Eine Bilderbuchwoche für Freunde der einzigartigen Faszination aus der Symbiose zwischen der schönsten Nebensache der Welt und clickbaitaffinem Boulevard-Gossip liegt hinter uns. In den vergangenen Tagen hielt nichts die Nation so sehr in Erregung, wie der Transfer von Londons fünftbestem Stürmer Harry Kane zu Deutschlands erstbestem Rekordmeister, dem FC Bayern München.
Endlich wieder ein Hauch guter, alter FC Hollywood-Zeiten, als sich
Tagelang hielten uns selbsternannte Twitter-Experten, Teilzeit-Sportreporter, Handy-Stalker an der Säbener Straße, Flight-Radar-Apps der Privatflüge zwischen London und München sowie die Klatschpresse in Atem. Kommt er? Kommt er nicht? Kennt er die Bilder der knutschenden Effenbergs? Die Euphorie schien grenzenlos – und wurde belohnt: Harry Kane ist da! Der FC Bayern hat um die 120 Millionen Euro, plus Handgeld, plus Beraterfee, plus fürstliches Gehalt in den 30-jährigen Kapitän der Englischen Nationalelf investiert, der mit der Empfehlung von null nationalen und null internationalen Titeln von der Themse an die Isar wechselt.
Wenn man so will, hat selbst
Der Daniel Craig des Profi-Fußballs
Als Persönlichkeit, da ist man sich unter Experten sicher, wird Kane der gesamten Bundesliga neue Strahlkraft einhauchen. Fans von weitestgehend traditionslosen Retortenvereinen wie Hoffenheim, Leipzig oder Wolfsburg sowie Fans von fußballromantischen Kamikazevereinen wie dem FC Schalke 04 hingegen befürchten, der FC Bayern stünde mit Kane ab jetzt jeweils bereits im Februar als Meister fest – womit der Bundesliga genau das Gegenteil droht: Totale Bedeutungslosigkeit durch totale Langeweile.
Das kann Harry Kane aber egal sein. Er hat nicht erstmals England und die Spurs verlassen, um sich zu rechtfertigen, mit hässlichen Handschuhen und drei langen Unterhemden bekleidet bei minus zwölf Grad an einem trostlosen Freitagabend im Schneegestöber eines erbärmlichen Grottenkicks in der Voith-Arena dem 1. FC Heidenheim fünf Abstauber-Tore in den Winkel zu hämmern, nachdem sich Serge Gnabry selbst einen Knoten in die Beine gefummelt hatte.
Egal, ob der potenzielle FC-Bayern-Jäger Borussia Dortmund nun mit 30 Punkten Rückstand Vizemeister wird oder Felix Passlack Harry Kane am fünften Spieltag im Heimspiel gegen den VfL Bochum mit einer zwölf Meter eingeflogenen Blutgrätsche für den Rest der Saison aus dem Bundesliga-Rennen flext: Harry Kane wird stets ein Gentleman-Fußballstar bleiben. Er sieht auf dem Platz immer ein bisschen so aus, als wäre er nur versehentlich Fußballer geworden.
Ich persönlich bin ohnehin überzeugt, Kane wollte eigentlich James Bond werden. Und dann hat er halt kurz nicht so richtig aufgepasst, als man ihm sagte: In dem Job wird scharf geschossen, man muss sich hinter die Verteidigungslinien der Gegner schmuggeln, damit seinem Land dienen und im Strafraum geht es immer heiß her. Außerdem gibt es viel Geld, dicke Autos und viele hübsche Frauen. Augen auf bei der Berufswahl sage ich da, denn zack: Statt der Lizenz zu Töten gibt es plötzlich Autogrammstunden mit hysterischen Daytripper-Urlaubern aus Japan, die dich für den erwachsen gewordenen Jungen aus "The Sixth Sense" halten. Und statt lauschigen Agenten-Talks mit M wird man plötzlich in der Halbzeit von José Mourinho angeschrien, warum man sich mehr um seine Frisur als um den Torabschluss kümmert. Naja.
Der Harry-Kane-Live-Ticker-Plus
Die tagelangen Live-Ticker, die jede Bewegung von Harry Kane minutiös in die mobilen Endgeräte frontaleuphorisierter Bayern-Fans transportierten, sind inzwischen verstummt. Das liegt nicht an nachgelassenem Interesse. Im Gegenteil. Die Journaille des Landes hat halt einfach nur nicht den absoluten Insider-Zugang zu Harry Kane, den ich habe. Als Deutschlands fussballkompetenteste Twitter-Legende durfte ich Kane an seinem ersten Tag in München exklusiv begleiten. Hier der Live-Ticker vom Samstag:
- 07:32 Uhr:
Kane wacht im "Vier Jahreszeiten" an der Maximilianstraße auf. Der Zimmerservice hat kein verbranntes Rührei mit Bacon. Kane ruft empört
- 08:04 Uhr:
Kane hat mit Hilfe von Google Translate das meiste der Aussagen von Hoeneß ins Englische übersetzen können. Er ist schockiert. Nürnberger Würste? Niemals. Wenn er sich übergeben möchte, schaut er sich eine Rede vom AfD-Parteitag an.
- 08:11 Uhr:
Kane ruft seinen Manager an und fragt, ob er das Angebot von PSG noch mal sehen kann.
- 08:56 Uhr:
Kane googelt "british breakfast near me" und findet The Victorian House in der Frauenstraße. Weil er Feminist ist (und hungrig), will er hin. Als er auf die Straße tritt, erwarten ihn knapp 350 Fans und ein Hobby-Journalist von der "Bild", der "God Save the King" auf seiner Blockflöte spielt. Auch
- 10:19 Uhr:
Kane hat sich verlaufen. Er ruft seinen Agenten an und beschwert sich, dass Barcelona so unübersichtlich ist. Sein Agent ist irritiert und erklärt, er sei in München. Kane ist verwirrt. Er sagt, das könne nicht sein, er habe doch gerade beim FCB unterschrieben. Abrupt hat der Agent zufällig keinen Empfang mehr. Das Gespräch bricht ab.
- 10:58 Uhr:
In der Weinstraße entdeckt Kane einen FC-Bayern-Fanshop. Auf dem Platz davor ist eine Hüpfburg aufgebaut. Bei genauerem Hinsehen bemerkt Kane, dass es sich wohl doch um ein altes Originaltrikot von Niclas Süle handelt.
- 13:08 Uhr:
Nach mehr als zwei Stunden Wartezeit in der Fanschlange hält Kane endlich sein Kane-Trikot in den Händen. Mit Stutzen, Beflockung und Hose knapp 260 Euro. "Auch nicht teurer als ein Liter Super unter Robert Habeck" scherzt Kane. Wie aus dem Nichts steht plötzlich Markus Söder neben ihm. Die 23 Hof-Fotografen des bayrischen Ministerpräsidenten inszenieren kurz ein paar authentische, nicht gestellte Buddy-Fotos mit Kane.
- 13:12 Uhr:
Kane schreibt seiner Frau, er hätte gerade wahrscheinlich den Bürgermeister von Barcelona kennen gelernt.
- 13:36 Uhr:
- 16:48 Uhr:
Kane bekommt ein schlechtes Gewissen, seine neuen Mannschaftskollegen im Stich zu lassen und fliegt per Privatjet wieder zurück nach München. Auf dem Flug lernt er die Namen seiner neuen Team-Kameraden auswendig. Besonders lachen muss er bei "Benjamin Pervert" und "Kingsley Cum-Man".
- 18:51 Uhr:
Mit der CO2 Bilanz eines Chinesischen Kohlekraftwerks kommt er im Stadion an.
- 22:05 Uhr:
Tuchel wechselt Kane in der 63. Spielminute ein. Da steht es bereits 2:0 für Leipzig. Kane wirkt genervt. Wenn er jedes wichtige Spiel verlieren wollen würde, hätte er auch in Tottenham bleiben können.
- 22:41 Uhr:
Bayern verliert am Ende 0:3. Noch auf dem Platz erklärt ihm Dani Olmo, dass der FC Bayern in Heimspielen gegen Leipzig unter Tuchel traditionell drei Buden fängt.
- 00:43 Uhr:
Kane ist zurück im Hotel. Er ist enttäuscht. Er hätte mit dem FC Bayern in 24 Stunden mehr Titel gewinnen können als in 19 Jahren mit Tottenham. Er googelt den nächsten Gegner und stellt fest, dass der Kader von Werder Bremen insgesamt etwa halb so viel wert ist wie seine Ablösesumme. Mit dem verwirrenden Gedanken, wie viele Tore er dann am Freitag schießen muss, um das auszugleichen, schläft er ein.
Was für ein Tag! Bis nächste Woche!
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