Väter im Gefängnis: Wenn Väter ins Gefängnis müssen, ist das für sie und ihre Kinder eine große Belastung.

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Wie die Inhaftierten damit umgehen, haben zwei Wissenschaftlerinnen untersucht. Dabei stellten sie auch fest, dass sich im Strafvollzug etwas verändert hat.

Die Aussicht, plötzlich eingesperrt zu sein, fern der eigenen Tochter, schien unerträglich. "Was denkt meine Kleine von mir?" Ein Gefühl, das den Kopf "explodieren" ließ. So beschreibt ein inhaftierter Vater Scham und Schuldgefühle und auch den Grund, warum er sich zunächst der Untersuchungshaft entzog.

Wie gehen Männer im Gefängnis mit ihrem Vatersein um, was bedeutet es für sie, Kinder zu haben, welche Konflikte, aber auch Chancen sind damit verbunden? Fragen, denen die Professorinnen Susanne Gerner von der Evangelischen Hochschule Darmstadt und Anke Neuber von der Hochschule Hannover in einem gemeinsamen Forschungsprojekt seit 2022 nachgehen.

In dieser Zeit haben sie in zwei Bundesländern 18 Inhaftierte in drei Justizvollzugsanstalten interviewt, darunter viele, die eine lange oder gar lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen. Sie alle haben kleine Kinder oder solche im Teenageralter, manche sogar schon Enkel.

Vater-Sein zu selten beleuchtet

Während Müttern in Haft und Kindern von Inhaftierten eher Aufmerksamkeit geschenkt wird, "ist Vaterschaft im Strafvollzug ein bisher weitgehend unerforschtes Thema", sagt Gerner, die im Fachbereich Soziale Arbeit der Evangelischen Hochschule lehrt. Das überrascht, schließlich sind laut jüngsten Zahlen 96 Prozent der Inhaftierten in Deutschland Männer.

Allerdings fehlten offiziellen Angaben, wie viele von ihnen soziale beziehungsweise leibliche Väter seien, so die Forscherinnen. Neuber ist Soziologin, Gerner auf Theorie und Methodik in der Sozialen Arbeit fokussiert. Seit rund 20 Jahren forschen sie immer wieder gemeinsam.

Neuber befasst sich seit Studium und Promotion mit Themen aus dem Strafvollzug wie etwa Sicherheitsverwahrung, Sterben hinter Gittern oder der Situation von inhaftierten Transpersonen. Ihre Darmstädter Kollegin unterhält Kontakte zu Beratungsstellen, die Angehörige von Inhaftierten betreuen. Aus dieser Schnittmenge entstand das aktuelle Projekt.

Viele Väter erklären sich bereit

Schwierigkeiten, Interviewpartner zu finden, hatten die Wissenschaftlerinnen nicht. Nach der Genehmigung des Forschungsvorhabens durch die kriminologischen Dienste der Länder und Anfragen bei Haftanstalten sowie Fachdiensten meldeten sich viele inhaftierte Väter für ein Gespräch. "Die meisten waren froh, dass jemand von außen kommt, sich für sie interessiert und zuhört", sagt Gerner.

Zumeist waren es Väter von kleinen Kindern oder Jugendlichen. Die Forscherinnen betonen aber, dass ihre Anfrage offen angelegt gewesen sei, "weil jedes Alter unterschiedliche Erfahrungen und Herausforderungen birgt". Nicht abgefragt haben sie den Grund für die Haftstrafe, "weil es sonst das Gespräch von Beginn an verändert hätte, so Neuber. "Die Vaterschaft sollte im Vordergrund stehen."

Die meisten berichteten jedoch selbst, weswegen sie einsaßen. "Täter- und Vaterschaft sind ein großes Thema für den Umgang mit den Kindern", berichtet Gerner. "Wie erkläre ich meinem Kind den Grund für meine Haft?" Eine wichtige, mit viel Scham besetzte Frage. Und schließlich macht es auch einen Unterschied, ob Väter fünf Jahre im Gefängnis sind oder lebenslang.

"Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit"

Insgesamt, erklären die Forscherinnen, werde Vaterschaft im Strafvollzug als eine "doppelte Bewährungssituation" empfunden. Wie komme ich durch die Haft und wie kann ich den sozialen Erwartungen als Vater entsprechen? Die Inhaftierung beschreiben die Interviewten durchgängig als "schmerz- und krisenhafte Erfahrung, die mit Gefühlen der Ohnmacht und Hilflosigkeit einhergeht".

Gleichzeitig halten sie das Leben im Gefängnis mit der Vaterschaft und den damit verbundenen gesellschaftlichen Normen für schwer vereinbar. Telefonate und Besuche der Kinder werden zum Teil als anstrengend geschildert, weil die Inhaftierten in der Gefängniswelt ihre Gefühle blockieren, diese im Kontakt mit den Kindern aber wieder zulassen müssen, sich emotional "entblockieren müssen", wie ein Vater es beschreibt.

Gedanken an die Kinder würden oft als zermürbend und übermächtig geschildert, so die Forscherinnen. Gleichzeitig gibt es eine große Distanz zum Nachwuchs, weil man ihn nicht aufwachsen sieht.

Zwischen zwei Welten

Die meisten telefonieren, schreiben Briefe an ihre Töchter und Söhne; seit der Pandemie sind auch Videoanrufe häufiger. In der Regel sind zwei Stunden Kinderbesuch im Monat erlaubt. "Familienorientierung hat im Strafvollzug Einzug gehalten", berichtet Neuber. Wobei der Wunsch nach gelebter Elternschaft immer auch im Spannungsfeld mit der Sicherheit stehe.

Es gebe jedoch viele Bemühungen wie Vater-Kind-Veranstaltungen, Familiennachmittage, Besuchsräume mit Spielzeug und kindgerechten Büchern, die von Müttern und Vätern in Haft handelten. Kinder und Familie, das haben Studien ergeben, erhöhen die Chance auf gesellschaftliche Reintegration und senken die Rückfallquote. "Ich will unbedingt raus zu meinem Kind. Ich werde mir hier nichts zuschulden kommen lassen", so ein Zitat aus den Interviews.

Manche Väter wollen aber auch keinen Besuch. Sie möchten nicht, dass ihre Kinder erfahren, dass sie in Haft sitzen. In manchen Familien ist der Vater deshalb "auf Montage" oder "lebt im Ausland". Bei Ausgängen aus der Haftanstalt werden die begleitenden Vollzugsbeamten den Kindern manchmal als "Arbeitskollegen" vorgestellt.

Kinder und Familie, berichten Interviewte, bedeuteten "Schwäche und Verletzlichkeit, die im Gefängnis nicht sichtbar werden darf". Sie ziehen eine bewusste Grenze zwischen Privatsphäre und Gefängnisumgebung, weil sie ihre Familie und sich selbst schützen wollen.

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Bis Ende 2025 wollen die Forscherinnen die Interviews analysieren und interpretieren. "Wir schauen hinter die Aussagen", so Gerner. Im Strafvollzug seien sie einem Querschnitt der Gesellschaft begegnet, und Phänomene würden "wie unter einem Brennglas" sichtbar. Sie wollen die Perspektive inhaftierter Väter zeigen, ohne jedoch Handlungsempfehlungen abzugeben. Das Interesse an ihrem Projekt jedenfalls ist, wie sie sagen, bundesweit und auch in den Haftanstalten selbst schon groß.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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