Filmemacher Popp und Bergmann: Beinahe 50 Jahre lang haben Mischka Popp und Thomas Bergmann zusammen herausragende Dokumentationen gedreht. Jetzt sind die Filme digitalisiert und in einer Werkschau zu sehen.

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Vorgeführt haben sie ihre Leute nie. Nicht diejenigen mit dem Fetisch, nicht diejenigen, die ihr Heim zur Bastion umgebaut haben, mit Baumarkt-Sperrholz und Lötkolben. Nicht diejenigen, die ganz unten angekommen waren, auf Frankfurts Straßen, nicht einmal jene, die über Jahre hinweg mit ihren Nachbarn stritten. Obwohl – die vielleicht ein ganz kleines bisschen, denn der Film heißt "Giftzwerge" (1990), wie auch das Buch, das seinerzeit bei C. H. Beck erschienen

Wertung war Mischka Popp und Thomas Bergmann im Grunde aber immer fremd, wenn sie sich mit Menschen befasst haben. Haltung indes zeigen sie in jedem ihrer Filme. "Man muss etwas riskieren und auch wagen, falsch zu liegen", sagt Popp.

Das macht die Stärke der Filme aus, und vermutlich auch ihre Frische, obwohl sie zugleich so zeitgebunden sind. Die Dokumentarfilmer Popp und Bergmann haben ihre Themen immer im Heute gesucht. Dabei sind sie oft genug tief in die Vergangenheit vorgedrungen, und oft auch in die Zukunft, ob sie in "Higgs" (2000) die Forscher am CERN in Genf porträtieren oder sich in "Drei Bauern unter einem Hut" schon 1981 mit der Zukunft der Landwirtschaft und der sozialen Frage, die mit ihr zusammenhängt, befasst haben. Ihr letzter Film, "Mazel Tov", befasste sich mit "Menschen, die die Welten gewechselt haben" – den russischen Neuankömmlingen in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. 2009 kam er ins Kino.

"Der Titel sollte immer <em><strong>‚</strong></em>kurz und knackig sein<em><strong>’"</strong></em>

Die beiden Dokumentarfilmer, sesshaft geworden im Frankfurt der Siebzigerjahre, sind bis heute eine Ausnahme in der Filmlandschaft. Entstanden sind, über Jahrzehnte, außergewöhnliche Dokumentarfilme. 2019 ist Bergmann gestorben. Fünf Jahre nach seinem Tod, gut 50 Jahre nach der ersten Zusammenarbeit und vor allem beinahe pünktlich zum 80. Geburtstag von Mischka Popp sind nun 13 Langfilme Popps und Bergmanns in einer Werkschau am Deutschen Filminstitut und Filmmuseum Frankfurt (DFF) zu sehen, unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Mike Josef (SPD).

Eine Ehre – und die Gelegenheit, ein ungewöhnliches Werk zu entdecken: "Kopfleuchten" (1998) über Menschen mit Erkrankungen oder Verletzungen des Gehirns, "Herzfeuer" (1993) über Sexualität, Obsessionen, geheimes Begehren. Oder "Vom Flachlegen und Aufstehen" (1986), ein "Heimatfilm" über die Flurbereinigung, deren Folgen man heute auch bei Überflutungen erleben kann.

"Die Titel sollten immer "kurz und knackig sein", sagt Popp – aber eben auch widerspiegeln, mit was sich die beiden Autoren auf dem Weg beschäftigt hatten und was essenzieller Teil ihrer Filme ist: Literatur, oft im Off zitiert, Musik, Kunst. Sie sollten aber auch auf die Menschen hinweisen, um die es in den Werken geht. Gefunden haben sie ihre Protagonisten meist über Kleinanzeigen. Gegangen ist es ihnen immer um ein Thema, das es herauszuarbeiten galt, mit der Bereitschaft, sich überraschen zu lassen von dem, was einem begegnet. Im Mittelpunkt stets: der Mensch, in der Beschränkung seiner Verhältnisse oft genug komisch, vielleicht auch tragisch. Man lacht und lächelt viel in den Filmen, oft etwas ungläubig.

Sie waren Seiteneinsteiger

Dass nun drei der Filme, "Die Potemkinsche Stadt" (1988), mit dem das Festival eröffnet wird, "Herzfeuer" und "Kopfleuchten", mit Mitteln der Filmerbe-Förderung digitalisiert werden konnten, nennt Popp "eine große Anerkennung unserer Arbeit". "Kopfleuchten" wird noch nicht fertig digitalisiert sein, wenn am 1. November die große Werkschau im DFF beginnt. Fans von Kinoarbeit wird es sicherlich nicht schmerzen, dass stattdessen eine gut erhaltene Original-35-Millimeter-Kopie läuft.

Dass ihre Filme im Kino gezeigt werden, ist Popp und Bergmann seit Mitte der Achtzigerjahre enorm wichtig gewesen – aus gutem Grund. Heute haben Dokumentarfilme im Programmkino wieder den großen Auftritt, als Popp und Bergmann Mitte der Achtzigerjahre begannen, Dokumentarfilme auch für das Kino zu drehen, liefen manche Dokumentationen im Fernsehen noch zur besten Sendezeit, direkt nach der "Tagesschau". Dann aber kam die große Delle, heute laufen Dokumentarfilme im Fernsehen meist spät abends, wenn überhaupt.

"Wir hatten Glück mit den Fernsehpartnern und den Redaktionen", sagt Popp, "die Gespräche mit ihnen waren sehr anspruchsvoll, und sie haben für unsere Filme gekämpft". Als die Anfänger Popp und Bergmann mit ihren ersten Ideen ankamen, habe man ihnen einen erfahrenen Kameramann mitgegeben und sie machen lassen. "Es war damals nicht kompliziert, als Seiteneinsteiger in den Betrieb zu kommen", sagt sie. Ihr Sohn Sebastian Popp, selbst Filmproduzent in Frankfurt, auch im Gespann mit seiner Frau, der Regisseurin Annette Ernst, der jetzt die Werkschau betreut hat, schüttelt da leise den Kopf – solche Leute wie damals, sagt er, gebe es heute nicht mehr.

Beinahe 50 Jahre lang haben die beiden gemeinsam gelebt und gearbeitet: Popp, geboren am 2. September 1944 in Hameln, ausgebildete Schauspielerin, nach ein paar Jahren an Theatern, auch am Frankfurter Theater am Turm, ihre eigene Herrin als Filmemacherin. Und Bergmann, am 12. Dezember 1943 in Heidau an der Neiße geboren und in Kassel aufgewachsen, der Ethnologie und Philosophie studiert und journalistisch gearbeitet hatte, ehe die beiden sich zusammentaten, noch ganz jung.

Filmfamilien auf Zeit

Sie haben einander geprüft. "Ein halbes Jahr lang, bevor wir nicht nur ein Arbeitspaar, sondern auch ein Lebenspaar wurden", sagt Popp. Die Sache hat geklappt, in beiden Sphären. Man erlebte die beiden immer im Dialog. Er, literarisch begabt, oft assoziativ, sie eher diejenige, die strategisch plante und die Fäden zusammenhielt, auch in der gemeinsamen Produktionsfirma Pilotfilm. "Wir wollten immer unabhängig sein und selbst produzieren", sagt Popp. Was bedeutete: ins Risiko gehen, selbst wiederum Leute beschäftigen, die eigene Produzentin sein. "Aber das hat seinen Preis – man muss so viel produzieren, dass man alles finanzieren kann."

Doch das Zwei-Personen-Unternehmen Popp-Bergmann gedieh. Es arbeitete am liebsten mit denselben vertrauten Personen zusammen, dem Kameramann Jörg Jeshel und Peter Przygodda, der das Wort "Cutter" hasste und der Schnittmeister gewesen ist für Wim Wenders, Volker Schlöndorff sowie Popp und Bergmann. "Filmarbeit ist Teamarbeit", das ist beinahe eine Floskel. Aber wenn Popp davon spricht, man sei für die Dauer der Produktionen "eine Filmfamilie auf Zeit, man braucht Intensität und Geborgenheit, um etwas zustande zu bringen", spiegelt das eine Arbeitsweise wider, die es erst ermöglicht hat, Filme wie "Die Potemkinsche Stadt" quer durch Europa zu drehen, mit einem enormen Aufwand. Der sich gelohnt hat: Der Film ist im Werk von Popp und Bergmann der am meisten international gezeigte, und Popp muss lächeln, wenn sie von der Kopie berichtet, die beim Sahara Film Festival lief – alles voll Sand hinterher, bis heute rieselt es aus der Kopie.

Aufgeräumt, wie Popp immer schon war, hat sie das Filmmaterial längst an das Filmarchiv des DFF gegeben, das es auch verwerten kann. Noch liegen die Produktionsunterlagen, viele laufende Meter Papier, akribische Transkripte all der Interviews, die sie geführt haben, bei ihr. Gute Organisation und Planung bei gleichzeitiger größtmöglicher kreativer Freiheit: Nur so waren Popp und Bergmann die Herren über das, was entstand. Erst viele Bildungsformate und kürzere Filme für das Fernsehen – "da haben wir geübt", sagt Popp, manchmal kamen mehr als sechs Stunden Fernsehmaterial im Jahr zusammen. Und sie haben gelernt, "wie man einen Film baut".

Das ist Popp bis heute wichtig. "Das muss man beim Filmemachen aushalten. Man muss unendlich streng sein und so lange rumfummeln, bis die Essenz da ist." In früheren Jahren haben sie und Bergmann gelegentlich an Filmhochschulen unterrichtet, heute schaut sie zwar sehr angetan auf das neue Interesse am Dokumentarfilm. Viele der oft aus der eigenen oder der Familienbiographie motivierten aktuellen Filme aber liegen ihr nicht, "dieses Kreiseln um die eigene Person. Es fehlen der Rahmen und die Distanz zur eigenen Person und Geschichte." Das war ihr immer wichtig: "Dass es dabei darum geht, das Ungewohnte herauszuarbeiten."

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Es sprechen immer ein großes Staunen und zugleich Verständnis für alles Menschliche aus den Filmen. Die soziale Frage, im ganz Großen und im ganz Kleinen, hat sie beschäftigt. "Mit wem und wie können wir leben?", formuliert es Popp heute: "Wenn die Leute anders herauskommen, als sie hineingegangen sind – das wäre gut."

Werkschau Mischka Popp und Thomas Bergmann, Deutsches Filminstitut und Filmmuseum Frankfurt, 1. bis 3. November  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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