München - Die AWO in Bayern hat Missstände in einem ihrer Kinderkurheime in der Nachkriegszeit publik gemacht.

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Kinder und Jugendliche hätten im Stauffenhof bei Bad Reichenhall individuelle Leiderfahrungen gemacht, von unstillbarem Heimweh bis hin zu traumatischem Erleben, teilte der Verband mit und verwies auf eine neue wissenschaftliche Studie, in der allerdings von einer schwierigen Quellenlage die Rede ist. Die Betrachtung der Einzelfälle lasse aber nicht den Schluss zu, dass es in der Einrichtung systematische Gewalt aus niederen Beweggründen gegeben habe, schreiben die Autoren.

Das herrschaftliche Anwesen bei Bad Reichenhall diente von 1948 bis 1973 als Kinderverschickungsheim. Geschätzt 22.000 Kinder kamen hier in dieser Zeit unter. Minderjährige sollten sich in dem Kurheim in der frischen Gebirgsluft erholen.

Der Studie zufolge galt der Stauffenhof als Prestigeprojekt der Arbeiterwohlfahrt in Bayern. Viele Kinder und Jugendlichen dort litten unter Asthma, andere unter den Spätfolgen der Kinderlähmung, Lungenentzündungen oder auch Blinddarmentzündungen. Zum Angebot gehörten unter anderem Inhalationen, Bäder, Massagen, Bestrahlungen mit Höhensonne oder Turnen. 1973 wurde die Einrichtung geschlossen.

Körperliche und seelisches Leid

Anlass für die Studie waren der AWO zufolge unter anderem Schilderungen von körperlicher und seelischer Misshandlung. Drei Jahre lang werteten die Historiker Johannes Lang und Hermann Rumschöttel Quellen, mündliche Berichte und Erinnerungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus. Das Ergebnis sei allerdings nicht mehr als eine Skizze und erfordere weitere Forschungen.

Einer der häufigsten Kritikpunkte sei der Essenszwang gewesen. Ein Kind berichtete, es habe sich nach dem Essen regelmäßig übergeben. Ein Bub musste nach eigenen Angaben erbrochenen Milchreis vom Boden aufessen. Der Studie zufolge übte wohl nur eine Betreuerin Essenszwang aus. Nach einer Diskussion sei dieser Frau daraufhin gekündigt worden. Auch einzelne Berichte über Gewalt finden sich in der Untersuchung. Auch von einem Verbot, nachts auf die Toilette zu gehen, war die Rede.

Bedauern über Vorfälle

Die AWO-Landesvorsitzenden Nicole Schley und Stefan Wolfshörndl sprechen den Betroffenen im Vorwort der Studie ihr Bedauern aus. Es sei damals zu Praktiken gekommen, die in der damaligen Pädagogik zwar verbreitet waren, die aus heutiger Perspektive jedoch als problematisch anzusehen seien. Das Vorgehen einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurde ausdrücklich verurteilt.

Wolfshörndl forderte zudem den Freistaat auf, die Situation in den Kinderkurheimen in Bayern ab 1945 zu erforschen, analog zu einer Untersuchung des Sozialministeriums in Nordrhein-Westfalen. Die nun vorgelegte Studie könne hierzu ein Baustein sein.  © Deutsche Presse-Agentur

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