Gießen: Die Stadt Gießen kann sich neuerdings selbst eine Waffenverbotzone verordnen. Nur fehlt es ihr am nötigen Wissen. Zudem störe das Land den Prüfungsprozess, sagt der Bürgermeister.

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Wann kommt die umstrittene Waffenverbotszone in der Innenstadt von Gießen? "Das weiß ich nicht", sagt Bürgermeister und Ordnungsdezernent Alexander Wright (Die Grünen). Zwar muss die Stadt neuerdings nicht mehr auf das Votum der Waffenbehörde beim Landkreis warten. Denn seit Dezember dürfen Sonderstatusstädte wie Gießen sich selbst solche Verbotszonen verordnen. Das hessische Innenministerium hat sie überraschend dazu ermächtigt.

Daraus folgt aber ein misslicher Umstand: Die Stadt verfügt über keinerlei fachliche Kompetenz in dieser Frage. Eine Waffenbehörde gibt es in ihrer Verwaltung nicht. Das ist bisher auch nicht notwendig gewesen. Schließlich ist in der Vergangenheit allein der Landkreis zuständig gewesen. Für die übrigen Kommunen im Kreisgebiet wie Buseck, Lich oder Lollar gilt das auch weiterhin. Nur eben nicht für Gießen.

Mithin müssen Stadt und Landkreis nun einiges unerwartet regeln, wie Grünen-Politiker Wright sagt. Er selbst steht einer Waffenverbotszone aufgeschlossen gegenüber und erachtet sie als Baustein für das städtische Sicherheitskonzept. Bevor aber die Stadt eine Verbotszone verfügen kann, muss ihr der Landkreis die seit knapp einem Jahr angehäuften und gesichteten Unterlagen einschließlich der Statistiken der Polizei übergeben. Damit ist es nach den Worten von Wright aber nicht getan. Die Stadt muss auch das fachliche Wissen erlangen.

Der Landkreis ist dagegen fortan außen vor im Prüfungsprozess, wie der Bürgermeister bestätigt: "Der Landkreis ist komplett raus." Um den Ablauf nicht unnötig zu verzögern, stand eine mögliche "Redelegation" im Raum. In diesem Fall hätte die Stadt den Landkreis beauftragt, seine Arbeit in der Sache wieder aufzunehmen. "Denn der Landkreis ist ja schon sehr weit gewesen, auch mit der Auswertung der Daten." Die Stadt habe deshalb auch Kontakt zu dem Innenministerium aufgenommen – zumal sich eben in den vergangenen Jahren niemand in der Stadtverwaltung in das Waffenrecht habe einarbeiten müssen.

Nach dem Jahreswechsel ist aber von einer Rückübertragung der Aufgabe nicht mehr die Rede. Angesichts dessen bejaht Wright die Frage, ob die von Innenminister Roman Poseck (CDU) gepriesene rechtliche Neuerung den Ablauf störe. Bevor Poseck die Neuerung verkündete, hat das Ministerium nach seinen Worten die Stadt nicht um ihre Sicht der Dinge gebeten.

Sie sei aber vom Regierungspräsidium und dem Hessischen Städtetag gefragt worden. "Um dem Regierungspräsidium zu antworten, blieb uns ein Tag", sagt der Bürgermeister. Diese sehr kurze Frist ließ die Stadt demnach verstreichen. Dem Städtetag habe sie zum einen zu verstehen gegeben, es sei der Zusammenhang von neuen Aufgaben und damit verbundenen Kosten zu beachten. Zum anderen habe sie auf die historisch bedingte fehlende Kompetenz in der Sache verwiesen.

Beschluss zu Waffenverbotszone noch 2025

Nun seien Stadt und Landkreis dabei, "Termine aufsetzen für den Übergabeprozess", sagt der Bürgermeister. Er hebt hervor, es werde nicht bei der Übergabe eines Pakets voller Akten bleiben. Die Stadt brauche auch Ansprechpartner, an die sie sich im Falle von Unklarheiten wenden könne. Dabei gehe es außer um Hintergründe auch um viele juristische Fragen. Um diese beurteilen und klären zu können, setzt Wright auf zwei Volljuristen in der Ordnungsbehörde der Stadt. Sie werden sich einarbeiten müssen. Das bedeutet aber notgedrungen: Sie werden nicht so rasch entscheiden können, wie es die Waffenbehörde beim Landkreis hätte tun können.

Ob der Beschluss noch dieses Jahr zu erwarten sei? Wright äußert sich zuversichtlich: "Davon gehe ich aus." Ob dies aber noch vor der Sommerpause geschehen könne, mag er nicht abschätzen. Begründung: "Wir wissen ja nicht, was auf uns zukommt."

Klar sei: Jeder Messereinsatz sei einer zu viel – in dieser Haltung zeigt sich Wright mit dem mittelhessischen Polizeipräsidenten Torsten Krückemeier einig. Niemand müsse nachts mit einem Messer durch Gießen laufen, sagte Krückemeier der F.A.Z. und gab zu bedenken, Streitigkeiten mündeten in vielen Fällen nur deshalb in Straftaten, weil jemand ein Messer zücke. Das wisse er aus Nächten, in denen er Polizisten auf Streifengängen begleitet habe.

Streit münde vielfach rasch in Gewalt. "Die Zündschnur ist extrem kurz. Manche meinen dann, das Messer ziehen zu müssen." So wie es in der Silvesternacht geschah, in der ein junger Mann vor einer Kneipe in der Innenstadt aus einer Gruppe heraus einen Messerstich erhielt und schwer verletzt wurde.

Stadt Gießen überarbeitet Sicherheitskonzept

Nun gebe es zwar in jüngerer Zeit nicht mehr Straftaten mit Messern als früher. Allerdings blicke die Gesellschaft kritischer auf solche Vorfälle als vor zehn oder 20 Jahren. Das sei auch gut so. Eine Waffenverbotszone werde solche Vorfälle nicht verhindern können. Wenn aber Menschen das Verbot und die daraus folgenden Strafen bewusst seien, beuge dies Straftaten mit Messern vor, meinen Wright und Krückemeier. Das habe die Bewertung der Wiesbadener Verbotszone durch die Gießener Kriminologin Britta Bannenberg gezeigt.

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Unabhängig von dem nun unterbrochenen Prüfverfahren zu Für und Wider einer Waffenverbotszone überarbeitet die Stadtverwaltung ihr Sicherheitskonzept – Masterplan kommunale Sicherheit genannt. Dazu zählen unter anderem vermehrte Streifengänge von Landes- und Ordnungspolizei, Videoüberwachung an bestimmten Plätzen, die mobile Wache der Ordnungspolizei, eine bessere Beleuchtung von Straßen und Ecken, um Angsträume zu beseitigen, und Kontakte zu Streetworkern, die sich um Drogensüchtige kümmern.

Dazu nimmt die Stadt am Landesprogramm "Gewalt-sehen-helfen" teil mit Handreichungen, wie jemand im Fall von Streit reagieren kann. Auch der freiwillige Polizeidienst gehört zum Konzept.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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