Neues Buch: Die Schriftstellerin Eva Demski wird von ihrer Heimatstadt Frankfurt mit dem Stoltze-Preis geehrt. Wenige Tage später stellt sie ihr neues Buch vor. Es ist eines, das jeder weiterschreiben kann.

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Eva Demski hat ein Stück F.A.Z. zu Hause. Einen Brocken aus dem alten Sitz von Verlag und Redaktion an der Hellerhofstraße, aufgeklaubt bei einem Besuch im Gallus nach dem Abriss der in die Jahre gekommenen Gebäude. Gestützt wird der hellgraue Betonklotz von einem weiteren Zufallsfund, dem die Autorin auf der Straße über den Weg gelaufen ist: einer kleinen grünen Holzsäule, nach oben zu bauchig geschwungen, mit Kannelierung und Goldschimmer. "Ich bin sehr für Mischungen", sagt Demski: "Sie müssen nur stimmen. Oder schön nicht stimmen."

Um stimmige Dinge, Gefundenes und Neugesehenes geht es auch in "Plunderkammer", Demskis gerade erschienenem Buch, das sie am 26. November von 19.30 Uhr an im Hessischen Literaturforum vorstellt. Zuvor aber wird ihr im Kaisersaal des Römers der Stoltze-Preis überreicht.

Die 1978 von den Freunden Frankfurts erstmals vergebene Auszeichnung wird seit 2018 von der Stiftung der Frankfurter Sparkasse und der Stiftung Giersch zuerkannt und ehrt Persönlichkeiten, die sich in Stadt und Region im Sinne Friedrich Stoltzes gesellschaftlich, kulturell oder sozial engagieren.

"Das Fake hat auch die Fähigkeit, echt zu werden"

Demski freut sich auf den Festakt im Kaisersaal, der für sie "mit Erinnerungen aufgeladen" ist. Als reiner Saal überwältigt er die gebürtige Regensburgerin, die an das Alte Rathaus ihrer Heimatstadt denkt, allerdings nicht: "Der Reichssaal ist schon noch etwas anderes."

Zudem blickt sie mit Skepsis auf die Kaiserbildnisse: "Ich habe mit den Herrschaften, die mich da angucken, so meine Probleme." Aber Frankfurt habe ein "vielfach zerrissenes und geflicktes Herz", da gehe die Nachkriegs-Römer-Mischung aus "immerwährendem Weihnachtsmarkt, Echtem und Fake" schon in Ordnung: "Das Fake hat auch die Fähigkeit, echt zu werden. Man muss nur warten."

Mit Stoltze, dem Frankfurter Satiriker, verbindet sie aus ihrer Sicht manches: "Ich glaube, wir hätten uns gut verstanden." Er sei allerdings oft umgezogen: "Ich seit 53 Jahren nicht." Er habe früh einen Menschen verloren, den er sehr geliebt habe: "Das eint uns." Und einen Haufen Kinder gehabt: "Das trennt uns."

Vor allem aber sei er kämpferisch gewesen. "Aber nicht, damit alle unglücklich sind." Auch nicht, damit den Anhängern im Jenseits Tolles versprochen werden könne: "Nein, man darf auch hier schon glücklich sein." Was den Vorzug habe, dass es dann gar nicht so schlimm sei, dass es das Jenseits nicht gebe.

Zudem sei Stoltze auf vieles neugierig gewesen: "Er hat als Dichter, Kommentator, politischer Kämpfer und Pamphletist eine nicht ganz seriöse Verspieltheit, bei der ich mich sehr zu Hause fühle." Einmal habe jemand sie gefragt: "Machen Sie jetzt U-Literatur oder E-Literatur?" Sie habe erwidert: "Ich mache D-Literatur." Mit D wie Demski. Und hinzugefügt: "Ich hoffe, sehr U und nicht ganz ohne E."

Ein Buch, das jeder weiterschreiben kann

Spielen mit den Dingen zwischen Ernst und Unterhaltung, das kann auch Demski. In "Plunderkammer", herausgekommen vor wenigen Wochen im Insel-Verlag, sind es die alten, zufällig wiedergefundenen oder absichtlich hervorgeholten Gegenstände. "Von sprechenden Löffeln, verschwundenen Jahren und anderen Dingen" lautet der Untertitel des Bandes, den Demski auf Einladung des Hessischen Literaturforums im Studio 1 des Frankfurter Künstlerhauses Mousonturm präsentiert.

Es ist ein Abschied von Liebgewonnenem, das nur der Verfasserin etwas sagt und nun, in Worte gegossen, bleiben wird. Ein Museum der Begegnungen und Empfindungen in Buchform, ein Katalog von Demskis Erinnerungs- und Erzähltechniken zwischen Lakonie und Überfluss, Direktheit, Ironie und der Annäherung auf verschwiegenen Pfaden. Und abermals ein Bekenntnis zur kurzen Form, in der sich alles sagen lässt. Ihre Mutter habe gesagt: "Man braucht einen Löffel, um die Welt zu schmecken. Und nicht einen großen Topf voll."

Vor allem aber ist "Plunderkammer" etwas, das Demski wichtig ist: "Das ist ein Buch, das jeder für sich weiterschreiben kann." Ob es um ein Paar abgetragener Flipflops geht, um eine Taschenuhr, einen Handspiegel oder eine Geldbörse: "Jeder, der das liest, kann es für sich vervollständigen."

Wie unzertrennlich Emotionen und Dinge miteinander verbunden sein können, wisse schließlich jeder. Obwohl es oft heiße, einen Gegenstand zu beseelen, das machten nur Kinder und Verrückte: "Und manchmal auch Dichter." Eigentlich sei es ein Zeichen von Unreife: "Ich finde es unreif, es nicht zu tun."

Ein kleiner Garten mit einem Plastikskelett

Versehen ist die "Plunderkammer" mit Zeichnungen von Nicolas Mahler, dessen Bücher zu Thomas Bernhardt und Kafka Demski aufgefallen waren. Sie bat die Frau des 2020 gestorbenen Suhrkamp-Cheflektors Raimund Fellinger um Vermittlung, die Mahler kannte, er sagte zu: "Ich musste ihm alles fotografieren." Das folgende Hin und Her empfand sie als großes Vergnügen.

Das nächste Buch, das schon fast fertig ist, Arbeitstitel "Frankfurt ganz nah", enthält allerdings keine Zeichnungen, sondern kombiniert Texte und Fotografien. Es blicke auf Ecken, in die man nicht hineinsehe, sagt Demski: "So was macht in mir Geschichten."

Um Abgelegenes, Vergängliches und Seltsames wird es gehen, um Orte wie den kleinen Garten mit einem Plastikskelett, den jemand an der Mauer der Justizvollzugsanstalt in Frankfurt-Preungesheim angelegt hat.

So etwas müsse man doch erzählen, sagt Demski. Schließlich komme es auf die "normative Kraft des radikal subjektiven Sehens" an. Wer blicke schon völlig objektiv auf die Dinge? "Kein Mensch tut das. Also kann man sich auch dazu bekennen, den Widerstand aufgeben und erzählen."

Ist Reich-Ranicki groß genug für den Messeplatz?

Eine Ecke, die ihr Interesse trotz aller Hässlichkeit nicht erregt, ist die von Marbachweg und Eschersheimer Landstraße. Ausgerechnet sie will der zuständige Ortsbeirat zum Andenken an Marcel Reich-Ranicki und seine Frau Teofila nach dem toten Ehepaar benennen. Der Kritiker und langjährige Literaturchef der F.A.Z., wie seine Frau mit Demski gut Freund, hatte nur ein paar Straßen weiter gelebt.

Reich-Ranicki-Platz soll die Ecke heißen. Mit viel Publikumsverkehr auf dem Weg zum Bürgeramt, zur Filiale der Stadtbücherei und zur Lotto-Annahmestelle, aber ungeordnet, vollgestellt, unübersichtlich. Für Demski ist die Ecke eine Mischung, die nicht stimmt, auch nicht auf schöne Weise nicht.

Die Wahl des Gremiums trifft daher nicht auf ihre Billigung. Eine Ehrung wäre ganz in ihrem Sinne: "Aber doch nicht da." Platz, das bedeute doch etwas: "Und nicht etwas, wo zufällig was zusammenläuft, ein U-Bahn-Eingang und ein Kindergarten." Es gebe im Viertel jede Menge Leute, mit denen man hätte reden können: "Aber das ist nicht diskutiert worden mit den Freunden."

Jetzt sei die Rede vom Platz vor dem Haupteingang der Messe, Reich-Ranickis auf der Buchmesse wegen: "Der Messeplatz ist auch nicht das Schönste auf der Welt, aber immerhin etwas besser." Wenn es darauf hinauslaufe, sei aber darauf zu achten, dass auch wirklich etwas daraus werde.

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Im Viertel laufe die Bemerkung eines Mitarbeiters des Planungsdezernats um, der gesagt habe, für den Messeplatz sei Reich-Ranicki nicht groß genug. Die Stadt müsse daher ein Auge darauf haben, was vor sich gehe, sagt Demski: "Mir ist es eigentlich egal. Aber es muss einen Bezug haben. Warum nicht an der F.A.Z.?"  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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