Zukunft der Nachrichtendienste: Im Kampf gegen Terrorismus und andere schwere Straftaten fordert der hessische Innenminister Roman Poseck ein Umdenken in Politik und Justiz.

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Warum ihm das Sicherheitspaket der Ampel nicht weit genug geht – und warum das Thema Sicherheit auch mit Migration zu tun hat.

Herr Poseck, nach dem vereitelten Terroranschlag auf die israelische Botschaft in Berlin haben Sie Konsequenzen gefordert und gesagt, Deutschland müsse die eigenen Sicherheitsbehörden stärken und unabhängiger von ausländischen Nachrichtendiensten werden. Steht es um die deutschen Dienste wirklich so schlecht?

Ja und nein. Unsere Dienste sind aktiv und sie verfügen über engagierte und kompetente Mitarbeiter. Gleichwohl, im internationalen Vergleich haben sie es schwer. Sie sind teilweise abgehängt. Sie haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie andere Nachrichtendienste, insbesondere auf der internationalen Bühne. Deshalb müssen wir aus meiner Sicht handeln, damit wir unabhängiger werden. Denn wir können uns nicht immer darauf verlassen, dass der Hinweis noch rechtzeitig aus dem Ausland kommt.

Wenn Sie sagen, die Nachrichtendienste seien abgehängt, können Sie das konkretisieren? Woran machen Sie das fest?

International gibt es kaum Dienste, die so stark reglementiert sind wie unsere. Wir haben sehr strenge rechtliche Vorgaben, zum einen durch die Gesetze, zum anderen durch die Rechtsprechung, vor allem des Bundesverfassungsgerichts. Und diese Bindungen unterscheiden unsere Nachrichtendienste von anderen. Beispielsweise hat das Bundesverfassungsgericht unsere Behörden an das strenge deutsche nationale Recht auch im Ausland gebunden. Wir haben zudem das Trennungsgebot. Deshalb darf es nur einen eingeschränkten Austausch zwischen Nachrichtendiensten, Verfassungsschutz und sonstigen Sicherheitsbehörden geben. Diese strikten Vorgaben sind durchaus ein Hemmschuh für eine konsequente Sicherheitspolitik. Ich will nicht alle Regularien über Bord werfen. Niemand will bei uns chinesische Verhältnisse. Aber unsere Sicherheit wird heute ganz anders bedroht, als es vor einigen Jahren der Fall war. Und darauf müssen wir reagieren.

Das Bundesverfassungsgericht wird sich aber wohl nicht so schnell diesen neuen Bedrohungen beugen.

Das Bundesverfassungsgericht ist weltweit eines der wirkmächtigsten Verfassungsgerichte. Das ist eine große Stärke unseres Rechtsstaats. Und als ehemaliger Richter und Präsident des hessischen Verfassungsgerichts trete ich selbstverständlich für den Respekt gegenüber den Gerichten ein. Dennoch gibt es gerade in der jüngeren Zeit Entscheidungen, bei denen ich mir eine andere Gewichtung und Abwägung gewünscht hätte.

Wo zum Beispiel?

Ich denke hier beispielsweise an die jüngste Entscheidung zum BKA-Gesetz. Persönlich habe ich manchmal Zweifel, dass das Bundesverfassungsgericht und die anderen Gerichte die Dynamik der Sicherheitslage hinreichend berücksichtigen. Auf der einen Seite dürfen juristische Maßstäbe natürlich nicht beliebig sein. Auf der anderen Seite müssen sie aber auch aktuelle Entwicklungen berücksichtigen. Deshalb hoffe ich, dass sich auch die Rechtsprechung weiterentwickelt und der Bedrohung für unsere Sicherheit sowie der Dynamik unserer Zeit Rechnung trägt. Wir brauchen gerade jetzt einen starken und wehrhaften Rechtsstaat. Und auch die Justiz hat eine Verantwortung für unsere Sicherheit.

Was sind die Bereiche, in denen ausländische Sicherheitsbehörden eindeutig im Vorteil sind?

Andere Nachrichtendienste – das gilt für die Vereinigten Staaten, aber beispielsweise auch für Großbritannien – haben zum Beispiel weitreichendere Möglichkeiten in der Überwachung von Kommunikation, vor allem im Netz. Wir haben immer noch ein Recht, das sehr stark in der analogen Welt verhaftet ist. Wir müssen auch unseren Diensten, wie es auch von ihnen selbst gefordert wird, "mehr Beinfreiheit" eröffnen, das heißt zu mehr Möglichkeiten und mehr Flexibilität im Handeln kommen, damit sie den täglich neuen Herausforderungen gerecht werden können.

Von welchen Befugnissen sprechen Sie da konkret?

Zum einen brauchen wir Regeln für eine Onlinedurchsuchung; bei diesem Thema sind wir noch viel zu weit hinterher. Des Weiteren muss es den Behörden ermöglicht werden, auch kryptierte Kommunikation zu entschlüsseln. Das ist heute ein entscheidender Schlüssel, weil auf diesem Wege terroristische Anschläge vorbereitet werden. Und schließlich brauchen wir dringend eine Speicherung der Verkehrsdaten beziehungsweise der IP-Adressen. Der Europäische Gerichtshof hat diese Möglichkeiten eröffnet. Leider verweigert die Bundesregierung nach wie vor die notwendige Änderung des Gesetzes. Die Speicherung von Verkehrsdaten ist zentral, wenn wir Terrorismus erfolgreich bekämpfen wollen.

Im jüngst vorgelegten Sicherheitspaket der Bundesregierung sind ja schon einige Aspekte aufgegriffen, zum Beispiel der Abgleich von Stimmproben und Fotos von Personen, nach den gefahndet wird, mit einer biometrischen Datenbank. Der CDU geht das nicht weit genug.

Aus meiner Sicht bringt das Sicherheitspaket der Ampel wenig für die Terrorismusbekämpfung. Es gibt ein paar Ansätze, die haben Sie angesprochen, aber das sind allenfalls halbherzige Schritte. Das Sicherheitspaket der Ampel ist unvollständig und das an ganz zentralen Stellen. Das Sicherheitspaket ist in den Verhandlungen der Ampel-Parteien deutlich zusammengeschrumpft worden. Man hat sich mal wieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Das ist aber in der Sicherheitspolitik aktuell zu wenig. Die Gesichtserkennung ist jetzt auf schwerste Straftaten begrenzt worden. Das ist ein Fehler. Wir brauchen die Gesichtserkennung auch bei weiteren Straftaten, zumindest ab mittlerer Kriminalität, jedenfalls bei allen Verbrechen, wie beispielsweise einem Raub, für die eine Mindeststrafe von einem Jahr vorgesehen ist. Und die Speicherung der IP-Adressen kommt im Sicherheitspaket überhaupt nicht vor. Unsere Praxis ruft dringend nach diesem Instrument, und zwar sowohl für die Strafverfolgung als auch für die Gefahrenabwehr.

Der Europäische Gerichtshof hat die Vorratsdatenspeicherung zuletzt ausdrücklich erlaubt. Haben Sie den Eindruck, Bundesjustizminister Buschmann wird sich in dieser Frage jemals bewegen?

Ich befürchte, dass er sich nicht bewegen wird. Er hat sich aus meiner Sicht verrannt. Ich schätze Herrn Buschmann persönlich, aber seine Position kann ich nicht ansatzweise nachvollziehen. Das "Quick Freeze"-Verfahren, auf das er sich konzentriert, ist untauglich. Das sagen alle Praktiker, vom Präsidenten des Bundeskriminalamts bis zum Ermittler in der hessischen Polizei. Wo nichts ist, kann auch nichts eingefroren werden. Mich sprechen inzwischen auch FDP-Mitglieder an, die gerne bei dem Thema weiterkommen würden, weil sie von der offiziellen Linie nicht oder jedenfalls nicht mehr überzeugt sind. Es ist ärgerlich, dass die FDP in dieser zentralen Frage immer mehr zu einem Risiko für unsere Sicherheit wird. Ohne die Speicherung von IP-Adressen kann Terrorismusbekämpfung nicht gelingen. Und das sollte auch der Bundesjustizminister berücksichtigen.

An welchen Punkten lässt sich aus Ihrer Sicht noch am ehesten etwas drehen?

Zunächst einmal warten wir jetzt ab, wie die Ampel agiert, nachdem der Bundesrat seine Zustimmung zum Sicherheitspaket aus guten Gründen verweigert hat. Ich halte es für wahrscheinlich, dass es zu einem Vermittlungsverfahren kommt. Das wäre ein vernünftiger Schritt, um Korrekturen vorzunehmen. Von Unionsseite werden wir darauf dringen, dass es eine deutliche Verschärfung dieses Sicherheitspaketes gibt, damit es seinen Namen auch verdient. Dabei wären mir persönlich drei Punkte wichtig: die Speicherung der IP-Adressen und der Verkehrsdaten, die Gesichtserkennung und eine verbesserte Analyse von Daten. Denn Daten sind die neue DNA.

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Sie sprechen ja auch von einer alarmierenden Entwicklung im Hinblick darauf, dass vollendete und vereitelte Terroranschläge zeitlich immer dichter aufeinander folgen. Kann man dem allein mit verschärften Befugnissen überhaupt begegnen? Oder müsste nicht viel früher angesetzt werden, beispielsweise bei der Frage der Ausreisepflicht von Gefährdern, also konsequenten Rückführungen?

Wir hatten jetzt innerhalb weniger Wochen die schrecklichen Attentate in Mannheim und in Solingen und vor wenigen Tagen nun noch der vereitelte Anschlag auf die israelische Botschaft. Dazwischen gab es eine Schießerei vor dem israelischen Generalkonsulat in München. Wir sehen also, dass wir es mit einer hochgefährlichen Entwicklung zu tun haben. Und deshalb brauchen wir in der Sicherheitspolitik einen neuen umfassenden und konsequenten Ansatz. Die Themen Migration und Sicherheit gehören zusammen. Das zeigen all diese Fälle. Denn die Täter sind durchgängig Personen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Deshalb fordere ich auch eine deutliche Begrenzung der Migration, die sich wiederum nur über Zurückweisungen an den Grenzen wird erreichen lassen. Wir müssen einer Überforderung von Staat und Gesellschaft entgegenwirken. Das ist auch ein wichtiger Beitrag zur Sicherheit.

Ein erster Schritt wäre es ja, diejenigen abzuschieben, die sich hier bereits aufhalten und nachweislich eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen.

Das stimmt. Aber Abschiebungen werden immer schwierig sein. Es gab im vergangenen Jahr deutschlandweit auf eine erfolgreiche Abschiebung 20 neue Asylanträge. Das zeigt, warum es unerlässlich ist, den Zugang zu begrenzen. Aber selbstverständlich müssen wir auch mehr und konsequenter abschieben. Wer ausreisepflichtig ist, muss unser Land verlassen. Das ist auch ein Gebot des Funktionierens und der Konsequenz des Rechtsstaats. Das Haupthindernis ist im Moment, dass wir in bestimmte Staaten gar nicht oder nur eingeschränkt zurückführen. Die meisten Ausreisepflichtigen in Hessen kommen aus dem Iran, dem Irak, aus Syrien, aus Afghanistan und aus der Türkei. Und in all diese Länder sind Abschiebungen nicht oder nur sehr begrenzt möglich. Wir benötigen dringend eine Neubewertung bestimmter Länder, mehr Abkommen mit Herkunftsstaaten und eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Aber auch an dieser Stelle ist die Bundesregierung am Zug.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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