Im gefühlt zehnten Ampel-Krisen-Talk der letzten zwei Jahre betonten die Gäste bei Maybrit Illner, wie wichtig eine Lösung in der Migrationspolitik ist. Eine Journalistin sagte, die Debatte könnte besonders für die Grünen noch sehr unangenehm werden. Derweil schoss der NRW-Ministerpräsident gegen einen Parteifreund.
Das war das Thema
Nach den überwiegend desaströsen Ergebnisse der Ampel-Parteien bei den drei Landtagwahlen im Osten steht die Koalition auf Bundesebene einmal mehr vor großen Herausforderungen. FDP-Chef
Vor allem das Thema Migration schreit nach einer Lösung, sollen die Umfragewarte für die AfD gedrückt werden. Aber ist die Ampel dazu noch in der Lage oder schmeißen die Partner doch frühzeitig hin? Das Thema bei Maybrit Illner: "Abgestraft und angezählt – kann die Ampel noch regieren?"
Das waren die Gäste
Hendrik Wüst : Für den CDU-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen hat die Bundesregierung jetzt nur noch zwei Möglichkeiten: "Die Ampel muss regieren oder sie muss das Regieren einstellen". Für Wüst geht es vor allem darum, das Thema Migration abzuräumen, um die AfD wieder "runter zu kriegen". Als beispielhaft nannte der Regierungschef einer schwarz-grünen Koalition das kürzlich beschlossene Sicherheitspaket in NRW. Diese Kompromissbereitschaft wünscht er sich auch von den Bundes-Grünen, etwa bei der Anerkennung weiterer Länder als sichere Drittstaaten, um abgelehnte Asylbewerber dorthin abschieben zu können. Zudem will er die Anerkennungspflicht von Asylbewerbern aus Ländern mit weniger als fünf Prozent Anerkennungsquote deutlich beschleunigen.Manuela Schwesig : Die SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern will in der Migrationsfrage am besten mit der Union zusammen zu einer Lösung kommen, damit das Thema gesellschaftlich befriedet ist. "Wenn wir diese großen Fragen nicht lösen, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn die Leute extrem wählen." Auch die Rentenfrage, wo es keine Kürzungen geben dürfe, bezeichnete sie als "existenziell für unsere Leute". Einen Rücktritt der SPD-VorsitzendenSaskia Esken und Lars Klingbeil lehnte die Norddeutsche ab.- Katharina Dröge: Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag glaubt nicht, dass Wirtschaftsminister
Robert Habeck nach dem Rücktritt der Grünen-Vorsitzenden die Grünen in eine auf ihn zugeschnittene "Robert-Habeck-Partei" umwandeln möchte. "So was würde er gar nicht wollen", sagte Dröge. Habeck sei ein moderner Mann, ein Teamarbeiter. Gegenüber schnelleren Asylverfahren zeigte sich Dröge offen, ansonsten blieb sie bei dem in ihrer Partei sehr umstrittenen Thema oft vage.
- Ruud Koopmans: Der Migrationsforscher sagte, dass Maßnahmen, um die Anreize zur Einreise zu reduzieren, wirkungsvoller wären als Maßnahmen "am Ende der Migrationskette" - wie die Bekämpfung der Kriminalität oder oft scheiternde Abschiebungen. Besonders schnell wirken laut dem Experten Abkommen mit Drittstaaten wie das frühere EU-Türkei-Abkommen. Eine rechtlich und ethisch umstrittene Lösung wäre die sogenannte Streichung des Verbindungskriteriums, um Asylverfahren in andere Staaten auslagern zu können – wie es Großbritannien mit Ruanda geplant hatte. "Wenn man die AfD dauerhaft schwächen will, geht das nur über Lösungen in der Migrationspolitik", sagte Koopmans mit Verweis auf den überparteilichen Asylkompromiss aus dem Jahr 1993. Für Koopmans sind die Grünen in der Regierung der Bremser bei weiteren Verschärfungen.
- Melanie Amann: Die stellvertretende Chefredakteurin des "Spiegel" prophezeite den Grünen in der Migrationsfrage noch schwierige Zeiten. "Das Thema Migration könnte für die Grünen so ein Spaltungsthema werden wie für die SPD Hartz IV." Im linken Flügel der Partei rumort es aufgrund der Kompromisse in der Ampel. Amann sieht die Partei vor einer Zerreißprobe. Ihnen würden Leute weglaufen, denen die Grünen zu links oder zu dirigistisch sind, aber auch Leute, denen die Grünen nicht mehr links genug sind – wie der angekündigte Parteiaustritt des kompletten Vorstands der Grünen Jugend unter der Woche gezeigt hat. Amann wundert sich, dass es bei der FDP keinerlei personelle Konsequenzen gibt, obwohl die Partei seit Bildung der Ampel aus sieben Landtagen geflogen ist.
Das war der Moment des Abends
So viel Kritik an Parteifreunden ist selten. Und das ausgerechnet von Hendrik Wüst, dem so wohlerzogen, freundlich und gemäßigt auftretenden NRW-Ministerpräsidenten. Grund war die Wahlempfehlung des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer für Brandenburgs SPD-Regierungschef
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Die SPD blieb am vergangenen Wochenende knapp vor der AfD, die CDU schnitt in Brandenburg historisch schlecht ab. Wüst fand Kretschmers Agieren "nicht okay". Er habe die fehlende Solidarität sogar "als Zumutung empfunden".
Das war das Rededuell des Abends
Katharina Dröge wunderte sich. Der EU-Asylkompromiss sei noch nicht einmal umgesetzt worden, die Bundesregierung setzte Verschärfungen in Kraft, und trotzdem werden in Deutschland ständig neue Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Migration gefordert. Mit dem Verweis, es sei ja noch gar nichts passiert. Das gebe es, so Dröge, "bei keinem anderen Thema". Sollte wohl heißen: In ihren Augen sind weitere Maßnahmen erstmal nicht dringend geboten.
Das sorgte bei Hendrik Wüst für Unmut. "Ich hab 40.000 schulpflichtige Kinder in einem Jahr obendrauf gekriegt. Wenn das Problem gelöst wäre, dann würde ich hier gern mit ihnen über was anderes reden", sagte er. "Sie sehen doch die spaltende Wirkung dieses Themas, weil die Menschen merken, dass wir am Ende der Kapazitäten sind."
Dröge verwies auf die Migrationsgespräche der Regierung mit der Union, die CDU-Chef Friedrich Merz unlängst platzen ließ. "Nach ein paar Stunden Verhandlungen bei einem so wichtigen Thema vom Tisch gehen. Das macht man nicht."
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Die gefühlt (und wohl auch real) zehnte Illner-Sendung in den vergangenen zwei Jahren zur Ampel-Krise: Was konnte die Gastgeberin da noch erhellendes aus ihren Gästen herauskitzeln? Es war tatsächlich extrem wenig.
Da war vom "letzten Schuss" die Rede, um als Koalition etwas anzubieten, "was die Leute als Problemlösung verstehen". Da war von schmerzlichen Kompromissen und Zerrissenheit die Rede. Alles schon oft gehört.
In der Migrationsfrage gab sich
Das ist das Fazit
Hendrik Wüst setzte die Messlatte an die Ampel schon maximal niedrig an: "Entscheidend ist, dass wir eine Bundesregierung haben, die handelt." Wenn ein Politiker solche Selbstverständlichkeiten betonen muss, kann es um die Regierung des Landes nicht gut bestellt sein. Tatsächlich sind laut Umfragen nur noch 16 Prozent der Bürger mit der Arbeit der Koalition sehr zufrieden bzw. zufrieden. "Dieser Dauerstreit nervt die Menschen", gab auch Manuela Schwesig zu.
Melanie Amann sieht neben dem neuen Haushalt einen Asylkompromiss als drängendste Frage der kommenden Wochen. Der Bundeskanzler habe dabei die Grünen gegen sich, sagte sie, aber er selbst könnte mit seiner Richtlinienkompetenz auch mehr führen. "Vielleicht muss man angesichts der Wahlergebnisse und der Stimmung im Land als Kanzler auch mal sagen: Ich will das jetzt so."
Die Journalistin prophezeite, dass die Ampel durchhält. Wenn nicht Christian Lindner, Olaf Scholz oder Robert Habeck die Reißleine ziehen, "wird sie weiter wursteln bis ins neue Jahr". Es ist das Jahr, in dem sich CDU-Chef Friedrich Merz – dank der Ampel-Dauerkrise – wahrscheinlich seinen Lebenstraum erfüllen wird: Bundeskanzler werden.
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