Schindler-Haus in Frankfurt: Das Haus am Frankfurter Hauptbahnhof, in dem der "Judenretter" Oskar Schindler lange lebte, soll abgerissen werden. Was die Mieter dazu sagen.

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Am Hauptbahnhof 4, vor der Tür hockt ein Dealer und wühlt mit der Hand in einer Plastiktüte voll Marihuana. Wohnt er in dem Haus? Nein, antwortet der Mann freundlich. Und er kenne auch niemanden, der dort eine Wohnung habe. Auf die Bemerkung, dass es in dem Gebäude wahrscheinlich sowieso nur noch wenige Mieter gebe, weil kaum Namen auf den Klingelschildern stehen, entgegnet er: "Das hat nicht viel zu sagen."

Um das Haus, ein grauer Block gegenüber dem Frankfurter Hauptbahnhof, ist ein Streit entbrannt. Der Eigentümer, eine Gesellschaft mit dem Namen First Solid Rock Portfolio aus Luxemburg, will es abreißen, hat den Mietern Kündigungen geschickt. In dem Brief hieß es, man wolle an der Stelle des Fünfzigerjahrebaus ein "Boarding House" entstehen lassen. Schick eingerichtete Apartments, die auf Zeit vermietet werden: Damit lässt sich in einer Stadt mit vielen Berufspendlern aus der Finanzbranche gutes Geld verdienen.

Die Stadt Frankfurt will das verhindern. Der Bebauungsplan erlaube an dieser Stelle keine Hotelnutzung wie bei einem "Boarding House", stellt das Planungsdezernat klar. Den Mietern, die eigentlich schon zum 30. Oktober hätten ausziehen sollen, bietet die Stadt Unterstützung und eine Rechtsberatung an.

Der Eigentümer hält am Abriss fest

Der Eigentümer rudert daraufhin zurück, zumindest ein bisschen. Die "Boarding House"-Pläne gibt er auf, stattdessen sollen nun möblierte Wohnungen entstehen. Am Abriss aber hält die Luxemburger Gesellschaft fest. Die Immobilie sei zu heruntergekommen, um sie zu sanieren. In einer Pressemitteilung ist von Problemen mit Prostitution im Haus die Rede, von Drogen, von illegal untervermieteten Wohnungen.

Dass der Streit um das graue Haus am Hauptbahnhof hohe Wellen schlägt, hat einen Grund, der mit all diesen Problemen nichts zu tun hat: Zur Nachricht ist die Angelegenheit vor allem deshalb geworden, weil Oskar Schindler, der bekannte "Judenretter", dort einige Jahre gelebt hat. Von 1965 bis 1974, dem Jahr, in dem er starb, bewohnte der Unternehmer, der knapp 1200 Juden während der Naziherrschaft das Leben rettete, eine Einzimmerwohnung in dem Gebäude. Am Hauseingang erinnert daran eine Bronzetafel mit seinem Konterfei. Schindler-Haus wird das Gebäude schon seit vielen Jahren genannt.

"Sei vorsichtig, es sind Junkies im Haus"

Von innen öffnet sich die Haustür, ein Mann tritt heraus, groß, schlank, die Haare kurz rasiert. Er stamme aus Serbien und arbeite in dem Irish Pub im Erdgeschoss des Hauses, sagt er auf Englisch. Seit drei Jahren wohne er im Haus, sein Chef habe die Wohnung gemietet. Bis zum Ende des Jahres könne er dort wohl noch bleiben, vielleicht auch länger. Klar, im Gebäude könne man sich ruhig einmal umsehen, sagt er, eine Warnung gibt er einem aber doch mit auf den Weg: "Sei vorsichtig, es sind eine Menge Junkies im Haus."

Einen guten Eindruck macht das Schindler-Haus tatsächlich nicht. Im Treppenhaus liegen Mülltüten und altes Metall. Die Flure zu den Wohnungen sind lang und dunkel. In einem der Stockwerke fehlt der Teppichboden, an der Tür zum Treppenhaus ist das Glas zersplittert.

Wie es weitergeht? "Keine Ahnung"

Im ersten Stock gibt es noch zwei Reisebüros. In einem wird telefoniert, in dem anderen sitzt ein Mann auf dem Sessel und blickt auf sein Smartphone. Er habe selten Publikumsverkehr, sagt er. Bei ihm rufen die Leute an, dann bucht er die Flüge und schickt ihnen die Tickets per Post zu. Seit 15 Jahren hat er das Büro im Haus gemietet, sein Name soll in der Zeitung nicht genannt werden, das ist ihm wichtig. Ärgerlich sei die Sache mit der Kündigung, sagt er. Wie es nun weitergeht? "Keine Ahnung." Er hat sich schon andere Büros angeguckt, an der Mainzer Landstraße, am Wiesenhüttenplatz. Doch die kosten "dreimal so viel wie der Raum hier" und sind sogar noch kleiner. "Vielleicht muss ich aufhören und etwas anderes machen", sagt der Mann. Noch hofft er darauf, dass aus den Abrissplänen nichts wird. Dass Oskar Schindler früher in dem Haus wohnte, könnte dabei vielleicht helfen, meint er.

Eine gute Adresse war das Haus schon zu der Zeit, als der "Judenretter" aus Krakau dort wohnte, nicht. 1957 war Schindler aus Argentinien nach Frankfurt gekommen. Mit einer Nutriafarm hatten er und seine Frau Emilie in dem südamerikanischen Land ihr Glück versucht. Nach dem Bankrott der Farm trennte sich das Paar, Schindler zog es allein zurück nach Westdeutschland.

Das Revier der Pelzhändler, Ganoven und Bordelle

Wirtschaftlich konnte er auch in Frankfurt nicht wieder Fuß fassen, Unterstützung bekam er von einigen "Schindlerjuden", die er gerettet hatte, oft reiste er nach Israel. Im Frankfurter Bahnhofsviertel, dem Revier der Pelzhändler, Ganoven und der Bordelle, war Schindler meist in der Kneipe von Abraham Rozenberg zu finden. Der Jude hatte den Holocaust überlebt, er machte Karriere als Boxer, kämpfte für die Eintracht, lebte eine Zeit lang auch in den Vereinigten Staaten, bevor er Anfang der Siebzigerjahre ein Lokal an der Münchener Straße übernahm.

Von Schindlers Zivilcourage wussten damals nur wenige. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hatte ihn zwar schon 1967 als "Gerechten unter den Völkern" geehrt, wirklich bekannt wurde seine Rettung der jüdischen Zwangsarbeiter aber erst lange nach seinem Tod – durch den weltweiten Erfolg von Steven Spielbergs Spielfilm "Schindlers Liste", der 1993 in die Kinos kam.

Im Foyer des Schindler-Hauses hängt heute der Brief der Stadt Frankfurt, die den gekündigten Mietern Hilfe anbietet. Und daneben ein Zettel, mit dem ein Schädlingsbekämpfungsunternehmen ankündigt, dass es in einigen Tagen Köder gegen Schaben auslegen wird. Ein Mann im Joggingoutfit kommt die Treppe herunter, öffnet seinen Briefkasten. Ja, auch er habe eine Kündigung bekommen, berichtet er. Und dass er dagegen Widerspruch eingelegt habe.

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Der Mann will abwarten, wie es weitergeht. Ausgezogen sei bisher wohl noch niemand. Zum Stichtag Ende Oktober sei von der Hausverwaltung auch niemand erschienen. "Alles läuft weiter wie bisher", sagt er. "Der Müll wird geleert, die Aufzüge fahren noch." Auf das Angebot der Stadt, sich in Rechtssachen beraten zu lassen, hat der Mann bisher nicht reagiert. "Das mache ich, wenn wirklich eine Räumungsklage kommt."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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