Wiesbaden muss zahlen: Ein Vergleich vor Gericht rehabilitiert Ralph Schüler, den vom damaligen Wiesbadener Oberbürgermeister Gerich gefeuerten Geschäftsführer der städtischen Holding.
Sein fristloser Rauswurf war unbegründet, die Stadt muss ihm 50.000 Euro Gehaltsnachzahlung plus 300.000 Euro Entschädigung zahlen.
Fast sechs Jahre ist es her, dass in Wiesbaden eine vermeintliche Affäre eskalierte: Der Aufsichtsrat der Wiesbadener Holding WVV, dem seinerzeit der frühere Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) vorstand, sprach WVV-Geschäftsführer Ralph Schüler die fristlose Kündigung "aus wichtigem Grund" aus. Vorausgegangen waren zahlreiche Vorwürfe gegen Schüler, die von Vorteilsgewährung bis zur Anbahnung einer Scheinehe reichten.
Gerich nahm seinerzeit einen Bericht der Lokalzeitung "Wiesbadener Kurier" zum Anlass, seinen Duz-Freund Schüler ultimativ zur Beantwortung von 26 Fragen aufzufordern. Dieser wies über seinen Anwalt alle Anschuldigungen umgehend als substanzlos zurück. In einer aufgeheizten Atmosphäre genügte das Gerich nicht: Einen Tag nach der Freistellung durch den Magistrat bis zur Klärung der Vorwürfe folgte die Kündigung.
Was folgte, waren interne Kontrollen, Ermittlungsverfahren und Gerichtsprozesse. In keinem Fall wurde Schüler strafrechtlich belangt. Nun ist das Ende erreicht: In einem Vergleich mit Schüler gibt die Stadt indirekt zu, dass die fristlose Kündigung unbegründet war.
Alle Vorwürfe zurückgezogen
Vor der fünften Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden hat die Stadt nach Information der F.A.Z. alle gegen Schüler erhobenen Vorwürfe zurückgezogen. Die fristlose Kündigung wurde zurückgenommen. Stattdessen akzeptierte Schüler eine ordentliche Kündigung und die nachträgliche Zahlung seines Gehalts in Höhe von rund 50.000 Euro bis zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Kündigung. Zudem überwies die Stadt Schüler eine Einmalzahlung von 300.000 Euro als Entschädigung.
Wie unangenehm der Stadt das Eingeständnis ihres Fehlverhaltens auf der Grundlage nicht belegter Anschuldigungen ist, lässt sich an ihrem Drängen auf eine Sprachregelung zur Erledigung des Rechtsstreits ablesen. Dem Vernehmen nach wird im Vergleich sogar der Wortlaut vorgegeben, mit dem sich die Parteien – wenn überhaupt – äußern dürfen. Schüler gibt sich auf F.A.Z.-Anfrage entsprechend einsilbig. Er äußere sich öffentlich nicht mehr zu den Ursachen des Rechtsstreits. Sein Anstellungsverhältnis sei aber nicht fristlos, sondern ordentlich beendet worden. Er sei froh, dass von den Vorwürfen gegen ihn nichts übrig geblieben sei.
Dieses Ergebnis ist insofern nicht überraschend, weil das Wiesbadener Revisionsamt Schüler schon im Sommer 2020 in nahezu allen Punkten umfassend entlastet hatte. Auf 35 Seiten hatten die Revisoren seinerzeit dargelegt, dass Vorwürfe wegen Verstößen gegen das Straf- oder Kommunalrecht weitgehend haltlos seien. Das Revisionsamt hatte keine Anhaltspunkte für eine private oder politische motivierte Einflussnahme Schülers auf Holding-Entscheidungen gefunden. Auch eine unzulässige Verquickung dienstlicher und privater Tätigkeit vermochten die Prüfer nicht zu entdecken: Schüler habe nachweislich nicht gegen seine "vertraglich geschuldete Sorgfaltspflicht" als Geschäftsführer verstoßen.
Kein Hinweis auf Korruptionszahlungen
Einen der Hauptvorwürfe hatte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden entkräftet. Sie fand keine Belege für den in der Öffentlichkeit kolportierten Vorwurf einer Mitarbeiterin von Schülers privater Hausverwaltungsgesellschaft, ihr Chef habe dem damaligen CDU-Fraktionschef Bernhard Lorenz zweimal 45.000 Euro überwiesen. Die Staatsanwaltschaft fand keinerlei Nachweise für die behaupteten Geldströme, womit der Verdacht der Vorteilsnahme beziehungsweise Vorteilsgewährung vom Tisch war. Hintergrund war die – somit widerlegte – Vermutung, Schüler habe sich bei Lorenz für die Berufung zum gut dotierten WVV-Geschäftsführer im Jahr 2014 revanchiert.
Sowohl Schüler als auch Lorenz hatten die Zahlungen energisch bestritten und sich juristisch gegen diese Unterstellung gewehrt. Allerdings wurde im Zuge der Aufklärung bekannt, dass Schüler auf Lorenz als Anwalt seiner Firma vertraut, obwohl dieser auch WVV-Aufsichtsrat ist. Daraus wurde dann der Vorwurf der Interessenkollision. Die Stadt Wiesbaden war jedenfalls zufrieden mit Schülers Leistungen als WVV-Geschäftsführer, denn noch im Sommer 2017 war sein Vertrag vorzeitig um weitere fünf Jahre verlängert worden. Gerich hatte seinerzeit die Verlängerung "ein Zeichen der Wertschätzung und des Vertrauens" in die Arbeit des Geschäftsführers genannt.
Obwohl sich rückblickend alle Vorwürfe als haltlos erwiesen, gab es mit Schüler, Gerich und Lorenz drei große Verlierer der vermeintlichen Affäre. Schüler setzten die Vorwürfe und Verfahren gesundheitlich stark zu. Er verlor Job und Reputation und musste auch als CDU-Schatzmeister zurücktreten. Nachdem Schüler im Nachgang seiner Entlassung öffentlich gemacht hatte, dass Oberbürgermeister Gerich offen für Vergünstigungen aller Art sei und einen gemeinsamen Luxusurlaub thematisiert hatte, verzichtete Gerich Anfang 2019 auf eine Wiederwahl. Er wurde später per Strafbefehl wegen Vorteilsnahme verurteilt.
Für Lorenz endete im Januar 2019 nach 17 Jahren an der Spitze der Wiesbadener CDU-Rathausfraktion seine politische Karriere. Er hatte sein Amt wegen der mutmaßlichen Interessenkonflikte durch seine anwaltliche Tätigkeit für Schüler ruhen lassen. Wenige Monate später wurde er entmachtet: Die CDU-Rathausfraktion berief Lorenz aus allen Positionen und Ausschüssen ab. Es war der Ausdruck einer Revolte in der CDU, die das unrühmliche Ende eines Politikers besiegelte, der in der Öffentlichkeit nicht mehr vermittelbar war. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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