Das BSW von Sahra Wagenknecht ist das Start-Up der deutschen Politik. Nichtmal ein Jahr nach Gründung muss es schon zur Bundestagswahl antreten. Im Interview blickt die Parteichefin auf den Wahlkampf – und ihre Pläne mit dem BSW.
Sahra Wagenknecht entschuldigt sich, sie muss noch einmal kurz verschwinden. In Sitzungswochen reiht sich für die BSW-Chefin ein Termin an den nächsten. Stressige Tage, wenige Pausen. Sie ist das Gesicht der Partei, die nach ihr benannt ist – und damit das Aushängeschild.
Frau Wagenknecht, knapp zwei Jahre nach Ihrem "Manifest für den Frieden" haben Sie und
Sahra Wagenknecht: Zunächst einmal geht es darum, was die deutsche Regierung will. Sich ehrlich um eine diplomatische Lösung bemühen oder vor allem auf die militärische Karte setzen, auch um den Preis einer weiteren Eskalation. Letzteres halten die Unterzeichner des Appells für hochgefährlich, darunter viele bekannte Persönlichkeiten wie der Rockstar
Wir haben nach Russland gefragt.
Aus dem Kreml gab es immer wieder Signale der Verhandlungsbereitschaft. Nach dem Gespräch kürzlich mit
Gerade hat ein Kreml-Sprecher ein weiteres Mal klargemacht, dass Russland aktuell keinen Grund für Verhandlungen sieht. Also wie soll der Krieg enden?
Er kann nur auf dem Verhandlungsweg enden. Der Kreml hat nicht gesagt, dass Russland nicht verhandeln will. Sie haben die Vorbedingungen für Verhandlungen zurückgewiesen, die von westlicher Seite in der Regel formuliert werden.
Und zwar?
Dass sich Russland aus den ukrainischen Gebieten zurückzieht. Das kann vielleicht teilweise im Ergebnis von Verhandlungen erreicht werden, aber solange wir das zur Voraussetzung von Verhandlungen machen, wird es keine geben und das Sterben geht weiter. Was man auch nicht vergessen darf: China hat Einfluss auf Moskau. Deshalb spricht viel dafür, dass der brasilianisch-chinesische Plan ein gangbarer Weg zum Frieden wäre, wenn der Westen ihn unterstützen würde.
Dieser Frieden bedeutet: ukrainische Gebiete, die an Russland gefallen sind, bleiben von Russland womöglich für immer besetzt.
Militärisch wird die Ukraine diese Gebiete nicht zurückerobern. Im Gegenteil: Die Russen rücken vor. Trotz aller Waffenlieferungen ist die ukrainische Verhandlungsposition heute schlechter als zu Beginn des Krieges. Vor allem, weil ihr die Soldaten ausgehen. Als Lösung schlägt Joe Biden jetzt vor, die Ukraine soll doch schon 18-Jährige an die Front schicken. Geht's noch? Einige fordern auch, dass wir Bodentruppen in die Ukraine schicken. Das kann nur in einer Katastrophe enden.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat bereits klargestellt, dass keine Truppen in die Ukraine entsendet werden. Auch sonst gibt er aktuell den besonnenen Friedenskanzler. Haben Sie Sorge, dass die SPD Ihnen den Wahlkampfschlager Frieden wegnimmt?
Ich wünschte, wir hätten eine Bundesregierung, die alles dafür tut, diesen schrecklichen Krieg zu beenden und seine Ausweitung zu verhindern. Auf Olaf Scholz ist da kein Verlass. Er ist in der Frage der Waffenlieferungen immer wieder umgefallen. Scholz wird vor der Wahl keine Taurus-Raketen liefern und auch keinen Bodentruppen zustimmen.
Und danach?
Ob die SPD später als Juniorpartner einer Großen Koalition Herrn
Deutschlands Wirtschaft dümpelt vor sich hin. Wie wollen Sie den Standort wieder fit machen?
Wir müssen die Energiepreise senken. Wir haben den teuersten Strom in ganz Europa. Der wichtigste Grund ist, dass wir uns durch die Wirtschaftssanktionen von preiswerten Energieimporten abgeschnitten haben. Hinzu kommt, dass der Ausbau der Erneuerbaren in der aktuellen Form dem Klima wenig nützt, aber die Preise treibt. Überteuerte Energie ist tödlich für unsere Industrie und macht die Menschen arm.
Reicht das?
Außerdem brauchen wir ein großes Investitionsprogramm zur Erneuerung unserer Infrastruktur: Brücken, Straßen, Schienen, Schulgebäude – so viel ist marode. Es fehlen 800.000 Wohnungen, aber es wird kaum gebaut. Kommunale und gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften sollten zinsgünstige Kredite und Zuschüsse bekommen, wenn sie endlich wieder bauen, gerade in den Ballungsräumen.
Viele Unternehmen beklagen ein Übermaß an Bürokratie.
Ja, immer mehr Vorschriften und Auflagen sind ein Konjunkturprogramm für Beratungsunternehmen, aber sie würgen die produktive Tätigkeit ab. Wir sollten uns wieder auf das klassische Deutschland-Modell besinnen. Das ist vor allem ein starker industrieller Mittelstand. Unsere Hidden Champions, innovative Technologieführer, die ihre Gewinne großenteils reinvestieren. Hier werden gutbezahlte Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen. Und dazu gehört Bürokratieabbau.
Es gibt Ökonomen, die sagen: Die Deutschen arbeiten zu wenig.
Das stimmt so nicht. Es gibt heute mehr Beschäftigte und die geleisteten Arbeitsstunden sind insgesamt höher als je zuvor. Aktuell verändert sich das höchstens durch die wieder steigende Arbeitslosigkeit. Ein Problem ist, dass die Produktivität seit Jahren kaum noch steigt.
Was also tun?
Die Antwort darauf ist nicht die Rückkehr zur 45-Stunden Woche – sondern die steuerliche Begünstigung von Investitionen und die Belastung von Aktienrückkäufen und Gewinnausschüttungen. Und es muss mehr getan werden, um durch ein flächendeckendes Betreuungsangebot Frauen überhaupt zu ermöglichen, Vollzeit zu arbeiten.
Können Sie sich vorstellen, auch Industrie-Giganten wie Volkswagen mit Steuergeld zu helfen?
Die Krise bei Volkswagen hat das Management zu erheblichen Teilen selbst verschuldet. Der Konzern hat allein in den letzten drei Jahren 22 Milliarden Euro Dividende ausgeschüttet. Noch im Sommer gingen 4,5 Milliarden Euro an die Aktionäre. Und jetzt will man Standorte schließen und Löhne kürzen? Das ist zynisch. Bevor VW einen Euro Staatshilfe bekommt, sollte das Unternehmen sich verpflichten, für die nächsten fünf Jahre keine Dividende mehr auszuschütten, die Vorstandsgehälter halbieren und zumindest die letzte Dividende von seinen Großaktionären zurückfordern.
Der Wahlkampf läuft auf ein Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz hinaus. Wer wäre Ihnen als Kanzler lieber?
Dieses Duell ist eine Legende. Es geht eher darum, wer Vizekanzler von Herrn Merz wird. Da wäre mir Olaf Scholz zwar lieber als Robert Habeck, aber ein Aufbruch wäre das eine so wenig wie das andere. Die gescheiterte Ampel, aber auch 16 Jahre Unions-Regierung davor sind für die vielen Probleme verantwortlich, die den Menschen heute das Leben schwer machen. Viel zu wenige Ärzte, viel zu wenige Lehrer. Falsche Lehrpläne, die daran scheitern, allen Kindern auch nur halbwegs korrekt lesen, rechnen und schreiben beizubringen. Es braucht frischen Wind und einen politischen Neuanfang – kein "Weiter so" mit den gescheiterten Politikern der Vergangenheit.
Welche Rolle soll das BSW im Bundestag spielen: Protest- oder doch lieber Regierungspartei?
Protest gegen und Kritik an falscher Politik ist wichtig. Aber gut wäre es, wenn die Fehlentscheidungen durch eine neue Regierung korrigiert werden könnten. Dafür haben wir ein Kompetenzkabinett vorgeschlagen.
Also eine Art "Expertenregierung".
Es geht um integre Persönlichkeiten, die sich durch ihre Expertise und ihr Rückgrat empfehlen und nicht dadurch, dass sie sich in ihren Parteien mit ihren Ellenbogen ganz nach oben gearbeitet haben. Übrigens auch in unseren Landtagsfraktionen ist etwa die Hälfte Bürger, die bis zum Tag der Wahl noch keine Politiker waren. Im
Präsidium haben wir zwei erfolgreiche Unternehmer.
Allerdings ist das Land mit seinen Berufspolitikern bislang recht gut gefahren.
Finden Sie? In den zurückliegenden 20 Jahren hat sich das Leben der ärmeren Hälfte der Bevölkerung deutlich verschlechtert, auch die Mittelschicht hat jetzt große Abstiegsängste. Politische Entscheidungen wurden weniger von den Interessen der Mehrheit als von einflussreichen Lobbygruppen bestimmt. Deutschland droht der wirtschaftliche Abstieg, vieles funktioniert nicht mehr. In den nächsten Jahren entscheidet sich, ob wir ein führender Industriestaat bleiben. Dafür brauchen wir eine neue Politik mit durchdachten Konzepten.
Bleibt es dabei, dass sich das BSW nach der Bundestagswahl umbenennt?
Ja. Sobald wir mit einer starken Fraktion im Bundestag vertreten sind, haben wir auch die Chance, unsere Köpfe in ihrer Vielfalt bekannter zu machen. Das BSW ist keine Ein-Frau-Partei. Wir wollen die bundesdeutsche Politik verändern – auch dann noch, wenn ich irgendwann nicht mehr an der Spitze stehe.
Über die Gesprächspartnerin
- Sahra Wagenknecht wurde 1969 in Jena geboren und wuchs in der DDR auf. Sie trat im Sommer 1989 zunächst der SED bei, nach der Wiedervereinigung der PDS. In der späteren Linken war sie unter anderem stellvertretende Parteivorsitzende und Fraktionschefin im Bundestag. Wagenknecht überwarf sich mit ihrer Partei und ging schließlich eigene Wege: mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
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