Annika Zeyen-Giles aus Hennef gewährt tiefe Einblicke in ihre außergewöhnliche Karriere und erklärt, wie Leidenschaft, Disziplin und eine positive Einstellung zu großen Erfolgen führen können. Gleichzeitig spricht die bodenständige Paracyclerin über die Herausforderungen des Leistungssports.

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Frau Zeyen-Giles, Sie haben bei den Paralympics in Paris sowohl im Straßenrennen als auch im Einzelzeitfahren Bronze geholt und einen WM-Titel nachgelegt. Wie lautet Ihr Fazit für das Jahr 2024?

Annika Zeyen-Giles: Ich bin dankbar, dass ich das Maximum rausholen konnte. Das Straßenrennen in Paris war wegen extremer Regenfälle sehr gefährlich. Einmal bin ich aus einer Kurve gerutscht, weil die Straße so glitschig war wie Seife. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. In Zürich ist eine Schweizer Radfahrerin (Muriel Furrer, Anm. d. Red.) beim U-19-Rennen ja sogar ums Leben gekommen. Das hat mir einmal mehr gezeigt, wie dankbar ich sein kann, heil aus diesen Wettkämpfen herausgekommen zu sein. Der WM-Titel war ein Highlight, weil ich das erste Mal die Australierin Lauren Parker in einem Zeitfahren schlagen konnte. Es war das Rennen meines Lebens.

Heute sind Sie eine der besten Parathletinnen weltweit, aber wie hat alles angefangen?

Ich habe mich schon immer gerne bewegt: Turnen, Schwimmen, Einradfahren, Reiten – das war alles Teil meiner Kindheit. Ich bin ehrgeizig und habe meinem älteren Bruder oft nachgeeifert. Fahrradfahren konnte ich schon vor ihm. Das hat mir damals schon gezeigt, was mit Einsatz und Wille möglich ist.

Von meinem Vater habe ich den Willen geerbt immer weiterzumachen. Egal, wie schwer es wird

Annika Zeyen-Giles, Handbikerin aus Hennef

Wer hat Sie auf Ihrem Weg besonders geprägt?

Meine Eltern und mein langjähriger Trainer Alois Gmeiner, der leider im Juli 2023 verstorben ist. Mein Vater hat nach meinem Reitunfall mit 14, seitdem ich querschnittsgelähmt bin, gesagt: "Wir machen das Beste draus." Meine Mutter war überzeugt, dass ich eines Tages an den Paralympics teilnehmen würde. Beide haben mich immer unterstützt. Und Alois hat ab 2016 eine große Rolle gespielt. Von meinem Vater habe ich den Willen geerbt immer weiterzumachen. Egal, wie schwer es wird.

Schauen wir auf die Wettkämpferin Annika Zeyen-Giles: Wie bereiten Sie sich mental vor?

In diesem Jahr habe ich speziell für die Paralympics mit einer Sportpsychologin zusammengearbeitet. Da ich im Frühjahr bereits die Strecke in Paris besichtigt hatte, konnten wir besonders für das Straßenrennen verschiedene Rennverlauf-Szenarien durchsprechen. Im Kopf bin ich ein Szenario immer wieder durchgegangen, besonders in Bezug auf die Endphase des Rennens. Atemübungen und ein Mantra helfen mir, mich zu beruhigen. Das hat mir in Paris sehr geholfen, gerade bei den schwierigen Wetterbedingungen.

Bei all Ihren Triumphen werden auch Sie mit Misserfolgen konfrontiert: Wie gehen Sie mit Rückschlägen um?

Es ist immer schwer, wenn es mal nicht so läuft. Anfang 2024 war ich topfit, aber um Ostern herum wurde ich krank. Ich hatte Fieber und niemand wusste genau, was los war. Das hat meine Vorbereitung stark beeinträchtigt. Wenige Tage vor meinem ersten Weltcup saß ich noch beim Kardiologen, der mir fast die Teilnahme untersagt hätte. Letztlich haben weitere Untersuchungen dann doch grünes Licht gegeben. In solchen Momenten lege ich den Fokus nur auf jene Sachen, die ich beeinflussen und kontrollieren kann.

Nur in einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist: Welche Rolle spielt Ernährung für Sie?

Eine wichtige. Auch bei einer gesunden und ausgewogenen Ernährung geht es auf diesem Level nicht ohne Nahrungsergänzungsmittel. Gerade in der Höhe ist Eisen unverzichtbar. Meine Blutwerte werden regelmäßig überprüft und die Trainingssteuerung entsprechend angepasst. Ich verlasse mich auf die Fachleute, die mich beraten. Aber am Ende bin ich selbst dafür verantwortlich, was ich einnehme – auch im Hinblick auf das Antidopingsystem.

Ein gutes Stichwort: Wie stehen Sie zum Thema Doping?

Ich bin im höchsten Testpool, ähnlich wie die Fahrer der Tour de France. Mein persönlicher Rekord waren drei Tests in einer Woche. Das ist wichtig, auch wenn es leider nicht in allen Ländern so gehandhabt wird wie in Deutschland. Manchmal sieht man es den Kontrahentinnen an ihren männlichen Gesichtszügen an, dass sie gedopt sind. Sie sind vorher nie in Erscheinung getreten und fahren dann bei einem Weltcup plötzlich aufs Podium.

Annika Zeyen-Giles fiebert WM 2025 in Belgien entgegen

Was hat 2024 den Ausschlag für Ihre Erfolge gegeben?

Eine sehr intensive Vorbereitung mit viel Detailarbeit, bei der ein wichtiger Aspekt sicherlich das fünfwöchige Höhentraining war. Es war ein unglaublich intensives Jahr, in dem ich kaum durchatmen konnte. Mehr geht nicht.

Umso wichtiger ist Erholung nach den Wettkämpfen: Wie sieht Ihr Rezept dafür aus?

Ich verbringe gerne Zeit mit meinem Mann, meiner Familie und Freunden. Auch Spazierengehen in der Natur ist mir wichtig – oft in Begleitung von Gustav, einem kleinen Mini-Shetland-Pony.

Welche Ihrer Erfolge haben die größte Bedeutung für Sie?

Der WM-Titel 2019 war besonders, weil er unerwartet kam. Ich war lange verletzt gewesen, nicht im Kader und ohne Förderung. Dass ich es trotzdem geschafft habe, war ein persönliches Highlight. Natürlich sind die Goldmedaillen bei den Paralympics 2012 (im Rollstuhl-Basketball, Anm. d. Red.) und 2021 (im Handbike, Anm. d. Red.) etwas Besonderes, weil sie so viel Strahlkraft haben. Aber mein erstes Paralympics-Erlebnis 2004 in Athen (Rang vier im Rollstuhl-Basketball, Anm. d. Red.) hat mich motiviert alles zu geben, um die Medaillen-Zeremonie eines Tages selbst zu erleben.

Und was hält 2025 für Sie bereit?

Es wird ein ruhigeres Jahr im Vergleich zu 2024. Eine WM in Belgien steht an, aber zur Vorbereitung wird es diesmal keine fünf Wochen Höhentraining geben. 2024 hat mich körperlich und mental sehr gefordert. Momentan arbeite ich noch die Ereignisse der letzten Monate auf.

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Zur Person

Annika Zeyen-Giles (39) wurde in Bonn geboren. Die international erfolgreiche Paracyclerin hat bereits als Rollstuhl-Basketballerin an vier Paralympischen Spielen teilgenommen und 2012 in London für Deutschland Gold gewonnen. Die Handbikerin wurde mehrfach mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet und gewann 2024 bei den Paralympics in Paris Bronze im Einzelzeitfahren und im Straßenrennen. Unmittelbar danach holte die Henneferin in Zürich WM-Gold im Zeitfahren.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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