Frankfurt-Höchst: Im Frankfurter Stadtteil Höchst liegen Schönheit und Elend dicht beieinander. Auch der Oberbürgermeister erlebt bei einem Spaziergang Überraschungen.
Da staunt der Oberbürgermeister. Eben noch begutachtete Mike Josef herabfallenden Putz, offen liegende Elektroleitungen. Und nun steht der SPD-Politiker inmitten eines Kleinods. "Das ist Höchst", sagt er. "Eben noch fragst du dich, in was für einem Chaos und teilweise auch Dreck du dich befindest, und dann findest du eine Straße weiter wunderschöne Ecken." Im Antoniterkloster ist das Ganze auf wenigen Quadratmetern auf die Spitze getrieben.
Frank Mayer hat Josef hergeführt. Der Biotechniker arbeitet im Industriepark Süd, nebenher ist er vielfach engagierter Höchster. Er betreibt als Künstler ein kleines Atelier, Mayer ist Vorsitzender des Geschichtsvereins. Wie so viele, die sich im Stadtteil engagieren, ist der 48 Jahre alte Mann zugezogen, "zur Ausbildung bei den Farbwerken". Als Mayer und ein paar andere die Geschäfte des Vereins übernahmen, mussten sie das ehemalige Kloster erst einmal entrümpeln. "Als ich die Tür zum Kapitelsaal öffnete, war sofort zu erkennen, dass es so eine Stuckdecke nicht mal im Bolongaropalast gibt."
"Dann zieh doch nach Bornheim"
Und so steht der Oberbürgermeister nun in einem traumhaften Raum und diskutiert mit Mayer, was man tun könne. Das Haus gehöre der ABG, klärt Mayer auf, also einer städtischen Baugesellschaft. Josef versteht sofort den Widerspruch, dass die Stadt schlecht fordern könne, dass die Höchster ihren Stadtteil aufhübschen sollen, während die städtischen Gesellschaften ihre Gebäude verkommen ließen. "Du hast mir hier einen Schatz gezeigt", sagt Josef zu Mayer.
Der Austausch bei guter Laune und das "Du" mit Mayer sind nicht selbstverständlich. Mayer pflegt in seinen Werken einen bissigen Humor. Er hat Josef mit einer Postkarte für seinen Wegzug aus Höchst kritisiert mit den Worten "Dann zieh doch nach Bornheim". Eine durchgestrichene 100 ist sein nur halb scherzhaft gemeinter Kommentar dazu, dass die Stadt bitte zum Jubiläum der Eingemeindung 1928 Höchst wieder in Freiheit entlassen möge.
Josef ist kürzlich am Rande des Weihnachtsmarktes trotz der bissigen Kritik in Mayers Atelier gegangen und hat ihm gratuliert, wie gut er ihn getroffen habe in der Karikatur. Und er erläutert, dass er genauso Kritik erhalten hatte, als er einst als Stadtrat aus der Stadt nach Höchst gezogen war, wie er für seinen folgenden Wegzug von Höchst nach Bornheim beäugt worden sei. "Natürlich setze ich mich aber mit niveauvoller Kritik auseinander. Wir brauchen Menschen wie Frank Mayer."
Ursula Schmidt ist eine ähnlich engagierte Dame, die als Vorsitzende des Vereinsrings für ihren Stadtteil Griesheim kämpft. Den Besuch des Oberbürgermeisters für die Jahrespressekonferenz im Westen nutzt sie, um auf ihre Anliegen hinzuweisen. Da geht es um zu viel Außengastronomie bis tief in die Nachtstunden, um zu viel Bürokratie für die Vereine, wenn sie Stadtteilfeste organisieren wollen.
Sie nimmt zur Kenntnis, dass der Industriepark Süd von einem guten Jahr spricht, auch wegen einer Ansiedlung wie jener von Vulcan Energy. Aber sie lobt vor allem die schnell verwirklichte Behelfsbrücke für die Omegabrücke, Hilfen für die Vereine, oder dass die Stadt mehr Präsenz zeige mit Ordnungskräften. "Die vermehrten Razzien in Shishabars oder Wettbüros kommen sehr gut an bei der Bevölkerung", sagt sie.
Fokus auf Bahnhof
Auch in Höchst hat die Stadt im Zusammenspiel mit Stadt-, Landes- und Bundespolizei sowie dem Sicherheitsdienst der Bahn einen härteren Kurs eingeschlagen. Rocco Stein, der für die Bundespolizei unter anderem am Bahnhof Höchst zuständig ist, einem vermeintlichen Hotspot der Kleinkriminalität und Gewaltdelikte, berichtet sachlich von einem Anstieg auf gemeldete 35 Gewalt- und 15 Eigentumsdelikte im Jahr und lässt offen, ob das nun viel oder wenig ist. Stein kommt es mehr darauf an, welche Folgen solche Vorfälle nach sich ziehen. "Diese Delikte haben eine enorme Auswirkung auf das Sicherheitsgefühl der Menschen, weil sie weitererzählt werden und sich in der Wahrnehmung dadurch vervielfachen", sagt der Polizist. "Polizeipräsenz ist ein entscheidender präventiver Faktor."
Alle Sicherheitskräfte hätten ihren Fokus auf Bahnhof und Umfeld verstärkt. Auch deshalb hat sich Josef nach seiner Pressekonferenz im Westen bereiterklärt, mit der F.A.Z. einen Stadtspaziergang durch Höchst zu unternehmen. Das Stadtoberhaupt lässt sich dabei auch nicht von einem Regenguss erschüttern, selbst nasse Socken und Hosenbeine halten Josef nicht davon ab, sich an der Ludwigshafener Straße ein Bild von einer zugemüllten Seitenstraße zu machen. In diesem Fall ist es nur Papiermüll – Kartons oder Pizzaverpackungen liegen vom Regen aufgeweicht herum.
"Ich verstehe das nicht, irgendwer muss doch die Tonnen willentlich ausgeräumt haben. Wer macht so etwas?", fragt er und erhält später von Mayer die lapidare Antwort, dass überall Menschen im Müll nach Verwertbarem suchten. Mayer sagt das nicht verächtlich, er ist ein empathischer Mensch. Josef will trotzdem nicht aufgeben. "Es muss sich schon jeder an die eigene Nase packen und Vorbild sein. Wir bekommen es nicht allein hin durch mehr Müllentsorgung, jeder muss seinen Teil beitragen", sagt er. Erst am Vortag sei er mit der Ordnungsdezernentin Annette Rinn (FDP) durch Parks gelaufen und habe Jugendliche mit Lachgaskartuschen und Weinflaschen angetroffen. "Die sind sicher nicht im Müll gelandet", so Josef.
"Bei Bewohnerwechsel landet eben die Matratze auf der Straße"
Wie im Kleinen braucht es vielleicht auch im Großen Vorbilder. Der Gedanke kommt Josef, als Mayer ihm das Problem mit der alten Bausubstanz in Höchst erläutert. Die Käuferin eines Fachwerkhauses habe mal große Pläne gehabt. Sie wollte ein Café eröffnen, das Haus sanieren.
Dann seien die Bedenken der Nachbarn gekommen mit dem Dunstabzug für die Küche und Ähnlichem, die bereits mit Architekt angegangenen Sanierungsbemühungen seien bei der Konfrontation mit den Denkmalschutzauflagen erlahmt, nun ist im geplanten Café-Erdgeschoss Leerstand und oben wohnen angeblich osteuropäische Lohnarbeiter "zusammengepfercht" in Mehrstockbetten, winzige Zimmer würden für 800 Euro vermietet. Die Bewohner blieben zwei Monate, was auch die immer wieder erstaunliche Zahl an Matratzen erkläre, die vor allem rund um die Bolongarostraße herumlägen. "Bei Bewohnerwechsel landet eben die Matratze auf der Straße".
Josef nimmt die Worte zur Kenntnis, er kennt die Ursachen aus seiner Zeit als Planungsdezernent und weiß, dass alles nicht über Nacht zu regeln ist. "Das ist eine Abwärtsentwicklung über vier oder fünf Jahrzehnte gewesen, der Niedergang der Hoechst AG war ein Tiefschlag für Höchst", sagt er. "Das wird viele Jahre dauern, um es zu korrigieren. Aber wir müssen anfangen und sichtbare Fortschritte erzielen", sagt er. Im nächsten Jahr wird er wieder vorbeischauen. Und er muss sich an den Worten messen lassen. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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