"Rue 1" in Wiesbaden: Das Restaurant "Rue 1" im neuen Wiesbadener Museum Reinhard Ernst wird von der Gastronomen-Familie Gollner geführt – und überzeugt auch im Detail.

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Draußen brettern die Angeber vorbei. An der Ampel lassen sie die Motoren ihrer mehr oder weniger aufgemotzten Wagen aufheulen und den Auspuff knattern. Und ab und zu röhrt auch ein Motorradfahrer über die Wilhelmstraße, Leute von der Sorte, die auch im Stau auf der Autobahn zwischen den Spuren beschleunigen und ihr mangelndes Selbstwertgefühl mit Lärm und Rücksichtslosigkeit kompensieren. Zum Glück ist hinter den großen Scheiben des "Rue 1" kaum etwas zu hören von den übermotorisierten Wichtigtuern, die in der Landeshauptstadt vor allem abends unterwegs sind, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Und beeindrucken lässt sich hier in der neuen ersten Adresse an der Wiesbadener Prachtstraße natürlich auch niemand von dem proletenhaften Getöse.

Das "Rue 1" ist der spektakulärste Neuzugang in der Wiesbadener Gastro-Szene seit Langem – gleichzeitig aber auch so etwas wie ein guter alter Bekannter. Denn das Ganztagslokal im neuen Museum Reinhard Ernst für abstrakte Kunst wird von der Familie Gollner betrieben. Und die hat in Wiesbaden eine lange gastronomische Geschichte vorzuweisen, mancher ihrer vielen Stammgäste würde sagen: Geschichte geschrieben. Denn die Zahl der Restaurants, die die aus Österreich stammenden Gastronomen in den vergangenen Jahrzehnten in der Landeshauptstadt eröffnet und geführt haben, ist beachtlich: vom "Gollner’s auf der Burg Sonnenberg" über die Brasserie an der Burgstraße, das "Gollner’s Forty-Nine" an der Taunusstraße und den Gasthof Jagdschloss Platte bis zum über alle kulinarischen Zweifel erhabenen und zum absoluten Liebling der Wiesbadener avancierten "Goldstein".

Manches Projekt, das Günter Gollner mit seinem Bruder Alexander angepackt hat, seit er dem "Landhaus Diedert" in Klarenthal 1998 den Rücken kehrte, ist inzwischen Vergangenheit. Geblieben ist die für die beiden typische Mischung aus österreichischer Bodenständigkeit und internationaler Kreativität – und eine große und treue Stammkundschaft, die diesen anspruchsvollen, aber unaufgeregten Stil schätzt und nun auch in das neue Lokal im Erdgeschoss des beeindruckenden Ausstellungshauses kommt.

Rindertatar und Balik-Lachs als Klassikers

Während im Museum abstrakte Kunst zu sehen ist, geht es im Restaurant mit seinem hohen, lichtdurchfluteten Gastraum und der schönen Terrasse ganz handfest und real zu. Keine Dekonstruktion, keine Abstraktion, kein Minimalismus, keine philosophische Überhöhung: Bei den Gollners geht es im Grunde immer klassisch zu. So auch im "Rue 1" – allerdings mit einem deutlich internationaleren Touch als etwa im "Goldstein". Das beginnt mit der Lunchkarte, die von 12 bis 18 Uhr gilt und in einer wechselnden, bunten Mischung Salate, asiatische Nudelsuppen, japanische Gyoza und italienische Pasta mit "Coq au Riesling", gebackenem Kabeljau und Kalbsgeschnetzeltem mit Spätzle kombiniert. Und es gilt auch für den Abend, wenn statt der Museumsgäste eher das typische Gollner-Publikum an den Tischen Platz nimmt.

Jetzt schon zu den "Rue 1"-Klassikern zählen dürften das bestens abgeschmeckte Rindertatar mit Sardellen und eingelegten Mairübchen (26 Euro), die perfekt gegarten Jakobsmuscheln in Vanille-Lauch-Sud (24 Euro) und vor allem der feine Balik-Lachs im Noriblatt mit Wasabi-Creme und Papaya-Salat (28 Euro). Ebenso tadellos kommen das sehr zurückhaltend mit Teriyaki, Sesam, Shiso und Rettichstroh begleitete Sashimi von der Gelbschwanzmakrele (28 Euro) und später die Medaillons vom Seeteufel in Paprika-Safran-Marinade (38 Euro) und die geschmorten Ochsenbäckchen in tief-würziger Burgunder-Soße (32 Euro) auf den Tisch.

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Das alles gelingt der Küche mit bemerkenswerter Präzision und überzeugt wie die von deutschen und österreichischen Tropfen dominierte Weinkarte auch im Detail. Die Preise bewegen sich dabei durchaus auf Wilhelmstraßen-Niveau, aber wie sagt an diesem Abend ein Gast am Nachbartisch: "Es ist eben Gollner-Qualität zu Gollner-Preisen." Für Wiesbaden und sein neues Museum ist das "Rue 1" auf jeden Fall ein großer Gewinn.

Rue 1 Wilhelmstraße 1, Wiesbaden, Telefon 06 11/76 38 33 30, Internet www.gollners.de/rue1-by-gollners. Geöffnet dienstags bis samstags jeweils von 11 bis 24 Uhr, sonntags von 11 bis 18 Uhr.   © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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