Sky-Experte Lothar Matthäus spricht im Exklusiv-Interview mit unserer Redaktion über das Topspiel zwischen Bayern München und Borussia Dortmund (Samstag, 18:30 Uhr, live auf Sky), die Trainersuche des FC Bayern, die Situation von Leon Goretzka und Leroy Sané sowie ein mögliches deutsches Champions-League-Finale.

Ein Interview

Herr Matthäus, wer steht am Samstag beim Topspiel zwischen Bayern München und Borussia Dortmund mehr unter Druck?

Lothar Matthäus: Borussia Dortmund steht eindeutig mehr unter Druck, denn für Bayern München ist die Bundesliga-Saison tabellarisch wohl gelaufen. Ich gehe davon aus, dass sie die Spielzeit als Tabellen-Zweiter abschließen werden. Bayer Leverkusen ist so stark, dass sie den Vorsprung nicht hergeben. Allerdings sind die Bayern noch immer in der Champions League vertreten und wollen daher den Rhythmus beibehalten. Jeder Spieler möchte sich dem Trainer empfehlen, um in der Champions League von Anfang an auf dem Platz zu stehen. Zudem steckt es in der DNA des FC Bayern, dass sie jedes Bundesligaspiel gewinnen wollen.

Und Borussia Dortmund?

Borussia Dortmund steckt in einer anderen Situation. In der Bundesliga laufen sie den Erwartungen hinterher – vor allem leistungsmäßig. In der Champions League haben sie ein anderes Gesicht gezeigt und die Todesgruppe überstanden. Dieses Gesicht müssen sie nun auch gegen Bayern München zeigen. Sie haben nur einen Punkt Vorsprung auf RB Leipzig und stehen daher sehr unter Druck. Es kann zwar sein, dass je nach Uefa-Wertung auch Tabellenplatz 5 für die Champions-League-Qualifikation genügt. Aber darauf kann man sich nicht verlassen. Sie brauchen die Punkte dringender als der FC Bayern.

Matthäus über die Chancen von Bayern und BVB in der Champions League

Sie haben gerade angesprochen, dass Bayern München und Borussia Dortmund noch in der Champions League vertreten sind. Was trauen Sie den beiden Bundesligisten in der Königsklasse zu?

Die Auslosung hat gezeigt, dass beide Mannschaften gute Titel-Chancen haben. Sie könnten erneut im Wembley-Stadion gegeneinander spielen. Das sage ich nicht nur als Patriot, sondern ganz realistisch. Fangen wir mit Dortmund an: Die Mannschaft hat die Todesgruppe mit Paris Saint-Germain und AC Mailand als Erster abgeschlossen. Wenn sie im Viertelfinale gegen Atletico Madrid gewinnen - die zwar ein unbequemer Gegner sind, aber auch nicht die überragende Mannschaft überhaupt –, könnten sie erneut auf Paris treffen oder auf Barcelona. Barcelona hat momentan einen besseren Lauf, ist aber auch nicht so überragend, dass man davor Angst haben müsste. Bayern München hat den schwierigeren Weg, um ins Finale zu kommen. Nicht unbedingt wegen Viertelfinal-Gegner Arsenal, der allerdings Tabellenführer der Premier League ist. Aber im Halbfinale würden sie mit Manchester City oder Real Madrid auf einen der zwei großen Favoriten treffen.

Für Leon Goretzka geht es darum, sich mit guten Leistungen vielleicht doch noch für die Europameisterschaft zu empfehlen, nachdem er für die letzten beiden Länderspiele nicht nominiert wurde. Wie beurteilen Sie seine Situation?

Leon Goretzka ist mit der Situation sicherlich nicht zufrieden. Er befand sich zuletzt in einer guten Verfassung und hat gut performt. Wenn er daran anknüpft, vielleicht nicht nur in der Bundesliga, sondern auch in der Champions League, dann ist Leon ganz sicher ein Kandidat für die Europameisterschaft. Aber zurzeit steht er ein bisschen im Schatten anderer Spieler. Grundsätzlich kennt Bundestrainer Julian Nagelsmann Leon Goretzka gut. Er hatte beim FC Bayern immer ein gutes Verhältnis zu ihm. Mit Ilkay Gündogan und Rückkehrer Toni Kroos gibt es zwei Spieler, die auf der gleichen Position spielen wie er – und vor allem auch anders spielen. Die Frage ist nun, welche Spielerprofile in das System des Bundestrainers passen.

Sie glauben aber, dass Goretzka in den Kader der deutschen Nationalmannschaft gehört?

Ich finde, dass Goretzka besonders gut gespielt hat, wenn er im Mittelfeld nicht Joshua Kimmich den Rücken freihalten musste. Jetzt spielt Kimmich auf der rechten Seite. Daher sehe ich gute Chancen, dass Leon noch auf den EM-Zug aufspringt. Ähnlich ist es bei Leroy Sané. Grundsätzlich aber dürfte der EM-Kader zu 90 Prozent aus den Spielern bestehen, die bei den letzten beiden Länderspielen dabei waren. Das wurde ja auch so gesagt.

Wo Sie ihn gerade ansprechen: Leroy Sané schien unter Thomas Tuchel in den ersten Monaten gut zu funktionieren, hat nun aber seit 22 Pflichtspielen kein Tor mehr erzielt und agiert oftmals bemüht, aber unglücklich. Worauf führen Sie es zurück, dass er in München nie dauerhaft funktioniert hat?

Leroy Sané ist ein Spieler, der mit seiner spielerischen Klasse, seiner Geschwindigkeit, seinen Dribblings und seiner Abschlussstärke für die entscheidenden Momente sorgen kann. Er ist auch in der Lage, seine Mitspieler in Szene zu setzen. Mit diesen Fähigkeiten könnte er bei der Nationalmannschaft auch gut von der Ersatzbank kommen. Ich sehe da überhaupt kein Problem. Er wird in der Öffentlichkeit immer ein bisschen anders dargestellt als er ist, wenn man ihn kennt. Man tut ihm ein bisschen unrecht. Er hat natürlich diese Körpersprache mit den hängenden Schultern. Wenn jemand nach außen so wirkt, heißt das nicht, dass derjenige aufgibt. Er ist sehr ehrgeizig und hat auch in München gezeigt, dass er sich durchsetzen kann. Zudem hat er mittlerweile gelernt, nach hinten mitzuarbeiten. Von daher sehe ich für Leroy gute Chancen.

Matthäus kann sich "Rangnick oder Nagelsmann vorstellen"

Die Nachfolge von Thomas Tuchel ist noch immer nicht geklärt. Xabi Alonso hat entschieden, in Leverkusen zu bleiben. Welche Trainer könnten Sie sich ansonsten vorstellen?

Dazu kann ein Julian Nagelsmann oder auch ein Ralf Rangnick gehören. Aber will man einen Trainer zurückholen, den man vor eineinhalb Jahren beurlaubt hat? Oder will man einen Rangnick mit Red-Bull-Vergangenheit holen, der sicherlich auch kein einfacher Teamplayer ist? Ein Rangnick hat seine eigenen Vorstellungen. Diese haben zwar immer gegriffen. Aber bei Bayern München reden ein bisschen mehr Leute mit, wenn es um Einkäufe oder das Spielsystem geht. Trotzdem könnte ich mir Rangnick, Nagelsmann oder auch den einen oder anderen Trainer aus dem Ausland vorstellen.

"Tuchel hat vieles infrage gestellt. Das kam in der Kabine nicht gut an."

Lothar Matthäus, Sky-Experte

Sie haben in der vergangenen Saison bereits relativ früh erkannt, dass das Betriebsklima beim FC Bayern München schlecht ist. Schlussendlich mussten Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic als Vorstände gehen. Ist das Innenleben im Verein nun harmonischer als damals?

Es hat auch diese Saison nicht 100-prozentig geklappt. Ansonsten hätte man sich nicht mit Thomas Tuchel auf eine Vertragsauflösung im Sommer geeinigt. Man hat mit Tuchel einen Trainer, der internationale Erfahrung mitbringt und große Vereine trainiert hat, aber bei den Spielern vielleicht von Anfang an nicht so richtig angekommen ist. Vielleicht hängt das mit seiner Ehrlichkeit und seinen klaren Worten zusammen. Er hat eine Mannschaft übernommen, die in den letzten zwölf Jahren sehr erfolgreich war und alles gewonnen hat. Aber Tuchel hat vieles infrage gestellt. Das kam in der Kabine nicht gut an. Es gab viele Diskussionen, die über die Medien ausgetragen wurden. Dadurch entstand eine Unruhe, die man nicht gebrauchen konnte.

Noch einmal zurück zum BVB: Wie groß ist die Gefahr, dass Dortmund auch mittelfristig den Status als Bayern-Konkurrent Nummer eins verliert?

Diese Rolle ist nicht selbstverständlich. Sie haben an Boden verloren, das muss man so sagen. Nicht nur Bayer Leverkusen, sondern auch der VfB Stuttgart und RB Leipzig sind dran. Vielleicht kommt auch Eintracht Frankfurt noch hinzu. National sind die Pläne von Dortmund nicht aufgegangen. In der Champions League haben sie zwar überzeugt, aber in der Bundesliga sind sie nicht stabil. Mit diesem Kader kann es nicht der Anspruch von Borussia Dortmund sein, auf Tabellenplatz vier zu stehen. Auch die Performance hat vielfach nicht gestimmt. Ich glaube, die Fans sind auch nach siegreichen Heimspielen nicht so begeistert nach Hause gegangen wie in den vergangenen Jahren.

Letzte Frage: Wie geht das Spiel am Samstagabend Bayern München gegen Borussia Dortmund aus?

4:1 für Bayern München.

Über den Experten:

  • Lothar Matthäus (Jahrgang 1961) zählt zu den erfolgreichsten deutschen Fußballspielern aller Zeiten, führte die deutsche Nationalmannschaft 1990 als Kapitän zum Gewinn der Weltmeisterschaft und wurde 1991 als Weltfußballer ausgezeichnet. In seiner aktiven Zeit spielte er unter anderem für Borussia Mönchengladbach, den FC Bayern München und Inter Mailand. Als Trainer übernahm er unter anderem die Nationalmannschaften von Ungarn und Bulgarien. Heute arbeitet er als TV-Experte für Sky.

Bayern vs. Dortmund: Matthäus erwartet weltweit großes Interesse

Es ist das Duell, das in den vergangenen Jahren regelmäßig über die deutsche Meisterschaft entschied. Doch wenn am kommenden Samstag der FC Bayern Borussia Dortmund empfängt, spielt der Titel (fast) keine Rolle mehr. Für Ex-Bayern-Profi Lothar Matthäus aber ist der "Klassiker" dennoch ein attraktives Duell.
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