Politische Sommerhitze im ZDF-Sommerinterview: Friedrich Merz sorgt für Aufregung mit überraschenden Aussagen zur AfD-Kooperation. Die CDU-Gemüter sind in Aufruhr, während Merz' Worte für Diskussionen und Spekulationen sorgen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

ZDF-Sommerinterviews haben traditionell Potenzial zu polarisieren. In der Saison 2022 etwa erklärte ein gerade wegen seiner intensiven Kontakte zur Chefetage der Porsche AG durchgerüttelter Christian Lindner zum Ausgleich, sich bei Oliver Blume, dem Chef des Sportwagen-Herstellers, Argumentationstipps pro E-Fuels geholt zu haben, ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket wäre nicht finanzierbar. Ein Thema, das später noch für viel Furore sorgen würde. Also, nicht das Thema 9-Euro-Ticket natürlich. Das hatte Lindner schon damals abmoderiert, weil man "das Geld für die Schiene braucht".

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Was viele damals nicht wussten: Welche Schienen auch immer Lindner damit gemeint hatte – eine Steueroffensive für Zahnkorrekturen vielleicht – der Ausbau von Bahnstrecken zumindest war es nicht. Parteikollege und Verkehrsminister Volker "Mini-Scheuer" Wissing jedenfalls steckt das beim 9-Euro-Ticket gesparte Geld munter in ein 3-Milliarden-Euro-Geschenk an Mineralölkonzerne (Tankrabatt) und neue Autobahnen. Und die sind wichtig. Vielleicht nicht für alle, für die FDP aber schon. Immerhin hat die FDP zuletzt einen Ampel-Koalitionsbruch riskiert, um mittels ihres Kandidaten für das Unwort des Jahres 2023 ("technologieoffen") das Thema E-Fuels für Pkw am Leben zu erhalten.

Übrigens – bei der FDP so eine Art regelmäßiges Ritual – gegen den eigenen Koalitionsvertrag, gegen EU-Absprachen und gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Das hat man davon, wenn man Vollzeit-Fossil-Lobbyisten wie Frank Schäffler erlaubt, die 5-Prozent-Partei FDP hobbymäßig nebenbei auch noch im Bundestag zu vertreten.

Niemand hat die Absicht, eine Brandmauer zu bauen!

Der im Vergleich zum Rekordhitze-Juli 2023 geradezu milde Sommer 2022 musste auch Alice Weidel im ZDF-Sommerinterview aushalten. Anders als Christian Lindner hatte sie allerdings nicht die Ambition, auf konkrete Fragen konkrete Antworten zu geben, sondern beschränkte sich in erster Linie auf weitestgehend kontextlose Verweise auf vermeintliche Fehler anderer Parteien. Whataboutism heißt das wohl neudeutsch.

Weidel und die AfD, so traurig es klingt, stellen heute leider auch die Brücke zu aktuellen Ereignissen der vergangenen Woche dar. Kurz dachte man, die Panik um eine in Berlin aufgetauchte Löwin, die vielleicht, vielleicht auch nicht, dann doch eher ein Wildschwein war, könnte ein bisschen der liebgewonnenen Leichtigkeit durch Sommerloch-Absurditäten zurückbringen. Aber leider: nein. Eine fatale Fehleinschätzung.

Denn auch in der Saison 2023 treten die großen Vordenker ihrer Parteien selbstverständlich lächelnd, selbstsicher und voller Vorfreude beim ZDF-Sommerinterview an. Die Büchse der Pandora für allerlei Echauffierungs-Potenzial ist wieder geöffnet. Und das lassen sich die Koryphäen der Bundespolitik natürlich nicht zweimal sagen. So etwa dieses Wochenende der CDU-Experte für Sozialtourismus, Friedrich Merz. Einmal in Plauderlaune, grinst er sich souverän durch den öffentlich-rechtlichen Fragemarathon wie einst Karl-Theodor zu Guttenberg durch seine Doktorarbeit.

Auch die Frage nach der in Umfragen auf historische Höchstwerte zusteuernden AfD ließ Merz nicht unbeantwortet. Im Gegenteil. Zur politischen Primetime erklärte er, eine Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD sei auf kommunaler Ebene nicht auszuschließen. Das jedenfalls heißt es, wenn man die eigentlich eindeutige Beschlusslage der eigenen Partei hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit der AfD eigenmächtig so modelliert, dass plötzlich nur noch Koalitionen bei "gesetzgebenden Körperschaften" gemeint gewesen sein sollen. Ein Koalitionsverbot Light quasi, das sich auf Europa, Bund und Land beschränkt. Ja, so habe ich auch geguckt. Und seine Parteikollegen erst mal.

Das M in Merz steht für Meuterei

Noch am Abend des Sommerinterviews zeigten sich sowohl hochrangige CDU-Politikerinnen und Politiker wie Kai Wegner (Regierender Bürgermeister Berlin), Yvonne Magwas (Vizepräsidentin des Bundestags und CDU-Präsidiumsmitglied), Annette Widmann-Mauz (Bundesvorsitzende der Frauen-Union), Norbert Röttgen, der ehemalige saarländische Ministerpräsident Tobias Hans, Hessens Ministerpräsident Boris Rhein, Ruprecht Polenz oder Serap Güler (CDU-Bundesvorstandsmitglied) entsetzt. Innerhalb von wenigen Stunden braute sich ein Sturm des Gegenwinds aus der eigenen Partei zusammen, der für einen amtierenden Vorsitzenden ungewöhnlich schnell, ungewöhnlich klar und ungewöhnlich flächendeckend aufbrauste. Selbst Markus Söder distanzierte sich umgehend. Mit einem eindeutigen Bekenntnis, in dem er die Zusammenarbeit mit der AfD in Bayern auch auf kommunaler Ebene klar ausschloss.

Was vom Sommerinterview bleibt, ist demnach historisch: Seinen großen Wunschtraum, als Politiker ein Erbe zu hinterlassen, das noch Generationen nach uns beschäftigen wird, hat Merz sich damit erfüllt. Denn das muss man erst mal schaffen: Markus Söder in einem Diskurs als den Vernünftigen wirken zu lassen. Natürlich, das darf nicht unerwähnt bleiben, gab es auch CDU-Köpfe aus der sogenannten ersten Reihe, die Merz kompromisslos unterstützen. In vorderster Front beispielsweise Julia Klöckner oder Carsten Linnemann. Bei Letzterem nicht ganz unerwartet, hatte Merz doch erst kürzlich CDU-Generalsekretär Mario Czaja durch seinen sauerländischen Kollegen Linnemann ersetzt.

Der Ex-Maler und Lyrik-Beauftragte der AfD, Tino Chrupalla, ließ sich durch die Sommerinterview-Kür von Merz umgehend zu diesen Worten inspirieren: "Nun fallen erste Steine aus der schwarz-grünen Brandmauer. In Ländern und Bund werden wir die Mauer gemeinsam niederreißen." Im Prinzip sieht er sich wohl schon als neuer Kanzler. Mit der CDU als Juniorpartner und Türöffner Friedrich Merz als Finanzminister und Vize-Kanzler. Deutschland, aber normal eben.

Die Iden des Merz

Insgesamt also bislang ein etwas holprig verlaufender Sommer für KPAM (Kleine Paschas Avenger Merz). Kurz vor dem bereits heute legendären Sommerinterview hatte er seine CDU nämlich schon als "Alternative für Deutschland, aber mit Substanz" ausgerufen. Das hatte ihm Klassenkeile der potenziellen künftigen Koalitionspartnerin Alice Weidel (da ist sie wieder) eingebrockt. Weidel erinnerte per Kurznachrichtendienst Twitter nachdrücklich daran, die AfD hätte in diesem Land immer noch das Patentrecht auf Rechtspopulismus: "Auch wenn sich Herr Merz noch so verbiegt, das Original bleiben wir." Halleluja.

In einer Art Panikreaktion auf die vermutlich unerwartete Stringenz der Kritik aus den eigenen Reihen, versuchte März einige Stunden später (ebenfalls via Twitter) die Wogen zu glätten. In einem Anfall von kompletter Wahrnehmungsverschiebung erklärte er: "Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben. (FM)"

Das "FM" steht in diesem Fall übrigens nicht für "Fiktionale Manipulation", sondern für "Friedrich Merz". Diese Abkürzung bedeutet, Merz hat diesen Tweet persönlich verfasst – nicht etwa sein Team. Merz kündigt also genau das an, was Beschlusslage seiner Partei ist – allerdings genau das Gegenteil von dem, was er kurz zuvor im ZDF gesagt hatte. Schrödingers AfD-Koalition.

Dieses Kleinod der Kommunikations-Strategie wird uns in jedem Fall noch eine Weile beschäftigen. Wenn der Tweet von Merz zutreffend ist, vor allem der Teil mit "habe es nie anders gesagt", steht sogar ein Jahrhundert-Medienprozess ins Haus. Denn dann hat das ZDF keine Kosten und Mühen gescheut und mit modernster KI- und Deep-Fake-Technologie die Fernsehbilder so manipuliert, dass man Friedrich Merz im Sommerinterview exakt das Gegenteil von dem sagen hört, was er heute behauptet. Technisch ist das möglich, allerdings in dieser Qualität beinahe unbezahlbar.

Andererseits: Das ZDF hat es ja dicke. Stichwort: Zwangsgebühr! Grüße an Dunya Hayali an dieser Stelle. Und weil man einen Text nie besser beenden kann als mit einem Querverweis auf Deutschlands prominenteste Geschmacksverirrung in Sachen Fußball (googeln Sie mal "Dunya Hayali Gladbach", aber bitte Schmerzmittel bereithalten), sage ich an dieser Stelle: bis nächste Woche!

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