Neues Gutachten: Ob Energiewende, Straßen- oder Schulbau: Es fehlt an Geld. Hessische Gewerkschaften fachen mit einem neuen Gutachten die Debatte über die Schuldenbremse an.
Für die Industriegewerkschaft Metall ist der Fall klar: Der Staat müsse mehr gegen die hohen Energiepreise tun, forderte Maik Grundmann, Bezirkssekretär der IG Metall Mitte, am Freitag. "Die Unternehmen, aber auch unsere Betriebsräte berichten immer wieder davon, dass die Energiepreise, die im internationalen Vergleich relativ hoch sind, ein Wettbewerbsnachteil sind." Nötig sei deshalb ein beschleunigter Ausbau der Netze, um Strom von den Windparks in der Nordsee nach Hessen zu bringen, sagte Grundmann. Aber auch die Investitionen in Energiespeicher und den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur reichten nicht aus. Die Landesregierung sollte deshalb einen "Energiewendefonds" auflegen.
Ein am Freitag von mehreren hessischen Gewerkschaften vorgestelltes Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass das Land für einen solchen Fonds trotz Schuldenbremse zusätzliche Kredite aufnehmen könnte. Auch für höhere Investitionen in den Bau von Schulen, Verkehrswegen und Sozialwohnungen gibt es demnach Möglichkeiten.
Die schwarz-rote Koalition plant einen "Hessenfonds"
Das Gutachten wurde im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbunds Hessen-Thüringen und fünf seiner Mitgliedsgewerkschaften von dem Frankfurter Juristen Georg Hermes verfasst, einem emeritierten Professor der Goethe-Universität. Er argumentiert, nach dem Ausführungsgesetz zur in der Landesverfassung verankerten Schuldenbremse sei die Aufnahme neuer Kredite möglich für den Erwerb von Beteiligungen. Wenn das Land Kredite aufnehme, um einen rechtlich selbständigen Energiewende-Fonds zu errichten und sich über diesen an "werthaltigen" Projekten beteilige, sei dies vermögensneutral.
Hermes räumt in seinem Gutachten ein, dass diese Auslegung unter Juristen umstritten sei. Allerdings plant die schwarz-rote Landesregierung bereits einen sogenannten Hessenfonds, der laut Koalitionsvertrag neben Investitionen auch "den Wandel unserer Wirtschaft" unterstützen soll. Die Einzelheiten sind noch offen, doch die Grundidee klingt durchaus ähnlich wie der von Hermes angeregte Energiewendefonds.
Zudem prüft die Landesregierung einen Daseinsvorsorgefonds. Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hatte vergangene Woche bei der Vorstellung der Eckpunkte für den Haushalt 2025 gesagt, über einen solchen Fonds könnte beispielsweise in Krankenhäuser oder in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert werden. Praktisch hieße das, dass das Land den klammen Kommunen unter die Arme greift.
Vorschlag: Kreditaufnahme und -abzahlung trennen
Hermes hält eine finanzielle Unterstützung der Kommunen durch das Land auf folgendem Weg für möglich: Städte oder Landkreise könnten etwa für Investitionen in Schulgebäude und Radverkehrsnetze Darlehen bei der landeseigenen Förderbank Wibank aufnehmen – denn für die Kommunen gelte die Schuldenbremse nicht. Weil ihr finanzieller Spielraum aber durch die Hessische Gemeindeordnung eingeschränkt sei, solle die Abzahlung der Kredite das Land übernehmen. Bei einzelnen Landesprogrammen werde bereits so ähnlich verfahren. Als Beispiel wird im Gutachten das Kommunalinvestitionsprogramm II für Schulen genannt. Hier könnten Schulträger Darlehen mit Laufzeiten von bis zu 30 Jahren bei der Wibank aufnehmen, die anschließend zu drei Vierteln durch das Land getilgt würden.
Nach Hermes’ Auffassung ist ein solches Vorgehen mit der Schuldenbremse vereinbar, solange das Land eine "klar definierte Sachaufgabe" für die Kommunen finanziert. Ein Verstoß gegen die Schuldenbremse läge dem Juristen zufolge erst dann vor, wenn das Land durch einen anderen Rechtsträger Kredite aufnehmen ließe, um damit eigene Haushaltslöcher zu stopfen.
Der hessische DGB-Vorsitzende Michael Rudolph machte deutlich, dass er die in dem Gutachten erörterten Methoden nur als zweitbeste Lösung betrachtet. "Das einfachste wäre, die Schuldenbremse abzuschaffen oder so zur reformieren, dass Investitionen in die Zukunft des Landes möglich sind", sagte er.
Ministerpräsident Rhein hatte derartige Forderungen vergangene Woche zurückgewiesen: "Ich bin ein Gegner davon, jetzt an der Schuldenbremse rumzudrehen und rumzuspielen", sagte er im Wiesbadener Landtag. Zumindest mit einer Fondslösung könnte er sich aber offenkundig anfreunden.
Unternehmverband warnt vor Umgehung der Schuldenbremse
Die Vereinigung hessischer Unternehmerverbände (VhU) dagegen forderte, der Staat müsse sparen: "Die VhU lehnt eine Aufweichung der Schuldenbremse sowie die Einführung sogenannter "Sondervermögen" – de facto zusätzliche Schulden – entschieden ab", teilte Hauptgeschäftsführer Dirk Pollert mit. "Ein solches Vorgehen könnte zu einem Anstieg der Zinssätze führen, was private Investitionen erschwert. Langfristig wären zudem Steuererhöhungen zur Deckung von Zins- und Tilgungslasten unvermeidbar."
In der Wirtschaft gibt es aber durchaus andere Stimmen. So forderte der Bundesverband der Deutschen Industrie im Sommer, Bundestag und Bundesrat sollten nach dem Vorbild des Sondervermögens für die Bundeswehr zwei weitere Sondervermögen auflegen für Investitionen in die Infrastruktur und für "Klima- und Transformationsbedarfe". Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln plädiert für einen "Transformations- und Infrastrukturfonds". © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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