insolvenz des Unternehmens abgewendet werde. Zu der Vermutung, das Areal sei verpfändet und könne deshalb gar nicht von Holzmann an die Stadt veräußert werden, sagte Semmelroth, davon sei ihm nichts bekannt. Holzmann-Vorstandsmitglied Johannes Ohlinger habe dieses Gelände als Verkaufsobjekt genannt, als Vertreter der Stadtregierung bei dem Unternehmen angefragt hätten, wie die Stadt helfen könne. Man gehe davon aus, dass einem Verkauf des Grundstücks keine eigentumsrechtlichen Hindernisse entgegenstünden.

Sorge vor weiteren Milliardenlöchern

Zu der angebotenen Kaufsumme von 150 Millionen Mark ist es laut Semmelroth deshalb gekommen, weil der Holzmann-Vorstand am Montag die Stadt habe wissen lassen, dass diese Summe zur Rettung des Unternehmens noch fehle.

Allerdings scheinen die Positionen noch sehr viel weiter auseinander zu liegen. So sprach Ministerpräsident Roland Koch (CDU), dessen Vermittlungsversuch gescheitert war, von einem Volumen von 600 bis 800 Millionen Mark. Aus Bankenkreisen verlautete, dass für mehrere offene Punkte noch keine Vereinbarung gefunden worden sei. So sei man sich nicht einig über die finanzielle Lastenverteilung bei der Rückführung der Kredite für das Projektgeschäft und der Avalkredite gewesen. Es hätten sich auch nicht genügend Zeichner von Holzmann-Aktien für eine Kapitalheraufsetzung gefunden. Zudem scheuten die Institute das Risiko, dass weitere Milliardenlöcher gefunden werden könnten. Der Vorstand habe nicht glaubhaft machen können, dass es nicht noch "weitere Leichen im Keller gibt".

Chaos auf deutschen Baustellen

Verständigt haben sich die Gläubiger aber nach Gesprächen mit dem neuen Insolvenzexperten im Holzmann-Vorstand, Klaus Hubert Görg, auf die Gewährung eines Massekredits in Höhe von 100 Millionen Mark, um die Zahlungsfähigkeit und Weiterarbeit auf seinen rund 1000 Baustellen in Deutschland zu ermöglichen. Massekredite werden aus der Konkursmasse vorrangig bedient, wenn es zur Einleitung des Insolvenzverfahrens kommt. Ein Sprecher des Unternehmens bestätigte, dass Kunden Aufträge stornierten. Viele Zulieferer bemühen sich darum, ihr Material von den Baustellen wegzufahren. Auf den deutschen Baustellen herrsche Chaos, bestätigte ein Manager.

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2500 Beschäftigte des angeschlagenen Bauriesen Holzmann demonstrierten gestern Abend für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Vor der Zentrale des angeschlagenen Baukonzerns halten Beschäftigte des Unternehmens und Gewerkschafter seit Dienstag eine Mahnwache. Hessens Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP) kündigte unterdessen an, dass jedem Lehrling des Konzerns, der seine Stelle verliere, Ersatz geboten werden solle.

Dieser Artikel erschien am 25.11.1999  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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