Ungewöhnliches Hobby: Beim Zoll fällt er damit immer auf, auf Hawaii kommt seine Sammelleidenschaft an Grenzen: Rüdiger Wandke hat privat und für die Naturhistorische Abteilung des Museums Wiesbaden tausende Sandproben aus aller Welt zusammengetragen.

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Als sich das Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg vor rund einem Jahr dem Thema Sand widmete, zog eine besondere Sammlung alle Blicke auf sich: Wie in einem überdimensionierten Gewürzregal standen damals in allen möglichen Farbschattierungen Sandproben in kleinen Gläschen in der Ausstellung.

Die Proben sahen so unterschiedlich aus wie die Regionen weltweit, aus denen sie stammten – von silbrig-weiß über hellbraun bis hin zu gelb und rot und grün und schwarz waren alle Farbtöne dabei. Auch die Konsistenz der Sandproben nahm sich, selbst auf den ersten Blick, recht unterschiedlich aus. Sie reichte von feinstem Sand bis hin zu grobkörnigeren Proben.

Doch woher hatten das Museum Wiesbaden und die Stadt Aulendorf, aus deren Besitz die Sedimentproben stammten, diese vielen unterschiedlichen Proben? Sie haben sie einem Mann zu verdanken, dessen Hobby es seit vielen Jahren ist, Sand zu sammeln, und der dies seit bald zwei Jahrzehnten auch fürs Museum tut.

Nicht von jedem Strand darf er Sandproben mitnehmen

Rüdiger Wandke aus Wiesbaden, ehemaliger Lehrer für Chemie, Physik und Mathematik an einer Berufsschule in der Landeshauptstadt, hat sich "schon immer" für Mineralien interessiert, wie er sagt. Günstiger als diese seien aber die Kleinmineralien, sogenannte Micromounts, gewesen, die man allerdings mit der Lupe betrachten müsse.

So wurden seine Sammlungsgegenstände kleiner, bis er beim Sand landete, den es "überall umsonst gibt" – und dessen Körnchen zwischen zwei Millimeter und 0,063 Millimeter groß sind, so lautet die Definition in Abgrenzung zum feineren Schluff und zum gröberen Kies.

Ob aus Neuseeland, Namibia oder Norwegen – bei allen Reisen, die er und andere Sandsammler machen, landen ein paar Kilogramm mit Sandtütchen im Koffer. Für den Zoll mag das mitunter seltsam aussehen. "Ich bekam schon viele Tütchen zerstochen", sagt Wandke.

Ob es überhaupt erlaubt ist, aus dem jeweiligen Land Sandproben mitzunehmen, darüber erkundigt sich Wandke vorher. Grünen Sand vom Papakōlea Beach auf Hawaii, bestehend aus Olivin-Kristallen, die durch Vulkanaktivität aus dem Inneren der Erde nach oben befördert worden sind, dürfe man zum Beispiel nicht mehr sammeln.

Alle Proben sind mit GPS-Daten versehen

Seine Leidenschaft führte Wandke bis in den Südpazifik auf die Inselgruppe Vanuatu, wo er am Vulkan Yasur Sand aus der Vulkanasche mitnahm: Glasartige Körner, die unter dem Mikroskop teilweise fadenartig und scharfkantig aussehen. Mittlerweile, sagt Wandke, mache er keine Weltreisen mehr.

Auf Tauschbörsen in Europa macht er sich aber auf die Suche nach neuen Proben. Es gebe eine größere Community an Sandsammlern, so Wandke. "Schauen Sie nur mal ins Internet." Außerdem bittet er andere, ihm von ihren Urlaubsreisen Sand mitzubringen.

Er selbst sammelt in Deutschland und im näher gelegenen Ausland, will zum Beispiel demnächst nach Tschechien fahren. Und natürlich sammelt er überall, wo er gerade unterwegs ist. Manchmal, wenn er ausnahmsweise seine Utensilien nicht dabei hat – Sandtäschchen, Löffel, Kratzer, Schöpfkellen, falls der Sand aus dem Wasser geholt werden muss, und sein Kindersieb, um den Sand gleich zu reinigen – greift Wandke auch auf Hundetüten zurück, die irgendwo am Wegrand hängen. Hauptsache, die neuen Sandproben entgehen ihm nicht.

Wichtig sei außerdem, das Handy mitzuhaben, um die GPS-Daten einzugeben, und Etiketten, um die Koordinaten des Fundortes genau zu notieren, sagt Wandke. So gekennzeichnet, besitzt Wandke privat um die 7000 Sandproben in kleinen Beuteln.

Im Museum sind etwa 3500 Proben gelagert. Sie befinden sich in einem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Teil in mehreren Schränken. Wandke zieht Schublade um Schublade heraus und zeigt auf die kleinen Beutel, die dort einsortiert liegen: Die Sande der Welt, sorgfältig nebeneinander gereiht.

Kreislauf der Gesteine

Andere Sande befinden sich in 60 Milliliter-Döschen, die ein wenig an Gewürzstreuer erinnern. Hübsch aufgereiht in Vitrinen befinden sich fast tausend Proben aus rund 80 Ländern. Sortiert sind sie nach ihrem Fundort. Das beginnt mit dem gelben Wüstensand aus Assuan in Ägypten und endet mit dem braun, weiß, schwarz gesprenkelten Sand vom Strand Latchi in Zypern.

Von April 2025 an sollen sie im Museum Wiesbaden im dann neu eröffneten Themenraum "Wandel" als Teil der Dauerausstellung "Ästhetik der Natur" gezeigt werden, wie Fritz Geller-Grimm, Leiter der Naturhistorischen Abteilung, sagt. Sie zeigen dort als Teil des "Kreislaufs der Gesteine", wie Sand durch Verwitterung beispielsweise aus Sandstein entsteht.

Denn um die Natur in einem steten Wandel geht es in dem Themenraum – seien es die Bewegung der Kontinente, die Vielgestaltigkeit der Minerale oder die Metamorphose der Schmetterlinge. Ein besonderer Fokus wird im "Wandelraum" auf Maria Sibylla Merian (1647–1717) liegen, der Mitbegründerin moderner Wissenschaften, die zugleich eine bedeutende Künstlerin war.

Auch ein Mikroskop wird im "Wandelraum" stehen, damit man sich Sand vergrößert ansehen kann. "Da entsteht ein eigener Kosmos", sagt Geller-Grimm, "als wäre man unterwegs mit Jules Verne." Erst unter dem Mikroskop entfalte der Sand seine volle Schönheit, sagt auch Wandke. Der überwiegende Teil aller Sande besteht aus Quarz.

Unter dem Mikroskop sind allerdings erstaunliche Entdeckungen zu machen: Es gibt biogenen Sand, der aus Muschelschalen oder winzigen Schneckenhäusern besteht. Oder aus Korallenteilen, die von Papageienfischen gefressen und deren unverdauliche Kalkschalen ausgeschieden wurden. Es gibt Sternensand der japanischen Insel Iriomote, aus Fossilien von Foraminiferen, Einzellern mit teils sternenartigen Formen. Und vom ehemaligen Dyckerhoff-Steinbruch in Wiesbaden schließlich stammt der sogenannte Hydrobiensand: Der Sand besteht aus winzigen, tertiären Wattschnecken, die vor Millionen von Jahren hier lebten.

Im Prinzip sieht jedes Sandkorn anders aus, sagt Geller-Grimm. Und jedes Element erzählt eine Geschichte. Ob es sich um glatt geschliffenen Seesand handelt oder um Sandkörner aus der Wüste, die kleine Krater wie eine Mondlandschaft besitzen, weil sie fest aufeinander prallen, und die fürs Bauen nicht verwendet werden können. Dieser Formenreichtum, die Farbenvielfalt und die Prozesse, wie der Sand entsteht – all das zusammen ist, was Wandke so fasziniert. Und wieso er immer weiter sammelt.

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Von den Besuchern des Museums erhofft er sich Hilfe beim Ausbau der Sammlung: In der "Wandel"-Ausstellung soll ein digital bespielbarer Globus stehen mit den Fundorten des Sands und mit den noch weißen Flecken. Damit die Besucher wissen, aus welchen Ecken der Welt sie noch Sand mitbringen sollen.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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