Weihnachtsmärkte: Die Veranstalter der Weihnachtsmärkte blicken nach dem Anschlag von Magdeburg mit Sorgen wegen weiter steigender Kosten für Sicherheit in die Zukunft.
Sie weisen allerdings auch auf die wichtige gesellschaftliche Funktion der besinnlichen Veranstaltungen hin.
Frauen und Männer mit Einkaufstüten schlendern über den Seltersweg. Andere laufen gemessenen Schrittes über die Einkaufsstraße von Gießen – ihnen fehlt am Tag vor Heiligabend offenbar noch das eine oder andere Geschenk. Vor einer Cafébar sitzen Menschen und genießen mit einer Decke über den Knien einen Americano. Aus einer Glühweinbude gegenüber dudelt Weihnachtspop in Endlosschleife. Mitten in der Stadt bietet sich nach dem Anschlag von Magdeburg mit fünf Toten und mehr als 200 Verletzten das gleiche Bild wie zuvor.
Wer genauer hinschaut, sieht ein paar Ordnungshüter mehr als am Freitag, doch schon davor war die Landespolizei mit Doppelstreifen vertreten. Die Stadtverwaltung hat nach dem Anschlag gemeinsam mit der Polizei ihr Sicherheitskonzept für die Innenstadt in den noch bis Jahresende dauernden Weihnachtsmarktwochen überprüft, wie sie berichtet. Ergebnis: Die an mehreren Stellen stehenden Amoksperren haben sich bewährt. "Punktuell wird es an möglichen neuralgischen Punkten um den Gießener Markt vereinzelt nochmals Nachverdichtungen von Sperren durch den Einsatz von Polizeifahrzeugen geben", heißt es aus dem Rathaus. Zudem verstärke die Polizei ihre Präsenz.
Ortskundige erkennen gleichwohl, an welchen Stellen leicht in die Einkaufszone gefahren werden könnte. So kann die Stadt ihren neben dem Weihnachtsmarkt am Stadtkirchenturm liegenden Busbahnhof, der an die Einkaufsstraße angrenzt, nicht abriegeln. Zufahrten müssten für Rettungsdienste frei bleiben, sagt Ordnungsdezernent Alexander Wright (Die Grünen).
In Darmstadt, wo am Montag ebenfalls noch Markttag war, wurde in Abstimmung zwischen Stadtverwaltung, Polizei und Stadtmarketing-Gesellschaft das Sicherheitskonzept geprüft und angepasst. An den Zufahrten wurden mit "mobilen Sicherungen" zusätzliche Barrieren aufgebaut, wie ein Sprecher der Stadtverwaltung auf Nachfrage mitgeteilt hat. Mainz, wo manche kleine Märkte auch zwischen den Jahren zum Besuch einladen, verfährt ähnlich. "Der Weihnachtsmarkt ist ein offener Ort und das soll er auch bleiben. Unsere Sicherheitskonzepte stehen", teilten Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) und Ordnungsdezernentin Manuela Matz (CDU) mit.
Auch in Offenbach ist der Weihnachtsmarkt noch nach den Feiertagen geöffnet. Oberbürgermeister Felix Schwenke (SPD) hat darauf hingewiesen, dass die Stadt von Beginn an die Barrieren so habe positionieren lassen, dass niemand "mit Vollgas" durch den Markt über Aliceplatz und Stadthof rasen könne. Schwenke wies aber darauf hin, dass absolute Sicherheit nicht herzustellen sei. Zudem würden immer mehr Sicherheitsvorkehrungen die Kosten irgendwann derart in die Höhe treiben, dass es kein Veranstalter mehr finanzieren könne.
Die Sorge um die Kosten treibt die Nachbarn in Frankfurt nicht so sehr um. Thomas Feda, Geschäftsführer der Tourismus- und Congressgesellschaft (TCF), ist sich des Rückhaltes der Stadt sicher. "Sollten zusätzliche Kosten für Sicherheit auf uns zukommen, wird die Stadt das ausgleichen. Da bin ich sicher, weil der Weihnachtsmarkt ein unumstrittenes Kulturgut ist."
Für kleinere Veranstalter werde es aber immer schwerer, die Kosten wirtschaftlich aufzufangen. Mit seinem Veranstaltungsleiter Christian Müller habe er Nachbestellungen moderner Sperrensysteme in die Wege geleitet. "Wir sind zwar seit der Europameisterschaft im Sommer mit der nötigen Absicherung der Fanzone am Mainufer gut aufgestellt, wenn aber mal Systeme defekt wären, könnte es Engpässe geben bei." Zudem setze man sich wie jedes Jahr im Januar mit dem Sicherheitsbeauftragten zusammen. "Das Sicherheitskonzept wird immer fortgeschrieben, weil sich immer Dinge entwickeln – gesellschaftlich oder auch Verkehrsbedingungen", sagt Müller.
Dieses Jahr sei beispielsweise seitens der Polizei mehr Videoüberwachung eingerichtet worden, auch diese sei durch die EM technisch aufgerüstet und nun für andere Einsätze verfügbar. Gerade darin liege auch viel Hoffnung, dass Künstliche Intelligenz diese Bilder immer besser analysieren und Gefahren durch auffälliges Verhalten voraussehen könne. "Schon dieses Jahr hat uns das geholfen, deutlich mehr Taschendiebstähle aufzuklären, das kann eine auch unter Kostengesichtspunkten große Hoffnung für die Zukunft sein", sagt Feda.
Er rechnet aus zwei Jahrzehnten Erfahrung auch nicht damit, dass epochale Veränderungen bevorstünden wie nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz, der 2016 das Thema Sicherheit von Grund auf verändert habe. Die TCF appelliert zudem, dass bei aller Sorge nicht vergessen werden dürfe, welchen Wert Weihnachtsmärkte besäßen für das gesellschaftliche Miteinander. "Gerade in diesem Jahr herrschte eine so ungemein friedliche Atmosphäre nahezu ohne jeden Zwischenfall bei 2,5 Millionen Besuchern", sagt Müller. Weihnachtsmärkte seien auch Prävention gegen Gewalt und gesellschaftliche Konflikte. "Wir dürfen auch deshalb unsere Freiheit nicht aufgeben." Die Besucher in Frankfurt scheinen diese Politik mitzutragen. Der Sonntag als Abschlusstag sei der besucherstärkste Tag in der zurückliegenden Adventszeit gewesen.
In Bad Homburg wird wegen der geringeren Größe der Stadt und des traditionellen Weihnachtsmarkts am Schloss aus einem anderen Blickwinkel debattiert. Nach Magdeburg sei die Zufahrt für Rettungswagen zusätzlich mit zwei Fahrzeugen gesichert worden. In Bad Homburg ist es laut Stadt üblich, jedes Jahr die Sicherheit des Weihnachtsmarktes zu überprüfen, "da unser Sicherheitskonzept per se nicht in Stein gemeißelt ist". Das Stadtmarketing setze sich nach dem Weihnachtsmarkt mit Stadtpolizei, Feuerwehr und Verkehrswacht zusammen. "So kommt es Jahr für Jahr zu Nachbesserungen oder Schärfungen", sagt der Sprecher. Kurz vor dem nächsten Markt finde sich die Runde abermals zusammen.
Genau so handhabt es auch Wiesbaden. Den Weihnachtsmarkt hatte Innenminister Roman Poseck (CDU) kurz nach der Eröffnung für einen "Sicherheitsrundgang" ausgewählt und sich von Polizeipräsident Felix Paschek auch Elemente wie die Videoüberwachung zeigen lassen. Danach hatte Poseck verkündet, die hessischen Weihnachtsmärkte seien so sicher wie irgend möglich. Die Zugänge zwischen Rathaus und Landtag waren wie in den vorherigen Jahren lückenlos mit vier Tonnen schweren Betonblöcken gesichert, die von einem Sicherheitsdienst bewacht wurden. Weil die City von Zulieferern, Anwohnern und Rettungsdienst angefahren werden muss, waren zwischen zwei Blöcken jeweils dicke Stahltrossen gespannt, die bei Bedarf eine Durchfahrt ermöglichen können. Wiesbaden plant die Installation von 30 versenkbaren Stahlpollern an den Einfahrtsrouten, doch die hohen Anschaffungspreise verhindern das bisher. Hier dürfte Magdeburg die Prioritätensetzung der Kämmerei für das nächste Jahr verändern. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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