Das war er also, der mit Hochspannung erwartete Wahlabend. Wie so oft, wenn hohe Erwartungen im Raum stehen: Man wird enttäuscht. Ernüchterung allerorts. Lange Gesichter in Serie. Vor allem im thüringischen Wahlkreis von Hans-Georg Maaßen. Der Vorzeige-Rechtsausleger aus Unionskreisen galt bis circa 18:00 Uhr am Sonntagabend noch als derartige Geheimwaffe, dass monatelang mehr über ihn philosophiert wurde als über die Klimakatastrophe.
Während sich die Unions-Obersten von Fettnäpfchen-Trüffelschwein
Ansonsten passiert allerdings eher wenig Spektakuläres. Gähnende Langeweile bei der Polit-Elite aus den Meinungs-Echokammern der einschlägigen Medien. Für Teilzeit-Politinteressierte, die sich alle Jubeljahre zu wichtigen Ereignissen mal einen halben Tag für Wahlergebnisse interessieren, gibt es allerdings ein paar sehr interessante Details:
Die CDU/CSU kommt stand 01:09 Uhr auf circa 24,1 Prozent, die SPD auf 25,80 Prozent. Dennoch sitzen in der so genannten "Elefantenrunde" bei ARD und ZDF mit Armin Laschet (Kanzlerkandidat) und Markus Söder (der Kanzlerkandidat der Herzen) ausgerechnet gleich zwei Vertreter des Parteien-Konglomerates "Union" am Diskussionstisch, die gemeinsam gerade fast neun Prozent Verlust-Punkte und das historisch schlechteste Ergebnis aller Zeiten eingefahren haben. Wie ist das möglich, fragt da der Amateur-Politologe zurecht.
Splitterpartei
Nun, die CDU tritt in Bayern nicht an, die CSU dafür nur dort. Zwei Parteien, eine Union. Für die nächste Bundestagswahl sollte die SPD sich die Option offenhalten, sich in S, P und D aufzuspalten. Mit dieser genialen Strategie hätten sich am Sonntagabend neben Olaf Scholz auch noch Lars Klingbeil und Saskia Esken in der "Elefantenrunde" einfinden und den Redeschwall von Laschet/Söder etwas eindämmen können. Beide sind in einem früheren Leben offensichtlich von Carsten Maschmeyer persönlich zu Star-Verkäufern wertloser Rentenpapiere geschult worden. Sie preisen ihre gigantische Wahl-Klatsche jedenfalls wort- und erfindungsreich als epischen Sieg an und rufen sich selbst zum einzig fähigen Regierungsführer aus.
Dafür benötigen sie allerdings einen Laschet, der mit
Aber wie sagt man so schön: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Jedenfalls, wenn man um alles in der Welt seine Macht konservieren möchte, obwohl die Wählerinnen und Wähler nach Maskenskandalen, Politikversagen, Comedy-Wahlkampf und kompletter Ideenlosigkeit beim Abwenden der Klimakatastrophe gerade eine deutliche Abmahnung geschrieben hatten.
Lach doch mal
Zu solch einem Rendezvous auf der Regierungsbank gehören aber natürlich auch immer zwei Seiten. Oder in der Konstellation des Wahlergebnisses von gestern sogar drei. Mit der FDP wird es keine größeren Baustellen geben. Einen
Auch wenn Annalena Baerbock während der "Elefantenrunde" stets einen Gesichtsausdruck pflegt, als hätte man ihr gerade das Pausenbrot geklaut, ist es zwar absolut nicht ausgeschlossen, dass auch ihr Drang nach einer Karriere als Ministerin und Vize-Kanzlerin größer ist als das Gewicht ihrer Parteibasis – aber schwer vorstellbar bleibt es dennoch.
Eine überwältigende Mehrheit der Grünen wünscht sich eine Ampel-Koalition. Für das sogenannte "Jamaica" kann sich kaum jemand erwärmen. Denn – Stichwort "erwärmen" – dass die von den Grünen propagierten radikalen Maßnahmen zur Eindämmung des menschengemachten Klimawandels sich ausgerechnet mit Lindners "da wird schon irgendwer was erfinden dagegen"-FDP und Laschets "Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man ja nicht seine Politik"-CDU auch nur Ansatzweise umsetzbar sind, das glauben nicht mal Leser von Michael Wendlers Telegram-Gruppe. Und die glauben sonst nur wirklich alles.
Der "Marie von den Benken"-Effekt
Ein Schwarz-Gelb-Grün-Bündnis wäre insofern eine Zerreißprobe für die ohnehin nicht als basisstabil geltenden Grünen. Für die FDP sowieso. Für die lustige One-Man-Partei aus dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus hatte Unterhemden-Model Christian Lindner ja schon vor vier Jahren inszeniert, dass er mit den Grünen am Ende keinen gemeinsamen Nenner finden konnte und mit den Worten "lieber nicht regieren als schlecht regieren" aus den Koalitionsverhandlungen fliehen konnte. Heute ist die Welt natürlich eine andere – andererseits haben die Grünen nochmals knapp 5,5 Prozentpunkte hinzugewonnen. Das schwächt ihre Position jetzt nicht automatisch.
Das von der Union und auch der AfD zum Todesstoß für Europa hochgejazzte Rot-Rot-Grün fällt als regierungsfähige Koalition aus. Dafür ist die Linke, die ihr Ergebnis im Vergleich zu 2017 annähernd halbiert hat, zu schwach. Wenn sie überhaupt in den Bundestag einzieht. Mit 4,9 Prozent (Stand 01:09 Uhr) ist das eher unwahrscheinlich. Es bliebe daher eigentlich nur noch Rot-Grün-Gelb. Eine Ampel.
Als ich im Mai 2020 Genossin wurde, lag die SPD bei 14 Prozent und die CDU bei 34 Prozent. Satte 20 Prozentpunkte Vorsprung. Heute, 16 Monate und den in die Geschichtsbücher eingehenden "Marie von den Benken-Effekt" später, steht die SPD bei 26 Prozent und die CDU bei 24,2 Prozent. Die CDU hat in der entscheidenden Wahlkampf-Phase rund 20 Prozent verloren. Noch größere Wahlverlierer als die Union sind eigentlich nur noch die konservativen Hauptstadt-Medien, die in einem Exzess der Selbstaufgabe die vergangenen Wochen rund um die Uhr versucht haben, Armin Laschet zum Wahlsieg zu pushen. Dieses gleichsam intellektuell trostlose wie journalistisch beschämende Unterfangen scheitert spektakulärer als Napoleon in Waterloo.
Kompetenzalarm im TV-Studio
Wenigstens jedoch die "BILD", inzwischen statt einer in Rekordzeit an Auflage verlierenden Tageszeitung ein in Rekordzeit scheiternder Fernsehsender, hat am Wahlabend im Kampf um die Quote einige sensationelle Trümpfe im Ärmel. So findet sich Deutschlands Politik-Experten-Elite nicht etwa bei Anne Will oder Maybrit Illner, den Tagesthemen oder Markus Lanz ein. Nein. Das ganz oberste Regal der politischen Analyse-Belle-Etage stand bei BILD TV: Thomas Gottschalk, Katharina Witt und Heino. Solange man solche Koryphäen des seriösen Politik-Journalismus im Studio hat, muss man sich um Einschaltquoten natürlich keine Sorgen machen. Also, jedenfalls, wenn zumindest genug Menschen einschalten, um überhaupt im Quoten-Mess-System erfasst werden zu können.
Das ist aber noch nicht die letzte Erfolgsmeldung des Wahlabends. Es gibt noch eine Reihe kleiner Bonmots. Der vermutlich umstrittenste Politiker des Jahres, Karl Lauterbach, holt sein Direktmandat in Köln mit annähernd 50 Prozent der Stimmen. Julia Klöckner dagegen verliert ihren Wahlkreis. In München holt erstmals eine Grüne Kandidatin ein Direktmandat aus Bayern. Und dadurch, dass die FDP zu den Königsmachern der neuen Legislaturperiode gehört, scheint der Einzug von Friedrich Merz ins Finanzministerium nahezu ausgeschlossen. Das Zukunftsteam von Armin Laschet ist also bereits zerfleddert, noch bevor überhaupt irgendjemand am Koalitionstisch Platz genommen hat. Das werden spannende Wochen. Ich bleibe für Sie dran!
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