"Abschiede rühren, dieser besonders", sagte Pfarrer Wilfried Seeger, als im Mai 2023 der letzte Gottesdienst in der evangelischen Andreaskirche in Merkenich gefeiert wurde.

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Es schmerze, einen Ort aufzugeben, an dem sich 54 Jahre lang Menschen im Namen Gottes versammelt hätten. Doch seit einiger Zeit stünden die relativ geringe Nutzung und Nachfrage in keinem Verhältnis zum finanziellen und personellen Aufwand, sagte Seeger zur Entscheidung des Presbyteriums der Evangelischen Hoffnungsgemeinde, das Gotteshaus zu entwidmen. Zurzeit dient das Gebäude der Jüdischen Liberalen Gemeinde Köln als Interimsstandort.

Auch die katholische Kirche St. Hildegard in der Au in Nippes steht noch, obwohl in dem maroden Gebäude seit Langem keine Gottesdienste mehr gefeiert werden. Erwogen wird, dass sie einem Bau mit Wohnungen weicht. Die Gemeinde sammele gerade Ideen, wie dies umgesetzt werden könne, zum Beispiel mithilfe von Partnern, sagt Michele Lionetti, leitender Pfarrer des Seelsorgebereichs Nippes, Bilderstöckchen und Riehl. "Es wird noch lange dauern, denn die Baubranche ist ja in der Krise."

Im Erzbistum Köln sind zurzeit neun Kirchen außer Dienst gestellt

Als die Kirche 2020 außer Dienst gestellt wurde, wie es in Amtssprache heißt, war die Trauer groß. "Ich kann mir nicht vorstellen, wenn der Tag kommt, dass sie abgerissen wird", sagte Wilfried Koch, der dort 38 Jahre lang als Diakon gearbeitet hatte. Lange war um die Kirche gerungen worden. "Wir haben wirklich alles versucht, aber, so hart es klingt, der Nutzungsbedarf für St. Hildegard tendiert heute gegen null", sagte Pfarrer Stefan Klinkenberg damals dem "Domradio". "Es besteht keine Verhältnismäßigkeit mehr zwischen dem, was die Gemeinde an Gewinn aus einer erneuten Instandsetzung auf der einen und den aufwendigen Kosten auf der anderen Seite ziehen würde."

Ob in Köln oder andernorts in Deutschland, ob katholisch oder evangelisch – es mehren sich die Fälle, in denen Kirchen aufgrund von Kosten-Nutzen-Erwägungen schließen, umgenutzt oder abgerissen werden, sofern sie nicht unter Denkmalschutz stehen. In Zeiten, in denen die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpft und die Mittel der Kirchen knapper werden, kommen auch die Gotteshäuser auf den Prüfstand, begleitet von der Zusammenlegung von Gemeinden. Im Erzbistum Köln sind nach dessen Angaben zurzeit neun Kirchen außer Dienst gestellt. "Ihre Profanierung wird geprüft."

Auf der Liste steht die erwähnte Kirche St. Hildegard in der Au. Um welche Gotteshäuser es sich außerdem handelt, will das Erzbistum auf Anfrage dieser Zeitung nicht kommunizieren. "Zu den außer Dienst gestellten Kirchen gehören auch Kölner Kirchen", heißt es lediglich.

Evangelische Gemeinde Köln plant gravierende Veränderungen

Der Evangelische Kirchenverband Köln und Region teilt auf Anfrage mit, dass in naher Zukunft im Stadtgebiet keine Entwidmungen von Gotteshäusern anstehen. Die Evangelische Gemeinde Köln, die zum Kirchenkreis Köln-Mitte gehört, plant allerdings gravierende Veränderungen, die nicht nur mit der rückläufigen Mitgliederzahl, sondern auch mit dem von der rheinischen Landeskirche reduzierten Pfarrstellenschlüssel zu tun hat.

Ein vom Presbyterium beschlossenes Konzept sieht vor, die fünf Kirchorte in der Innenstadt zwar zu erhalten, die kirchlichen Angebote aber auf drei Gotteshäuser zu konzentrieren und die Thomaskirche im Agnesviertel sowie die Lutherkirche in der Südstadt zu "diakonischen Zentren" umzubauen.

Der Standort Thomaskirche soll künftig betreutes Wohnen für die Eingliederungshilfe der Küpper-Stiftung anbieten. Bei der Lutherkirche sind die Pläne bislang weniger konkret. Hier sehen erste Überlegungen vor, einen diakonischen Standort mit dem Schwerpunkt Hospizarbeit entstehen zu lassen. Was dann aber tatsächlich am Standort Lutherkirche passiert, soll in Planungen ab Januar 2025 erarbeitet werden. Dann möchte die Evangelische Gemeinde Köln auch die Mitglieder ihrer Gemeinde in die Entscheidungen mit einbeziehen, wie sie gegenüber dem "Kölner Stadt-Anzeiger" betont.

In den zurückliegenden Jahren ist auf evangelischer Seite bereits die Jesus-Christus-Kirche in Esch verschwunden. 2018 entwidmet, wurde sie 2020 abgerissen. Ein Sonderfall ist die Dreifaltigkeitskirche Ossendorf, die nach ihrer Entwidmung 2019 zu einem "Aikido-Dojo" umgebaut wurde; der Trainingsraum für die japanische Kampfkunst ist zugleich ein Ort der Ruhe, Einkehr und Meditation. Die Entwidmung der Philipp-Nicolai-Kirche im Juni 2022 in Mauenheim war der Auftakt zum Umzug in das neue, modernere Gemeindezentrum in Weidenpesch; im selben Jahr wurde der Sakralbau dem Erdboden gleichgemacht.

Seit 2005 sind im Erzbistum Köln 24 Kirchen entwidmet worden

Vor etwa sechs Monaten ist die 2023 entwidmete Niehler Petrikirche abgerissen worden; dort entsteht ein Wohnhaus mit zehn öffentlich geförderten Mietwohnungen und einem Gemeindesaal im Parterre. Der Bestand der Immanuelkirche in Longerich ist ungewiss, ebenso die Zukunft des angrenzenden Gemeindehauses und weiterer Gebäude auf dem Pfarrgrundstück. In der Gemeinde läuft derzeit eine Standortuntersuchung; das Ergebnis ist offen.

Nach Auskunft des Erzbistums Köln wurden seit 2005 auf seinem Gebiet 24 Kirchen profaniert, zum Beispiel die Kirche St. Anno in Holweide, umgebaut zu einem Altenheim mit Kapelle. St. Monika in Bilderstöckchen wurde 2016 profaniert; nach dem Abriss, der im Herbst 2019 begann, entstand auf dem Gelände ein Soziales Zentrum mit Kindergarten und seniorengerechten Wohnungen. St. Heinrich in Deutz, bereits 2010 profaniert, dient als Mehrzwecksaal einer Wohneinrichtung für psychisch kranke Menschen. Aus der 2017 außer Dienst gestellten und 2019 entwidmeten Kirche St. Laurentius in Lindenthal ist ein Hörsaal der Universität zu Köln geworden.

Leerstehende Kirchen könnten für Kulturveranstaltungen genutzt werden

In diesem Herbst hat das Erzbistum eine "Arbeitshilfe" zum Umgang mit leerstehenden oder nur noch sporadisch genutzten Sakralräumen herausgegeben. Sie solle "Möglichkeiten einer würdigen und vertretbaren Um- und Nachnutzung aufzeigen" und "Anregungen für die Überlegungen geben, wie Kirchen auch jenseits einer rein liturgischen Nutzung eine Zukunft haben können", schreibt Generalvikar Guido Assmann im Vorwort. Die Gebäude müssten "in den kommenden Jahren unter vielen Aspekten auf den Prüfstand gestellt" werden, von der Wirtschaftlichkeit über den Investitionsbedarf und die Auslastung bis zu "Möglichkeiten der energetischen Ertüchtigung".

Die Handreichung stellt verschiedene Nutzungsvarianten vor. Eine davon ist, die Kirche als Sakralraum zu erhalten und für andere christliche Gemeinschaften oder für nicht-religiöse Zwecke zu öffnen, etwa für kulturelle Veranstaltungen. Ein Beispiel ist St. Michael im Belgischen Viertel. Ein weiteres Modell sieht vor, die Nutzung zu erweitern oder zu verändern; so ließe sich in einer Kirche etwa ein Kolumbarium, also eine Urnengrabstätte, einrichten. Dies ist in Köln mit St. Bartholomäus in Ehrenfeld geschehen. Das dritte Modell beschreibt die komplette Freigabe für weltliche Zwecke. Komme es in einem solchen Fall als "Ultima Ratio" gar zum Abriss der Kirche, sollte nach der Empfehlung der Arbeitshilfe ein "Erinnerungszeichen am Ort verbleiben", etwa ein Teil des Bauwerks, eine Skulptur oder der Grundstein der Kirche.

Es sei im Erzbistum ein "hohes Anliegen", möglichst viele Kirchengebäude zu erhalten, teilt es auf Anfrage mit. Für die Diözese stehe fest, "dass Kirchengebäude keinesfalls aus ausschließlich finanziellen Erwägungen zur Disposition gestellt werden. Denn Kirchen sind mehr als nur ein prägendes Symbol des Glaubens. Auch Menschen, die nicht oder nicht mehr der Kirche angehören, spüren, dass unserer Gesellschaft etwas verloren geht, wenn wir Kirchen aufgeben."

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Stadtsuperintendent Bernhard Seiger nennt es einen "Schatz", dass es in den Stadtteilen so viele Kirchen gebe wie gegenwärtig. Doch "der starke Rückgang der Mitgliederzahlen in den Kirchen zwingt nun wegen der Finanzierbarkeit dazu, die Bedarfe für langfristige Planungen nüchtern zu prüfen und Standorte aufzugeben". Dieser Prozess solle "immer ökumenisch gedacht" werden. Denn oft genüge es "wenn es nicht zwei, sondern einen Kirchort gibt, der von beiden Konfessionen genutzt werden kann". Je selbstverständlicher das ökumenische Zusammenleben in der Nachbarschaft sei, "umso leichter lassen sich pragmatische Lösungen finden".  © Kölner Stadt-Anzeiger

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