Weilburg - Es ist der Alptraum aller Eltern: Der sechsjährige Pawlos verschwindet aus seiner Schule im mittelhessischen Weilburg.
Noch in Hausschuhen macht er sich auf den Weg und läuft eine Bundesstraße entlang bis zum Bahnhof. Dort wird er noch einmal kurz gesehen, danach verliert sich seine Spur - trotz der großangelegten Suche hunderter Einsatzkräfte.
Der Fall bewegt viele Bürger - und weckt Erinnerungen an ähnliche Ereignisse. Pawlos soll laut offiziellen Angaben "autistische Züge" haben und sehr schreckhaft sein. Deshalb setzen die Einsatzkräfte auch auf die Stimme seiner Mutter, um das Kind zurück nach Hause zu bringen.
Stimme der Mutter und Luftballons sollen Sechsjährigen locken
Ihr Rufen wird aufgezeichnet und über Lautsprecher in die Straßen Weilburgs übertragen, in der Hoffnung, dass Pawlos Vertrauen fasst und sich zeigt. Auch mit bunten Luftballons will man den Jungen ansprechen - sie werden etwa auf einer Brücke über der Lahn aufgehängt, um einen farblichen, kindlichen Impuls zu setzen, wie es heißt.
Pawlos soll nicht altersgemäß entwickelt sein, höchstens ein paar Brocken Deutsch sprechen. Der Erstklässler habe Interesse an Wasser und am Klettern, sei aber wohl in einer hilflosen Lage, sagt der Weilburger Bürgermeister Johannes Hanisch (CDU). Er und die Polizei appellieren an Einwohnerinnern und Einwohner, das Kind nicht anzusprechen, falls es auftaucht, weil die Gefahr besteht, dass es wegläuft - und stattdessen umgehend die Polizei zu verständigen.
Viele Bürger beteiligen sich an Suche
In der 13.000-Einwohner-Kleinstadt und darüber hinaus löst der Fall eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Tausendfach wird ein Suchaufruf des Bürgermeisters in sozialen Netzwerken geteilt und sehr viele Hinweise gehen ein, denen allen nachgegangen werde, heißt es von der Polizei.
Mit Taschenlampen machten sich zahlreiche Menschen schon am Abend seines Verschwindens auf die Suche nach dem Sechsjährigen. Die Einsatzkräfte halten es für möglich, dass er sich versteckt hält - deshalb bitten sie, in Gartenhütten, Kellereingängen nach ihm zu schauen.
Doch die Suche blieb zunächst erfolglos und musste nun mit verstärkter Kraft fortgesetzt werden. Insgesamt beteiligen sich rund 300 Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr, THW und anderen Hilfsorganisationen daran, das Areal, das sie im Blick haben, ist groß, es wird erweitert auf Gewerbegebiete, Feld und Wald.
Die Polizei hatte schon am Vortag deutlich gemacht, dass wohl kein Kriminalfall vorliege. Man gehe weiterhin nicht von einer Straftat aus, da es Hinweise gebe, dass das Kind eigenständig das Schulgelände verlassen habe, sagte ein Polizeisprecher.
Suche auch auf der Lahn
In der Weilburger Innenstadt, in der der Verkehr rollt und Leute einkaufen gehen, sind etliche Polizeifahrzeuge sowie Helfer von Feuerwehr und THW unterwegs. An der Lahn stehen zwei Mitarbeiter von der Feuerwehr und warten auf ihre Kollegen, die mit dem Boot einen Teil der Lahn absuchen. Stöcke haben diese nicht dabei. "Das wäre zu gefährlich", sagt einer von ihnen. "Es läuft nur auf Sicht."
Ein Bewohner von Weilburg erzählt, dass am Vorabend bis etwa 22.00 Uhr der Polizeihubschrauber zu hören gewesen sei. Am Bürgerhaus in Weilburg-Waldhausen kommt ein Mann angefahren und fragt, ob er helfen kann. Er sei extra aus Frankfurt gekommen.
Fall weckt Erinnerungen
Suchen, immer weiter suchen, hoffen und bangen - der Einsatz in Weilburg weckt Erinnerungen an den Fall des sechs Jahre alten Arian. Der Junge aus dem niedersächsischen Bremervörde war im vergangenen April aus seinem Zuhause verschwunden. Die Polizei ging davon aus, dass das autistische Kind das Haus selbstständig verließ, und leitete eine große Suche ein.
Zeitweise waren bis zu 1.200 Helfer beteiligt, sie durchkämmten Dörfer, Wiesen und Wälder, auch ein Fluss wurde abgesucht. Die Einsatzkräfte suchten auch mit Hunden nach dem Jungen, mit Pferden, Helikoptern, Drohnen, Wildtierkameras, einem Tornado-Flieger, Booten und Tauchausrüstung.
Arians Fall ging tragisch aus. Zwei Monate später, im Juni, fand ein Landwirt beim Mähen einer Wiese in Estorf im Landkreis Stade die Leiche des Kindes. Hinweise auf ein Fremdverschulden gab es nicht. "Dass der Junge trotz aller Bemühungen und intensiven Suchmaßnahmen leblos geborgen wurde, löste bei allen beteiligten Einsatzkräften große Trauer und Bestürzung aus", sagte damals ein Polizeisprecher.
Helfer in Weilburg hoffen auf guten Ausgang
Auch ein Fall aus Hessen wühlte vor einigen Jahren auf: Im Februar 2019 waren zahlreiche Helfer in Guxhagen (Schwalm-Eder-Kreis) im Einsatz, um eine verschwundene Fünfjährige zu finden. Das Kind, bei dem Autismus vorhanden gewesen sein soll, wurde das letzte Mal lebend auf einem Spielplatz in der Nähe der Fulda gesehen - dort feierte es seinen Geburtstag. Im folgenden Juni wurde die Leiche des Mädchens in dem Fluss bei Fuldabrück gefunden. Die Ermittler gehen davon aus, dass das Kind ertrank. © Deutsche Presse-Agentur