Kunst: Bescherung, Plätzchen, Spaziergang – und dann? Wir haben da einen Vorschlag: Verlegen Sie rund um die Feiertage Ihren Spaziergang doch mal in die Kunstgeschichte.
Unsere Autoren sind auf den Spuren von Weihnachten, stiller Zeit und winterlicher Einkehr durch drei Museen der Region gezogen. Folgen Sie ihren Rundgängen durch Mittelalter, Barock und Moderne., Bescherung, Plätzchen, Spaziergang – und dann? Wir haben da einen Vorschlag: Verlegen Sie rund um die Feiertage Ihren Spaziergang doch mal in die Kunstgeschichte. Unsere Autoren sind auf den Spuren von Weihnachten, stiller Zeit und winterlicher Einkehr durch drei Museen der Region gezogen. Folgen Sie ihren Rundgängen durch Mittelalter, Barock und Moderne.
Im abstrakten Schneegestöber
Im Museum Wiesbaden kann einem auch vor weißen Monochromien weihnachtlich warm ums Herz werden.
Im Museum Wiesbaden hat sich die Heilige Familie zurückgezogen. Bis Ende Januar bleibt dort die altmeisterliche Sammlung geschlossen. Es wird renoviert. Indes gehören traditionelle weihnachtsgeschichtliche Darstellungen mit Krippe, Ochs und Esel ohnehin nicht zu der religiösen Malerei, die in einem Raum auf der zweiten Etage des Hauses Platz finden. Dafür macht Robert Ryman schon im Erdgeschoss ein abstraktes Angebot, sich durch Kunstbetrachtung auf die Feiertage einzustimmen.
Vor den drei Bildern des 1930 geborenen Amerikaners, denen man bald nach Betreten der Dauerausstellung begegnet, könnte man eventuell enttäuschte Hoffnungen auf die viel zitierte und besungene weiße Weihnacht kompensieren: kleine quadratische Leinwände, deren Oberfläche mit nichts als weißer Ölfarbe bemalt ist.
Seit den Sechzigerjahren hat Ryman sich ausschließlich mit der vermeintlichen Nichtfarbe Weiß auseinandergesetzt. So gleichen sich die drei Wiesbadener Monochromien nicht etwa wie ein Ei dem anderen. Deutlicher als die geringen Größenunterschiede fällt die Vielfalt der reliefartigen Strukturen auf der pastosen Farbschicht ins Auge, welche die Oberfläche der Bilder in Bewegung versetzt. Der Künstler, der 2019 gestorben ist, wollte seine ungegenständlichen Kompositionen freilich nicht als Metapher verstanden wissen. Weiß steht in seinem Werk für sich allein und weist damit über das Objekthafte des Werks hinaus. Saisonal konditionierte Gemüter kann dies aber nicht davon abhalten, aus waagrechten Furchen die Spuren von Autoreifen auf einer festgefahrenen Schneedecke herauszulesen oder beim Anblick eines mit winzigen Adern, Graten und Hügeln übersäten Bildgrundes eine Winterlandschaft oder Schneegestöber zu assoziieren. Wer Peter Høegs Roman "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" kennt und daher weiß, dass die Inuit 40 Begriffe für Schnee kennen, fühlt sich vor Rymans Bildern auch daran erinnert.
Nicht weit davon entfernt zeigt Christus dann aber doch sein Gesicht. Auf einem nur knapp 40 Zentimeter hohen Karton nämlich, der Alexej von Jawlensky 1917 als Bildgrund diente. Darauf zu sehen ist ein menschlicher Kopf mit sehr großen Augen sowie einer senkrechten und einer waagrechten Linie anstelle von Mund und Nase: eine frühe, in Pastelltönen gehaltene Version aus der Reihe der "Heilandsgesichter". Der Titel: "Erwartung". Auf ihre Wesensmerkmale reduziert erscheinen auch die Attribute: Senkrechte Wellenlinien neben beiden Wangen sowie wenige, verschiedenfarbige Pinselschwünge auf der Stirn deuten Dornenkrone und auf die Schulter fallende Locken an. Das kleine Ölgemälde markiert eine Zäsur in Jawlenskys Werk. Nach den Bildnissen, die unter anderem seine Frauen, "Nikita" oder auch ihn selbst darstellen, malt er nun keine Individuen mehr, sondern bringt das Menschliche an sich mit beinahe religiöser Ehrfurcht zum Ausdruck.
Während sich das Jawlensky-Werk schon seit 1964 im Museum befindet, kam ein älteres christliches Motiv erst 2019 mit der Sammlung Neess dorthin. Folgerichtig begegnet man ihm in der aus Anlass der Schenkung im ersten Stock eingerichteten Jugendstilabteilung. Den größten Teil eines so virtuos wie ein Gemälde ausgeführten Aquarells, das der deutsch-schweizerische Künstler Carlos Schwabe 1898 geschaffen hat, nimmt eine Landschaft in nächtlichem Blau und winterlichem Weiß ein. Ein von einer Art Zaun aus Lilien bestandenes Ufer schwingt sich in harmonischer Rundung über das bogenförmig abgeschlossene Hochformat wie ein Ornament. Darüber erleuchten Maria und das Jesuskind das Halbrund des oberen Bildrandes, als seien sie vom Himmel herabgeschwebt oder auch auf dem Weg dorthin. Und den Menschen ein Wohlgefallen.
Landesmuseum Wiesbaden, Heiligabend und 25. Dezember sowie 1. Januar geschlossen, 26. Dezember und weitere Tage 10 bis 17 Uhr
Das Glück der Grafik und hohe Hirten
Schätze aus dem Besitz des Stifters leiten die Besucher von Johannes dem Täufer und einem Jesuskind, das lesen lernt, bis zur Anbetung der Hirten: Ein Rundgang durch das Städel Museum.
Das Städel Museum macht es uns in diesen Advents- und Weihnachtstagen wirklich leicht. Kaum hat man sein Ticket gekauft und wendet sich nach links, tut sich im Ausstellungssaal der Graphischen Sammlung ein wahrer Schatz auf. Eine Einladung zum ganz genauen Hinsehen und Versenken, die unbedingt in ein Jauchzen und Frohlocken münden wird. Erst recht, wenn man danach die Stufen ins Obergeschoss nimmt, um den Alten Meistern einen Besuch abzustatten.
Zuvor aber kann man seine Kenntnisse der Evangelien-Geschichte von Mariä Verkündigung bis zur Flucht nach Ägypten aufpolieren, mitsamt allerlei kuriosen Nebenstrecken. Denn wer hätte vermutet, dass Maria dem kleinen Jesusknaben, der noch kaum im Kita-Alter zu sein scheint, schon das Lesen beibringt?
Das erstaunliche Blatt ist im hinteren Teil der Ausstellung "Fantasie und Leidenschaft" mit barocker Grafik zu sehen, eine Federzeichnung, die Carlo Maratti um 1650 geschaffen hat. Mit einem greisenhaften Josef im Hintergrund und einer gelassenen, jungen Maria, die in das aufgeschlagene Buch des Kindes deutet. Bevor man aber auf das wie hingeworfen wirkende, etwas unruhige Blatt stößt, kann man ganz vorn beginnen.
Gleich linker Hand im ersten Seitenflügel der Grafik-Ausstellung hängt das einzige Blatt einer Künstlerin, das nun ausgestellt ist. Überhaupt ist Elisabetta Sirani eine der wenigen barocken Zeichenkünstlerinnen, die das Städel Museum in seinem Bestand hat. Eine weitere Madonna mit Kind und ein ihr zugeschriebenes Blatt gibt es noch, und es lohnt sich, wieder einmal daran zu denken, dass man sich einzelne grafische Werke der Sammlung im Studiensaal zeigen lassen kann.
Nun aber hat es Siranis Jesus-Vorgeschichte in die Sonderausstellung geschafft, um 1657 schuf sie "Johannes der Täufer predigt in der Wüste", die eher eine Wildnis mit Berg und Wasser ist – sonst käme nicht einer der Zuhörer mit dem Boot herangefahren. Dass Johannes, der Vorausgänger, eine Botschaft der Befreiung mit sich bringt, ist deutlich zu sehen an dem Personal, dessen Hoffnung er weckt. Wohin das führt? Geradewegs weiter zu einigen Abbildungen der Heiligen Familie, unter anderem Simone Cantarinis, der in den Jahren um 1640 emotional dichte, intime Familienszenen gezeichnet hat. Von gegenüber schweben Guercinos Rötel-Amoretten heran und machen Raffaels sixtinischen Putten Konkurrenz.
All diese Zeichnungen stammen direkt aus dem Urbestand des Städel Museums, sie spiegeln den Geschmack des Stifters Johann Friedrich Städel, dessen riesige Kollektionen nach seinem Tod 1816 den Grundstock des Museums bildeten. Wie dicht an dicht seine rund 500 Gemälde einst hingen, kann man im Oktogon nachempfinden, dem ersten Raum der Alten Meister. Dort sind Bilder des Stifters ähnlich wie in seinem Haus am Roßmarkt gehängt. Was leider auch zur Folge hat, dass man ganz in die vordere linke Ecke des Raums gehen muss, um ohne Spiegelung gegenüber die zuoberst gehängte "Anbetung der Hirten" von Jacob Jordaens aus dem Jahr 1653 zu entdecken. Die hinreißenden Details der staunenden volkstümlichen Baby-Besucher kann man sich heranzoomen, wenn man wieder zu Hause ist – in der Digitalen Sammlung des Museums.
Wer rechts weitergeht, findet nicht nur den berühmten Altenberger Altar des rheinischen Meisters, der um 1330 für das Kloster Altenberg bei Wetzlar entstand und Stationen aus dem Leben Mariens zeigt. Er hat auch ein Eckchen übrig für die heilige Elisabeth von Thüringen. Und für Ochs und Esel, die sich sehr einig zu sein scheinen hinter ihrer Futterkrippe. Gleich rechts davon ist ein weiteres der spektakulärsten Stücke der Städel-Sammlung zu sehen. Der "Torgauer Altar" von Lucas Cranach dem Älteren vereinte 1509 so geschickt Motive aus dem Familienleben Jesu mit einer Verbeugung vor den Auftraggebern des Hofmalers, dass man nur staunen kann. In die Rollen der biblischen Väter und Großväter schlüpfen Kaiser Maximilian und die kursächsischen fürstlichen Brüder Friedrich der Weise und Johann der Beständige, während das Jesuskind zwischen Maria und Anna hin- und herzuzappeln scheint.
Und diejenigen, die später die Gefährten, Vorboten und Nachfolger des erwachsenen Jesus werden sollen, Johannes, Jakobus, tollen auf diesem Bild der "heiligen Sippe" als Kinder umher, ausgelassen mit Granatäpfeln spielend, lesend, an die Mutter gekuschelt, die mit einem elfenbeinernen Kamm die Locken des Knaben kämmt. Ein Bild wie ein Bilderbuch. So heiter können Heilige sein.
Städel Museum Frankfurt, Heiligabend geschlossen, 25. und 26. Dezember 10 bis 18 Uhr, Silvester geschlossen, 1. Januar 10 bis 18 Uhr. Montags geschlossen, am 6. Januar geöffnet
"Ich verkündige euch große Freude"
Josef kocht dem Jesuskind sein Breichen, Maria lächelt mütterlich: Weihnachten im Landesmuseum Darmstadt.
Der Weg zur Krippe führt über die Wetterau. Zugegeben, man könnte auch am Mittelrhein beginnen, wo zahlreiche dieser Bilder entstanden sind, der "Große Friedberger Altar" zum Beispiel, aber auch der um 1520 aus Lindenholz gearbeitete "Johannes der Täufer" mit dem Lamm Gottes in der Hand. Oder mit dem "Darmstädter Christuskindchen", das im Umkreis von Michel Erhart geschaffen wurde, also im Schwäbischen. Oder am Ende gar in Köln, von wo aus über die Sammlung des Barons von Hüpsch zwei Hauptwerke der Darmstädter Altmeistersammlung in die damals noch landgräfliche Schatzkammer gelangten, aus der später das Landesmuseum hervorging.
Wenn man sich auf dem Weg in die Gemäldegalerie des Hauses von der großen Halle nach links wendet, dem "Romanischen Gang" mit seinen Glasmalereien aus dem 14. Jahrhundert folgt und zunächst die sogenannte "Gotische Kapelle" durchquert, lässt sich trotzdem schwerlich übersehen, dass zahlreiche Prunkstücke vor allem aus dem 15. Jahrhundert einst die Gotteshäuser der großherzoglichen Besitzungen in der Wetterau zierten. Arbeiten wie der schlicht herrliche, um 1430 um eine gotische Marienfigur herum entstandene "Kleine Friedberger Altar" aus der dortigen Liebfrauenkirche zum Beispiel, Nikolaus Schits Nieder-Erlenbacher Altar aber auch und der einst vermutlich für ein Prämonstratenserinnen-Kloster entstandene, reich mit Blatt- und Zwischgold geschmückte "Ortenberger Altar", auf dessen Mitteltafel kaum zufällig die Heilige Sippe, also die Frauen um Maria und ihre Mutter Anna, auf der Paradieswiese zu sehen sind. Ohnehin müssen wir uns vor den alten Meistern eingestehen, dass unsere Kenntnisse der Bibel und der Evangelien auch schon einmal besser waren. Doch hier kann man sie auffrischen, und das auf eine Weise, die den Betrachter immer wieder sprachlos macht. Und staunen. Waren doch die Kunst und die kunstvoll gestalteten Altäre vor 500 oder 700 Jahren gerade dazu da: den Ungebildeten, Leseunkundigen die Heilsgeschichte in Bildern zu erzählen.
Das übernimmt für uns nun dankenswerterweise Sammlungsleiter Thomas Foerster, der den Besuchern die Weihnachtsgeschichte in der Adventszeit seit vielen Jahren entlang der altmeisterlichen Gemälde näherbringt. Denn um Bildgeschichten handelt es sich bei Lichte besehen hier wie dort. Beim Ortenberger Retabel ebenso wie beim "Kleinen Friedberger Altar", der die Geschichte von Jesu Geburt von der Verkündigung und Heimsuchung über die Krippenszene mit dem Brei kochenden Josef schildert und dazu von den Hirten auf dem Felde ("Ich verkündige euch große Freude") und der Darbringung im Tempel ebenso erzählt wie von der Flucht nach Ägypten. Was zu entschlüsseln meist nicht schwerfällt, wenn man die Heilige Schrift nur ein wenig kennt.
Für manche Tafeln der Gemäldesammlung gilt das nicht in gleichem Maße. Zahlreiche der kostbarsten Tableaus, etwa die Heilige Familie vom Meister der Darmstädter Wurzel Jesse oder Stefan Lochners gleichfalls über die Sammlung Baron von Hüpsch nach Hessen gelangte "Darbringung im Tempel", waren einst Teil prachtvoller Altäre, deren Seitenflügel verloren gingen oder, wie bei der Darmstädter Wurzel Jesse, gespalten wurden.
Zurück in der "Gotischen Kapelle", sucht man eines der berühmtesten Stücke, das einst in der Weihnachtszeit auf einem Altar stehende "Darmstädter Christuskindchen", zunächst vergeblich. Die Ende des 15. Jahrhunderts entstandene Skulptur aus Lindenholz ist derzeit Teil der im Dialog mit der Sammlung entwickelten Sonderausstellung von Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata im Großen Saal des Museums.
Als Ersatz ist, nach vielen Jahren im Depot, erstmals wieder die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandene "Geburt Christi" zu sehen: eine Elfenbeinschnitzerei mit Maria, dem Kind sowie Ochs und Esel auf kleinstem Raum, deren Zauber man sich nicht entziehen kann. Näher als mit diesem von der Mutter gehaltenen Kind kann man dem Mensch gewordenen Erlöser nicht kommen. Und Maria hat man womöglich niemals auf diese mütterliche Weise lächeln sehen. Erschöpft, mag sein, vor allem aber glücklich. Und ja, doch, anders lässt es sich nicht sagen: ganz und gar beseelt.
Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Heiligabend und Silvester geschlossen, montags geschlossen, 25. und 26. Dezember sowie 1. Januar 11 bis 17 Uhr © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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