Stück zu Liesl Karlstadt: Wer war Liesl Karlstadt? Mit "Wellano, lebst aa no?" erkundet Andreas Wellano Brettlkunst und Biographie, das Werk seiner Großtante und das eigene Schauspielerdasein.
Sie hätten einander begegnen können, auf einer Straße in München. Der kleine Junge, der in einem Wirtshaus Bier wäre holen gegangen, wie das damals, in den Fünfzigerjahren, noch üblich war. Und die berühmte Kabarettistin, die damals als Volksschauspielerin, Kino- und Fernsehstar höchst erfolgreich gewesen ist. Und sich nicht zu fein war für handfeste Bemerkungen bei einem Hellen.
Diese Begegnung, die Andreas Wellano nun in seinem Solostück "Wellano! Lebst aa no?" imaginiert, hat nie stattgefunden. Denn Elisabeth Wellano (1892-1960), Bäckerstochter aus Schwabing, die als Liesl Karlstadt ein Bühnenstar gewesen ist, starb nur ein Jahr, nachdem der kleine Andreas nach München umgesiedelt ist.
Und doch begegnen sie einander: In dem Stück, das Wellano nun erarbeitet, zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin und Regisseurin Angelika Sieburg-Wellano. Es ist eine künstlerische Zusammenschreibung, mit der sich das Paar, das 1989 in Frankfurt das bis heute tätige Wu Wei Theater gegründet hat, gleich mehrere Wünsche erfüllt. Und eine Lücke schließt.
Uraufführung im Volkstheater
Am 15. November wird das Stück in der Volksbühne Frankfurt uraufgeführt, ein höchst passender Ort, um eine historische Volksschauspielerin zurück ins Heute zu führen. "Der Grundgedanke war, etwas über den Beruf zu machen, die Ängste, die Kämpfe, die Höhepunkte", sagt Wellano. "Je mehr wir geprobt haben, desto näher ist mir das gegangen."
Das Schicksal der Großtante, die ein Jahrzehnt lang mit einer schweren seelischen Erkrankung kämpfte, das, was er und Sieburg in der Recherche, in der Lektüre, in Gesprächen mit Sabine Rinberger, der Direktorin des Münchner Valentin-Karlstadt-"Musäums" erfahren haben. Die unbekannten Seiten der Volksschauspielerin, die sich nun mit seiner eigenen Karriere und seinem eigenen Leben verbinden.
Eine Begegnung wäre sicher gut gewesen für diesen kleinen Jungen, der aus dem Elsass nach München kam. Den französischen Akzent, Elsässer Dialekt, die Schwierigkeiten in der Schule und Kränkungen der anderen Kinder dem fremden Bub gegenüber hat er mit fulminanten Rezitationen und Theaterdarbietungen früh ausgeglichen – manche schlechte Note auch. Woher kam diese Passion? Womöglich haben da ein paar Gene eine Generation übersprungen. Der bayerische Dialekt der Karlstadt und der elsässische von Wellano überschneiden sich in der Bühnenfigur, die Wellano spielt.
Dem Vater war die Brettkünstlerin peinlich
Die Chancen, die Großtante Liesl kennenzulernen, waren nicht groß. Wellanos Vater hielt als Arzt "die bürgerliche Fassade hoch", sagt der Sohn. Die Tante scheint ihm peinlich gewesen zu sein. Wellano musste später die Regenrinne herunterrutschen, um heimlich bei Ruth von Zerboni eine Schauspielerausbildung zu absolvieren. Offiziell studierte er "Theaterwissenschaften".
Anders als Sieburg, die aus einer Wiener Theaterfamilie stammt, schon als Kind vor der Kamera stand und lange gerne etwas anderes geworden wäre, sozusagen dem Magnetismus des Theaters nicht entkommen ist, hat Wellano sich nach dem Spielen stets gesehnt. Und immer eine innere Verbindung zu dieser unbekannten Verwandten gespürt.
Den gemeinsamen Namen der italienischen Vorfahren hat die junge Elisabeth früh abgelegt – dank Karl Valentin (1882-1948). In einer Münchner Brettlbühne namens "Frankfurter Hof" treffen die beiden 1911 aufeinander, Valentin schon bekannt, die knapp 19 Jahre alte Elisabeth Wellano im Vorprogramm als Soubrette. "A Soubrettn sans net" sagt Valentin ihr schonungslos, und verpasst ihr sowohl eine erste satirische Nummer als auch ihren neuen Bühnennamen.
Die Klassiker des Gespanns Valentin-Karlstadt hat sie zu großen Teilen mit verfasst, auf der Bühne und in Filmen waren die beiden, mit "Der Firmling" oder "Die Orchesterprobe", ein enorm erfolgreiches Traumpaar. Als Liebespaar, das sie schnell wurden, waren sie eine Tragödie.
"Ich bin die Brennnessel unter den Liebesblumen"
Wellano und Sieburg haben die literarische Anverwandlung des Paares Karlstadt-Valentin von Barbara Bronnen und viele weitere Texte zur Grundlage des Solos gemacht. "Ich bin die Brennnessel unter den Liebesblumen" sagt Valentin nun in Wellanos Solo – und das hat so gründlich gestimmt, dass Karlstadt, schon zuvor in ihrem Wunsch, zu gefallen und in ihren Ängsten schwankend, es beinahe mit dem Leben bezahlt hätte. 1935 versucht sie, sich mit einem Sprung in die Isar zu töten, zehn dunkle Jahre ist sie psychisch krank, muss immer wieder stationär behandelt werden. "Man würde heute sagen, sie war bipolar", sagt Wellano.
Auch dafür haben Sieburg und er versucht, eine geeignete Form zu finden. "Es war schon immer unsere Vorstellung, mit einem Autor zu arbeiten und zu improvisieren", sagt Sieburg. Mit Philipp Mosetter, den beide schon lange kennen und der oft mit Volksbühnen-Leiter Michael Quast arbeitet, in dessen Ensemble Wellano auch schon gespielt hat, haben sie den passenden Autor gefunden. "Wir hatten eine tolle Zusammenarbeit", sagt Wellano. Im Proben entwickelten sich improvisatorisch Ideen, die Mosetter in Text verwandelt hat.
Es sind erstaunliche Volten, die Wellano erzählt. Ein männlicher Komödiant, ein Clown in der Rolle einer Frau, die mit ihrem Geliebten und Bühnenpartner in Hosenrollen gespielt hat. Vexierbilder eines Lebens, musikalisch unterlegt von Komponist und Dramaturg Dietrich Stern, Weggefährte des Wu Wei Theaters. Wer hätte schon gewusst, dass Karlstadt, also Fräulein Wellano, 1941 als Mulitreiberin zu den Gebirgsjägern gestoßen ist und dort bald in echter Uniform als "Obergefreiter Gustav" unter den Soldaten bei der Wehrmacht arbeitete? Eine queere Biographie, wie sie im Buche steht. Auch die sexuell obsessiven Couplets, die Karlstadt selbst geschrieben hat, spart der Großneffe nicht aus.
Wenn er "Die Orchesterprobe" zwischen vielen Notenständern zitiert, wird auch für heutige Zuschauer augenfällig: Harmlos sind die Nummern von Valentin und Karlstadt nie gewesen, tragikomisch und verfremdet, nichts für Zartbesaitete. Kein Wunder, dass die beiden mit Bertolt Brecht gearbeitet haben.
Gastspiel in München
Etwas zu Liesl Karlstadt zu machen, "habe ich mir immer vorgestellt. Aber ich habe es vor mir hergeschoben, weil ich nicht mit dem berühmten Namen hausieren gehen wollte. Jetzt bin ich alt genug", sagt Wellano, wie seine Frau Jahrgang 1948. So geht der Wunsch doch noch in Erfüllung, der im vergangenen Jahr beinahe gescheitert ist, als die Sieburg-Wellanos ihre geliebte Tochter verloren haben.
Nun ist daraus ein Stück zu Wellanos Bühnenjubiläum geworden, 1974 hat er angefangen, als professioneller Schauspieler zu arbeiten. Dass diese doppelte Schauspieler-Biographie und eine Hommage an eine große Künstlerin, nun auch in München, nahe an Karlstadts Wirkungsstätten, aufgeführt werden kann, freut den Großneffen besonders. Und womöglich wird der ein oder andere Nachgeborene neugierig auf Liesl Karlstadt.
Wellano! Lebst aa no?, Volksbühne Frankfurt, Premiere 15. November 19.30 Uhr, weitere Vorstellungen am 21. und 30. November, Gastspiele im Münchner Teamtheater von 5. Dezember an. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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