Sportprothesen: Erst spezielle Prothesen erlauben Amputierten, wieder Sport zu machen. Ehrenamtliche bieten ein Lauftraining an, damit Interessierte die Carbon-Sicheln testen können. Denn die sind teuer und die Kassen beteiligen sich nicht.
Vom linken Fuß auf den rechten hüpfen, im Kreis laufen, die Richtung wechseln – für gesunde Läufer wirkt das wie ein leichtes Aufwärmprogramm. Doch mit einer Sportprothese wird jede dieser Bewegungen zu einem Balanceakt, bei dem Technik, Kraft und volle Konzentration gefordert sind.
Wer so vorsichtige Sprünge macht, ist beinamputiert. Mit ihren normalen Prothesen können die Betroffenen Alltagsbewegungen meistern, aber keinen Sport ausüben. Der Verein "Laufen im Wind" bietet Beinamputierten an, Sportprothesen zu testen. Ein wichtiger Testschritt vor einer teuren Anschaffung, denn die Krankenkasse übernimmt die Anschaffung einer solchen Prothese nicht.
Sichelprothese aus Kohlenstofffaser
"Es ist ein unglaubliches Gefühl, sich wieder so bewegen zu können", sagt Dominik Siemenrot. Der Leistungssportler ist einer der sieben Teilnehmer, der die gebogene Klinge aus Kohlenstofffaser an diesem wolkenverhangenen Samstag auf der Babenhäuser Sportanlage ausprobiert.
Auf seine Krebsdiagnose im Jahr 2009 folgte eine Oberschenkelamputation, seither ist Siemenrot auf Hilfsmittel angewiesen. Für Tatjana Schock, Gründerin des Vereins, ein wichtiger Moment: "Man bekommt einen guten Eindruck, ob man eine Sportprothese will und braucht oder nicht."
Der Verein möchte mit seinem Angebot aber auch auf den Missstand aufmerksam machen, dass die Krankenkassen eine Sportprothese nicht bezuschussen. Deren Begründung: "Sie gehöre nicht zum alltäglichen Leben", sagt Schock.
Finanziert wird lediglich, was auf dem Weg vom Unfall zurück in den Beruf nötig ist. Auf die Förderung von Freizeit- und Vereinssport hingegen gibt es keinen rechtlichen Anspruch. Sportprothesen kosten je nach Bedarf mehrere Tausend Euro – etwa 7.000 Euro für eine Unterschenkelprothese und 15.000 Euro für eine Oberschenkelprothese.
Für Menschen, die ein Leben lang sportlich waren und nun mit der Einschränkung leben müssen, ist sie jedoch eine Möglichkeit, zu Freiheit und Leichtigkeit zurückzufinden. "Sie bedeutet Inklusion", betont Schock, die selbst aufgrund eines Unfalls eine Prothese tragen muss.
Damit das Ausprobieren trotz der finanziellen Hürde für jeden Menschen mit Amputation möglich ist, unterstützen – neben Tatjana Schock – auch noch weitere Vereinsmitglieder, darunter Ärzte, Orthopäden und Orthopädietechniker der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt, das Testlaufangebot und helfen, wo sie können.
Jede Prothese muss individuell angepasst werden
Unverzichtbar für das Treffen ist überdies die Kooperation mit dem Prothesenhersteller Össur, der jedem einzelnen Teilnehmer eine angepasste, künstliche Hilfe stellt. "Es ist ein ganz individueller Zuschnitt, der sehr viel Arbeit kostet", sagt Schock. Von den Technikern werden die Prothesen dann an den sogenannten Alltagsschaft angeschraubt, an dem sonst die normale Prothese sitzt.
Sebastian Benner, leitender Oberarzt für Technische Orthopädie an der BG-Unfallklinik, erklärt den Unterschied zwischen den Prothesenarten und weshalb die sichelförmige Gehhilfe beeindruckend, aber dennoch wackeliger und gewöhnungsbedürftiger ist: "Im Alltag haben die Patienten mikroprozessorgesteuerte Prothesen, die in Echtzeit Informationen über Bewegungen verarbeiten. Stolpert jemand oder läuft Gefahr, gleich zu stürzen, dann checken das die Sensoren und geben die Informationen an den Mikroprozessor weiter. Das heißt, die Patienten müssen sich keine großen Gedanken machen, wie sie laufen, ob vorwärts oder rückwärts, schnell oder langsam", so Brenner. Eine Sportprothese hingegen biete keine solchen elektronischen Helfer. Sie verlange volle Kontrolle, Konzentration und Körperbewusstsein.
Den Hinterfüßen eines Gepards nachempfunden
"Die Prothesenfüße sind alle aus Carbon, damit sie federn", ergänzt Orthopädietechniker Oliver Tepper. Durch jene Federkraft sowie durch den speziellen Aufbau bekommen die Träger Dynamik und Flexibilität, jedoch auf Kosten der Standfestigkeit.
"Bei der Sportprothese fehlt die Ferse, da stehen alle nur auf dem Vorderfuß. Diese Federn sind dem Gepard aus der Natur nachempfunden, denn dessen Hinterläufe sehen ungefähr genauso aus. Da hat man sich einfach die Biomechanik abgeschaut", sagt Tepper.
Dass das Austesten der Prothese ein wahrer Balanceakt ist, merkt auch Giselher Wieland. Der Fünfundsechzigjährige gehört zu den älteren, doch nicht weniger motivierten Teilnehmern beim Lauftraining in Sachsenhausen. Er hatte, wie auch Dominik Siemenrot, eine Oberschenkelamputation, wodurch ihm das Kniegelenk fehlt.
"Man muss in Ruhe rumprobieren"
Für ihn ist demnach nicht nur die Prothese teurer, auch das Laufen fällt schwerer. "Die Prothese ist viel leichter, aber auch wackliger. Man muss in Ruhe rumprobieren", sagt Wieland. Bevor er tatsächlich damit rennen kann, versucht er sich zunächst am langsamen Laufen und Wippen, ein Geländer bleibt beim Austesten selbstredend in Griffnähe.
Neben ihm steht Matthias Körner, Spezialist der technischen Orthopädie der BG-Unfallklinik, und achtet genau auf Wielands Bewegungen. "Wir möchten die Wahrscheinlichkeit zu stürzen, so gering wie möglich halten", sagt Körner.
"Es ist ein bisschen wie Skateboard fahren – das Fallen gehört dazu. Wir möchten es aber natürlich vermeiden, deshalb machen wir diese Einführung." Dazu gehört das Laufen im Kreis, nach links und nach rechts, vor und zurück, ebenso wie abruptes Anhalten und vorsichtiges Joggen – für diejenigen, die es sich zutrauen.
Unterstützung durch eine Paralympics-Teilnehmerin
Motiviert werden die Teilnehmer hierbei nicht nur von Körner, sondern auch von der ehemaligen Para-Leichtathletin und Paralympics-Teilnehmerin Maria Tietze, die beim Laufevent als Trainerin fungiert. Sie möchte den Patienten dabei helfen, die ungewohnte Prothese als Sportgerät kennenzulernen und ihre neu gewonnene Flexibilität und Ausdauer in das alltägliche Leben zu integrieren.
"Die Sicherheit, die Bewegungsfähigkeit, die man sich aus dem Sport holt, die schadet nie im Alltag. Das heißt, was wir hier leicht spielerisch unter einem Sportaspekt machen, das wird in der Regel unterbewusst in den Alltag mitgenommen", so Tietze.
Schließlich haben Menschen mit Amputation eine höhere Lebenserwartung und überdies eine bessere Lebensqualität, wenn sie sich regelmäßig und vor allem sicher und ohne nachzudenken bewegen können. "Das ist es, wo wir im Endeffekt wieder hinkommen wollen und was wir hier erreichen wollen. Zurück in dieses intuitive Bewegen, in das intuitive Laufen zu kommen", verdeutlicht sie.
Etwa viermal im Jahr organisiert der Verein "Laufen im Wind" das Lauftreffen in Frankfurt, das von Ehrenamtlichen getragen wird. Der nächste Termin ist im März 2025 geplant. Darüber hinaus wird jeden Mittwochabend ein Training und Networking auf der Sportanlage Preungesheim angeboten.
Bei den Teilnehmern stößt das auf Begeisterung und Neugierde – schon für den Testlauf sind einige aus Köln, Fulda, oder Limburg angereist, denn ein vergleichbares Angebot ist selten. Die Organisatoren hoffen, mit ihrem Einsatz die Bedeutung der Sportprothesen für Amputierte weithin bekannt zu machen. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.