Eine Hand, ein Bein und einen Fuß hat Michael Pinior in seiner grünen Gartenkiste verstaut. Es sind die Gliedmaße einer Schaufensterpuppe, die einst die Wiesdorfer Filiale der Galeria Kaufhof zierte.
Er wolle daraus Halloween-Deko machen, freut er sich. Seine Frau trägt den Kopf. Sie verbindet mit der Schaufensterpuppe auch Erinnerungen an Kaufhof. "Es ist traurig, dass der Kaufhof nicht mehr da ist, man kannte die Leute, die hier gearbeitet haben", sagt die Wiesdorferin.
So wie Michael und Diana Pinior haben sich viele Leverkusenerinnen und Leverkusener an diesem Samstagvormittag aufgemacht, um in der ehemaligen Filiale der Galeria ein Andenken ergattern zu können. Die Schlange ist dementsprechend lang: Sie führt über den Christkindchenmarkt, der gerade aufgebaut wird, bis aus der Fußgängerzone hinaus. Um sechs Uhr, vier Stunden vor Beginn der Veranstaltung, habe die erste Person vor dem Kaufhaus gestanden, berichtet Katrin Rehse, Pressesprecherin der Stadtteilentwicklungsgesellschaft Wiesdorf/Manfort (SWM).
Zuerst hätten sie noch versucht, die Schlange in Kurven von der einstigen Galeria aus zu führen, da aber auch Menschen von den Seiten gedrängt hätten, sei der Plan nicht aufgegangen. Pünktlich um zehn Uhr dürfen sie dann das Kaufhaus stürmen. Eine Menschentraube drängt in das Erdgeschoss, löst sich dann auf und die Leverkusenerinnen und Leverkusener verteilen sich in jede Himmelrichtung und stürzen sich wie Heuschrecken auf die Andenken. Schaufensterpuppen erfreuen sich dabei besonderer Beliebtheit. Während ein Ehepaar aus Hitdorf Schaufensterpuppen sammelt, plant eine Dame aus Leichlingen, das verbliebene Bein, das sie sich noch sichern konnte, künstlerisch in ihren Garten zu integrieren.
Die Leichlingerin findet den Massenandrang befremdlich. "Diese Menschenmasse muss man auch aushalten können, manche sind aggressiv. Aber wenn man da entspannt rangeht, ist es im Grunde genommen eine gute Aktion", sagt sie. Tatsächlich ist das Organisationsteam mit dem Verhalten der Menge zufrieden. "Ich habe nur mitbekommen, dass es Streit um einen Artikel gab", berichtet Rehse. Außerdem seien die Türen des Kaufhauses auf einen solchen Andrang ausgerichtet, früher habe es den immerhin auch beim Sommer- und Winterschlussverkauf gegeben.
Leverkusen: Leute sind spendabel
Reiner Hilken vom Netzwerk Kinderarmut, der mit seinem Team bei der Aktion hilft und Spenden sammelt, sieht das ebenfalls gelassen. "Es ist klar, dass die Leute erst mal ein gutes Stück bekommen wollen und dass es wuselig wird. Uns war wichtig, dass es keine Panik und Schreien gibt", so Hilken. Dann muss er das Gespräch kurz unterbrechen: "Ich muss gerade jemanden bremsen, die Person reißt die Garderobenstange runter." Immerhin dürfen die Besucherinnen und Besucher alles mitnehmen, was sie finden und tragen können: Von Verkaufstischen bis hin zu Rabattschildern räumt die Menschenmasse alles aus. Die Grenze zieht das Organisationsteam bei der Elektronik.
Das Netzwerk Kinderarmut unterstützt die Aktion ehrenamtlich, am Ein- beziehungsweise Ausgang sammeln sie Spenden. Nach einer Stunde schätzt Hilken, das Netzwerk habe schon knapp 400 Euro einnehmen können, damit ist er rundum zufrieden.
Auch wenn Einzelne in die Menge rufen: "Jeder nur ein Teil!" - eine Beschränkung gibt es nicht. "Ich habe auch schon Leute gesehen, die sich einen ganzen Wagen voll gepackt haben", meint Katrin Rehse. Das Spektakel, das sich in der ehemaligen Kaufhof-Filiale am Samstagmorgen ereignet, wirkt surreal. "Ich habe so etwas immer nur in Filmen gesehen, aber nicht hier in Leverkusen", sagt eine junge Frau. Menschen rennen durch das Gebäude, als ging es um ihr Leben. Häufig ist die ganze Familie dabei: Von den Großeltern bis zum Familienhund mussten wohl alle mit. Familienangehörige werden abgestellt, um auf die Beute aufzupassen, während man eifrig nach weiteren Teilen suchen kann.
Doch die Aktion "Nehmen sie sich ein Andenken mit" sorgt nicht bei allen für Hochgefühle. Inmitten des nach anderthalb Stunden fast gänzlich leergeräumten Erdgeschosses stehen fassungslos vier ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Galeria. "Ich hätte gerne den kleinen Tannenbaum mitgenommen, der früher bei mir im Büro stand – aber keine Chance", sagt eine Mitarbeiterin, die früher im Personalbereich tätig gewesen war. Und fügt hinzu: "Es fühlt sich an wie Leichenfledderei."
Ihre ehemalige Kollegin, die gelernte Einzelhandelskauffrau ist, hat Tränen in den Augen. "Es tut weh", sagt sie, der Kaufhof sei Familie für sie gewesen. Mit den Artikeln verbinden die ehemaligen Mitarbeitenden viele Erinnerungen. "Ich dachte gerade: Hier kommt unsere Mallorca-Party-Deko. Man weiß noch, wo was gestanden hat", erzählt eine weitere ehemalige Mitarbeiterin.
Das einstige Kaufhaus heißt jetzt Corner 82. Die Stadtteilentwicklungs‐ und Projektgesellschaft Wiesdorf/Manfort (SEPG), eine Tochtergesellschaft der Stadtteilentwicklungsgesellschaft Wiesdorf/Manfort (SWM) hatte es Mitte November des vergangenen Jahres gekauft und verwaltet es jetzt. Über 50 Jahre konnten Leverkusenerinnen und Leverkusener von Spielwaren bis zu Drogerieartikeln alles bei Galeria Kaufhof finden. Nach zwei Insolvenzverfahren musste der Kaufhof allerdings im Juni 2023 endgültig schließen. Dem Modehaus Aachener erging es auch nicht besser: Es hielt sich nicht mal ein Jahr in der Wiesdorfer Fußgängerzone.
Leverkusen-Wiesdorf: So soll es mit der Kaufhof-Filiale weitergehen
Nun möchte die SWM neue Wege mit der Immobilie gehen: Anstelle eines Kaufhauses will sie die Fläche von 20.500 Quadratmetern aufteilen, mehrere Einzelhändler sollen einziehen. Dafür wird das Gebäude umgebaut, immerhin braucht es nun keine Rolltreppen mehr. Einen Mieter hat die SWM laut Rehse bereits gefunden. Um wen es sich genau handelt, will die SWM noch nicht verraten. "Wir führen Verhandlungsgespräche mit wirklich interessierten Mietern, deren Namen man auch kennt und die ein großes Interesse am Standort Leverkusen haben", so Rehse. Die SWM wolle noch in diesem Jahr verkünden, wer in Corner 82 einziehen wird.
Außerdem möchte die Tochtergesellschaft der Stadt Leverkusen darauf achten, dass sich die Mieter nicht gegenseitig kannibalisieren, wie Rehse erklärt. Geschäftsführer der SEPG, Björn Krischick, verrät das Konzept hinter dem Umbau der Corner 82. "Wir setzen auf Ankermieter in den einzelnen Etagen mit starker Kundenanziehung. Starke Frequenz ist das, was wir in der Innenstadt haben wollen", so Krischick. © Kölner Stadt-Anzeiger
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