Die Lage in der regionalen Wirtschaft hat sich deutlich verschlechtert. Das hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg bei ihrer jüngsten Konjunkturumfrage ermittelt. Unterm Strich sieht die IHK eine strukturelle Krise und warnt gar vor einer Deindustrialisierung.
Befragt worden sind im September/Oktober 1700 Unternehmen in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis danach, wie sie ihre wirtschaftliche Lage bewerten, ob sie Investitionen planen oder Personal entlassen wollen. 350 schickten den Fragebogen zurück. Das seien genügend, um der Umfrage einen repräsentativen Charakter zu geben, so die Kammer. Bei den Antworten spielt nicht nur der Blick der Firmenchefs in die Auftragsbücher eine Rolle, sondern auch das subjektive Empfinden. "Wirtschaft ist ganz viel Stimmung", sagt IHK-Präsident Stefan Hagen.
Ein Drittel der Unternehmen im Rhein-Sieg-Kreis verzeichnet gesunkene Umsätze
Die ist offenbar so schlecht, dass der Konjunkturklimaindex mit 90 Punkten deutlich niedriger als im Frühsommer (102 Punkte) ausfällt. Die Richtmarke sind 100 Punkte, alle Zahlen darüber drücken Optimismus aus. Die damalige leichte Verbesserung sei "ein Strohfeuer" gewesen, meint Hagen. Jetzt setzten sich "Rezession und Stagnation" fort. Nur noch jedes vierte Unternehmen beurteile seine Lage als gut, gerade einmal jedes siebte rechne in den kommenden Monaten mit einer Verbesserung. Im Frühsommer sei noch ein Drittel der Betriebe zufrieden gewesen. Als größtes Geschäftsrisiko nennen sie die schwache Inlandsnachfrage. "Die Unsicherheit hemmt private Investitionen, zugleich verliert Deutschland im internationalen Standortvergleich an Attraktivität", berichtet IHK-Hauptgeschäftsführer Hubertus Hille.
Das trifft vor allem die Dienstleister, die in der Region 90 Prozent der Wertschöpfung erbringen. In diesem Sektor ist der Klimaindex von 102 auf 94 Punkte gefallen. Ein Drittel der Unternehmen verzeichnet gesunkene Umsätze, ein Viertel geht von einer Verschlechterung aus. "Die Rezession kommt an", schreibt die Kammer in ihrem Bericht.
Das liegt vor allem an der besonders im Rhein-Sieg-Kreis stark vertretenen Industrie, einem wichtigen Partner der Dienstleistungsbetriebe, die nun aber nicht mehr die nötigen Aufträge erhielten. Der Geschäftsklimaindex der Industriebranche stürzte von 102 auf 79 Punkte ab. Grund: Auftragseingänge aus dem In- und Ausland gehen zurück, Handelskonflikte zwischen der EU, China und den USA belasten laut IHK die exportorientierte Sparte zusätzlich. Investitions- und Beschäftigungsabsichten lassen nach Einschätzung von Hille auf eine drohende Deindustrialisierung schließen. Jedes zweite Unternehmen wolle seine Ausgaben zurückfahren, 41 Prozent planten gar den Abbau von Arbeitsplätzen.
Einzelhändler verzeichneten Umsatzrückgänge
Beim Einzelhandel, dem Sorgenkind der Kammer, springt der Konsum nicht an. Seit Jahren mäandert der Klimaindex unter der 100ermarke, nun hat er sich bei 73 Punkten festgesetzt. Für Hille ist das auch Ausdruck der allgemeinen Verunsicherung im Land: steigende Lebenshaltungskosten und Mieten, politischer Extremismus, Angst um die Zukunftsfähigkeit der Sozialsysteme und der Wirtschaftspolitik – "wenn die Situation für Menschen besorgniserregend ist, geben sie nichts mehr aus und sparen ihr Geld". Und das bekommen die Einzelhändler zu spüren. Mehr als die Hälfte von ihnen musste Umsatzrückgänge hinnehmen; die Finanzlage bleibt für viele angespannt, 26 Prozent berichten von Forderungsausfällen.
Weniger negativ hat sich die Situation in der Informations- und Kommunikationsbranche entwickelt, hier ist der Index sogar von 85 auf 92 Punkte geklettert. 20 Prozent der Unternehmen rechnen mit einer Verbesserung der Geschäfte. Auch in der Verkehrssparte sieht es besser aus als in anderen Wirtschaftszweigen; den Spediteuren fehlen aber vor allem Brummifahrer.
Die von der IHK festgestellte Rezession kommt auch auf dem Arbeitsmarkt an, die Arbeitslosenquote ist im Bezirk der Arbeitsagentur Bonn/Rhein-Sieg im September von 6 auf 6,2 Prozent gestiegen. Fast 32.000 Menschen sind in der Region ohne Job.
Pläne für Quartiersparkplätze erfordern Lärmschutzgutachten
Was ist zu tun? IHK-Präsident Hagen sagt, die Politik, von der kommunalen bis zur EU-Ebene, müsse reagieren. "Zuversicht lässt sich in diesem Umfeld nur verbreiten, wenn die Bundesregierung mit ihrer Wachtsumsinitiative ernst macht und echte Entlastungen schafft." Es müsste mehr Anreize für Investitionen geben, die Wirtschaft weniger belastet und Bürokratie abgebaut werden.
Hagen hat ein Beispiel für ausufernde Bürokratie parat: Die IHK will im Innenhof ihres Bürohauses am Bonner Talweg Quartiersparkplätze schaffen, die Anwohner der Südstadt nach Dienstschluss kostenlos nutzen sollen. Dieses Vorhaben wird aber daran scheitern, dass die Kammer erst ein Lärmschutzgutachten beibringen muss. Es soll klären, ob das Zuschlagen der Autotüren am Abend die Anwohner stören könnte. © Kölner Stadt-Anzeiger
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