Frau Claren, Sie haben nach der Hinrichtung des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd am Montag in Teheran geschrieben, auch an den Händen der Bundesregierung klebe Blut: Hätte Jamshid Sharmahd Martin Müller geheißen und würde Ihre Mutter Nahid Taghavi Martina Meier heißen, so müssten Sie diese Zeilen nicht schreiben. Sie glauben, dann wäre Sharmahd nicht hingerichtet worden, dann wäre Ihre Mutter längst frei?
Mariam Claren: Es tut mir leid, dass ich das sagen muss, ich bin weit entfernt davon, populistisch oder polemisch zu denken oder zu agieren: Aber ja, ich glaube, so ist das. Im Jahr 2010 sind zwei Reporter der "Bild"-Zeitung im Iran inhaftiert worden – es gab sofort einen Krisenstab, der damalige Außenminister Guido Westerwelle hat sich in den Flieger gesetzt, um die Menschen freizubekommen. Auch der Gefangenenaustausch mit Russland, bei dem im Gegenzug von Deutschland ein verurteilter Mörder freigelassen wurde, war möglich. Viele andere Länder haben ihre Staatsbürger, die im Iran inhaftiert waren, freibekommen. Seit der Hinrichtung von Jamshid Sharmahd weiß ich: Das Leben deutscher Staatsbürger ist der Bundesregierung nichts wert.
Das Auswärtige Amt antwortet immer wieder – auch auf Medienanfragen – sich "hochrangig einzusetzen". Konkrete Fragen werden mit dem Hinweis auf Diplomatie in der Regel nicht beanwortet. Wissen Sie, was sich hinter dem "hochrangigen Einsatz" verbirgt?
Diese Worte sind heiße Luft. Wir haben immer wieder harte Sanktionen gefordert: Geld einzufrieren, Lufthansa-Flüge zu streichen, Handelsbeziehungen komplett zu beenden. Oft wurde uns arrogant geantwortet: So funktioniert Diplomatie leider nicht. Aber Diplomatie funktioniert, indem man die Hinrichtung eines deutschen Staatsbürgers zulässt? Zulässt, dass meine Mutter, die 70 Jahre alt, schwer erkrankt ist und rein gar nichts getan hat, außer für Gleichberechtigung zu sein, mit kurzen Unterbrechungen von medizinischem Hafturlaub seit vier Jahren im Gefängnis ist? So macht sich Politik leider komplett unglaubwürdig. Für die Bürger, aber auch für das Mullah-Regime im Iran. Mein Vertrauen in die Bundesregierung ist mit der Hinrichtung von Jamshid Sharmahd komplett erloschen.
Hatten Sie seit der Hinrichtung Kontakt mit dem Auswärtigen Amt?
Noch nicht, vielleicht ist das auch besser so, weil ich sehr aufgewühlt bin. Ich erwarte allerdings eine Erklärung und auch Entschuldigung von höchster Stelle – für Gazelle Sharmahd, die Tochter von Jamshid Sharmahd, und auch für mich. Man versichert uns seit Jahren: höchste Priorität, höchstrangiger Einsatz. Jetzt wird ein deutscher Staatsbürger, der zuvor entführt wurde, hingerichtet. Ich erwarte Antworten – vor allem auch auf die Frage: Wie wird denn wirklich gehandelt? Annalena Baerbock hat ernste Konsequenzen angekündigt. Was soll das sein nach dem, was geschehen ist? Ich gehe davon aus, das Auswärtige Amt meldet sich bald bei mir. Natürlich habe ich nach der Hinrichtung auch wahnsinnige Angst um meine Mutter.
Ihre Mutter ist seit dem 28. September wieder in medizinischem Hafturlaub – sie hatte Osteoporose, Bluthochdruck, Herzprobleme. Haben Sie mit ihr schon über die Hinrichtung Sharmahds gesprochen?
Am Montagabend, ja. Wie wir alle ist sie geschockt und in tiefer Sorge. Alle fünf Stunden wird vom iranischen Regime ein Mensch ermordet. Jetzt sind es auch deutsche Staatsbürger. Sie können sich vorstellen, was die ständige Sorge mit einer multipel erkrankten 70-jährigen Frau macht. Meine Mutter hat jeden Tag Angst, wieder inhaftiert zu werden – so, wie es bei den zwei vorangegangenen Hafturlauben war. Sie ist sehr stark, wir sind alle sehr stark – aber irgendwann sind die Reserven erschöpft, irgendwann reißt mental etwas.
Bei Ihrer Mutter hat die vierjährige Haft zu zahlreichen Erkrankungen geführt, die mentalen Auswirkungen sind da noch nicht einbezogen. Wie ist es bei Ihnen – sie haben nach der Inhaftierung Ihrer Mutter ihren normalen Job aufgegeben und arbeiten längst nur noch als Menschenrechtsaktivistin für die Organisation "Hawar help"?
Ich habe chronische Magenschmerzen, wahrscheinlich ein Magengeschwür, und chronische Rückenschmerzen. Mein Orthopäde hat mich gefragt, ob mich etwas beschwert, Rückenschmerzen könnten auch mentale Ursachen haben. Wie erkläre ich einem Mediziner aus dem Kölner Süden, was mich beschwert? Die Sache ist zu groß, um sie in zwei Sätzen zu beschreiben.
Populisten nehmen Emotionen auf und machen damit Politik – Angst vor Krieg, Geflüchteten oder sozialem Abstieg zum Beispiel. Wenn die Politik vorgibt, rein rational zu agieren, wie das der Bundeskanzler gern tut, verliert sie an Zustimmung und Glaubwürdigkeit. Nehmen Sie das so auch im Umgang der Bundesregierung mit dem Iran wahr?
Ja, und ich denke, das ist ein großes Problem. Ich verabscheue die Art, wie Frau Wagenknecht Politik macht – sehe aber, wie sie an Zustimmung gewinnt, wenn sie über Frieden spricht, wonach sich alle sehnen. Emotionen, das heißt auch: Verantwortliche Politiker müssen eine klare Haltung demonstrieren, die gegenüber Autokraten und Diktatoren sehr entschieden und laut sein muss. Das erlebe ich in vielen Bereichen leider gerade nicht. Rational gesehen mag ich es, wenn Politiker auf Aufklärung und Verständigung setzen – ich denke aber, dass es in Machtpositionen auch immer darum geht, sich Respekt vor anderen Machthabern zu verschaffen. Wäre das iranische Regime mit einem Kanzler Kohl oder einem Kanzler Schröder ähnlich umgegangen? Es ist traurig, dass solche Fragen auftauchen – wir sollten weiter sein, auch was die Vorstellungen von Macht und Ego betrifft. Im Moment stelle ich mir solche Fragen aber leider.
CDU-Chef Friedrich Merz, der eine politische Patenschaft für Jamshid Sharmahd übernommen hatte, fordert harte Konsequenzen gegen den Iran – samt der Ausweisung des iranischen Botschafters aus Deutschland.
Die USA haben gar keine diplomatische Beziehungen zum Iran, trotzdem werden auch amerikanische Staatsbürger inhaftiert. Die Forderung ist richtig, aber es ist letztlich nur Symbolpolitik. Es wird weiter Handel mit dem Iran geben. Klar ist, dass Olaf Scholz den Umgang mit dem Iran und politischen Geiseln wie meiner Mutter endlich zur Chefsache machen muss – auch wenn das viel zu spät ist und das islamistische Regime die deutsche Bundesregierung offenbar nicht ernst nimmt – sonst wäre Jamshid Sharmahd niemals hingerichtet worden. Kann ja gut sein, dass Merz im kommenden Jahr Kanzler wird. Interessant ist, wie er mit dem Iran umgeht, wenn es so kommt.
Sie kennen Gazelle Sharmahd gut und arbeiten aktivistisch auch zusammen – obwohl sie politisch völlig anders denken. Gazelle Sharmahd bezeichnet sich so wie ihr Vater das getan hat als Monarchistin, die eine Rückkehr von Verhältnissen im Iran unter dem Schah vor der Revolution 1979 im Wesentlichen begrüßen würde. Offenbar ist die gemeinsame Geschichte viel bedeutender als die politische Haltung.
Das ist so. Gazelle ist ein sehr offener, toleranter Mensch, der jeden gelten lässt. Die Fälle Ihres Vaters und meiner Mutter sind unterschiedlich gelagert – gleich ist aber, dass sie beide Geiseln des Mullah-Regimes waren, mit denen die deutsche und in Sharmahds Fall auch die US-amerikanische Regierung erpresst wurden. Offenbar erfolgreich. Die Bundesregierung gibt dem islamistischen Regime keinen Anlass, etwas an ihrer Strategie zu ändern.
Es wird spekuliert, dass die Hinrichtung Sharmahds auch eine Reaktion auf den Angriff Israels auf den Iran war. Was denken Sie darüber?
Das mag eine Rolle gespielt haben, so wie die geopolitische Lage immer den Umgang mit politischen Geiseln beeinflusst. Für mich ist die Hinrichtung aber vor allem der Beweis dafür, wie egal dem iranischen Regime ihr Verhältnis zu Deutschland ist, dass die Mullahs die Bundesregierung nicht ernst nehmen. Und das ist unfassbar. © Kölner Stadt-Anzeiger
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