Aus Mangel an Beweisen ist Baden-Württembergs ranghöchster Polizist vom Vorwurf der sexuellen Nötigung freigesprochen worden. Die Richter am Landgericht Stuttgart kamen in ihrem am Freitag verkündeten Urteil zu dem Schluss, dass der angeklagte Vorfall zwischen Polizeiinspekteur Andreas R. und einer Polizeibeamtin "nicht aufklärbar" sei. Die Kammer habe im Zweifel für den Angeklagten entschieden, weil die Aussagen des mutmaßlichen Opfers widersprüchlich gewesen und von der Frau nach Vorlage eines Überwachungsvideos mehrfach korrigiert worden seien.
Die Anklage hatte dem suspendierten Polizeiinspekteur vorgeworfen, in einer Novembernacht des Jahres 2021 eine Polizeibeamtin, die sich im Auswahlverfahren für den höheren Polizeidienst befand, vor einer Fußballkneipe zu sexuellen Handlungen genötigt und dabei die Abhängigkeit der Beamtin ausgenutzt zu haben. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft war er in der Lage, der Beamtin im Fall ihres Widerstands erhebliche berufliche Nachteile zu bereiten. Die Beamtin zeigte das Verhalten an und legte als Beweis den Mitschnitt eines Videocalls vor.
In der entscheidenden Frage, ob der Angeklagte in dieser Nacht die Beamtin dazu genötigt hatte, sein Geschlechtsteil während des Urinierens zu berühren, stehe Aussage gegen Aussage, sagte der Vorsitzende Richter Volker Petrerke. Die Aussage der Polizeibeamtin, sie habe Ekel empfunden, hielt das Gericht nicht für überzeugend. Petrerke verwies zudem darauf, dass mögliche nötigende Äußerungen des Angeklagten in einem Videochat drei Tage später nicht angeklagt gewesen seien.
An die Adresse des 50-jährigen Angeklagten sagte der Vorsitzende Richter, Beziehungen zwischen Chefs und Untergebenen seien nicht verboten. Er sei aber durch "eigenes Verschulden in die verkorkste Situation" gekommen. Verurteilbar sei das jedoch nicht. Aufgabe des Verfahrens sei aber auch die Beweiserhebung für ein Disziplinarverfahren gewesen, dem sich R. stellen müsse.
In dem Prozess, der zum Schutz der Privatsphäre der Beteiligten zu großen Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, hatte die Staatsanwaltschaft eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten gefordert. Die Verteidigung beantragte einen Freispruch. R.s Anwälte hatten im Prozess nicht bestritten, dass ihr Mandant mit der Nebenklägerin Intimitäten ausgetauscht und eine Affäre angestrebt habe. Doch sei dies im Einvernehmen oder auf Initiative der Frau geschehen.
Unabhängig vom Ausgang des Prozesses wird gegen den Polizeiinspekteur ein Disziplinarverfahren geführt. Zeugen hatten im Prozess bestätigt, dass R. weitere sexuelle Beziehungen zu ihm unterstellten Beamtinnen gehabt habe. Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) nannte es in früheren Äußerungen schwer vorstellbar, dass R. angesichts der durch den Prozess bekannt geworden Details wieder auf seinen Posten zurückkehren könne. Derzeit ist er bei vollen Bezügen beurlaubt.
Das Landesinnenministerium von Baden-Württemberg erklärte am Freitag in Stuttgart, für die Fortführung des Disziplinarverfahrens seien "die Rechtskraft und die Gründe des Urteils entscheidend". Allgemein bestehe das Verbot des Führens der Dienstgeschäfte auch nach einer Urteilsverkündung bis auf Weiteres fort, das gelte auch bei einem Freispruch. Wenn weitere Vorwürfe im Raum stehen, die das Verhalten als Führungskraft in Frage stellten, würden diese in das Disziplinarverfahren einbezogen.
Im Landtag befasst sich derzeit ein Untersuchungsausschuss mit Beförderungspraxis in der baden-württembergischen Polizei. © AFP
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