In Deutschland ist Winter – und es ist Wahlkampf. Wie werben Kandidaten und Ehrenamtliche um Stimmen in der kalten Jahreszeit? Und bei aufgewühlter Stimmung. Eindrücke aus Augsburg, Potsdam und Ostwestfalen.

Eine Reportage
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Eindrücke und Einschätzungen von M. Sandler, F. Hartmann und F. Busch. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das Weihnachtsgeschenk von seiner Mutter hat sich für Volker Ullrich schon ausgezahlt. Zum Fest gab es von ihr Thermo-Unterwäsche, die richtige Ausstattung für diesen Samstagabend. Bei Dunkelheit und (immerhin) fünf Grad über dem Gefrierpunkt steht der CSU-Bundestagsabgeordnete in der Augsburger Innenstadt. Am 23. Februar will er als Direktkandidat wiedergewählt werden.

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Die vorgezogene Bundestagswahl hat die Kandidaten und Helfer im wahrsten Wortsinn kalt erwischt. Statt im Sommer findet der Wahlkampf jetzt zur kältesten und dunkelsten Jahreszeit statt. Das ist kein Vergnügen. Erst recht nicht für die Wahlkämpfer auf der Straße. Statt T-Shirts und Sonnenbrillen kommt jetzt die Thermo-Unterwäsche zum Einsatz. Nicht nur in Augsburg.

CSU in Augsburg: Mit Punsch und Taschentüchern

"Plakatieren bei Minusgraden war schon echt nervig", sagt dort der Ehrenamtliche Constantin Hoy. Häufig sei der Leim gefroren statt getrocknet. Nach ein paar Tagen fielen die Plakate wieder ab.

Aus ihrem weißen Transporter mit der Aufschrift "Deutschland wieder in Ordnung bringen" haben Ullrich, Hoy und drei weitere CSU-Helfer nicht nur den obligatorischen Klapptisch, Wahlplakate, Flyer und Kugelschreiber ausgeladen. Sie haben in die Augsburger Altstadt auch heißen Punsch und Tassen mitgebracht. Weiteres Winter-Werbemittel: Päckchen mit Papiertaschentüchern. "Auch die Nase voll?", steht darauf.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ulrich (l.) im Gespräch mit Passanten. Die fragen nach seiner Haltung zur AfD und Vorschlägen zum Bürokratieabbau.

Rotzig geht es dann allerdings nicht zu. Kein abfälliger Kommentar im Vorbeigehen. Keine hitzige Diskussion. Allerdings ist auch das Interesse überschaubar. Nur wenige Passanten suchen das Gespräch, darunter eine Italienerin und zwei 17-Jährige. Alle drei dürfen bei der Bundestagswahl nicht abstimmen. Ein junger Mann will von Ullrich wissen, wie er das finde, dass die Union jetzt mit der AfD stimme.

Ullrich hat den Antrag der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik mitgetragen, der mit den Stimmen der AfD vom Bundestag angenommen wurde. "Wir wollen mit der AfD nicht kooperieren", antwortet er. CDU und CSU hätten sich ja im Vorfeld nicht mit der AfD abgesprochen, sondern lediglich einen Antrag gestellt. Reformen in Sachen Migration seien notwendig, gerade mit Blick auf die AfD. "Dass die ihre Zustimmungswerte in drei Jahren Ampel verdoppelt hat, ist nicht hinnehmbar."

Nach anderthalb Stunden packt "Team Ullrich" wieder zusammen. Einer von ihnen wird den Wagen samt Utensilien gleich zu einem anderen zentralen Platz in der Innenstadt fahren. Samstag ist Ausgehtag. Die Junge Union hat einen Nachtstand geplant.

So unaufgeregt wie an diesem Abend sei es in den vergangenen Wochen nicht immer gewesen, erzählen sie noch. Vergangene Woche im Stadtteil Kriegshaber habe die Polizei den Stand geschützt, weil eine Antifa-Gruppe auflief.

Grüne in Potsdam: Kein Glaube an einen Kanzler Habeck

Wolken haben sich schon wieder vor die Wintersonne über Potsdam geschoben, als die Wahlkämpfer der Grünen ihren Infostand am Eingang der Innenstadt aufbauen. Jonas Höhne, 27 Jahre alt und Kreisvorsitzender, schnappt sich einen Stapel Infoflyer und grüne Windrädchen mit Holzstiel. Klassisches Wahlkampfmaterial, das die Menschen in der brandenburgischen Landeshauptstadt von seiner Partei überzeugen soll.

"Guten Tag, darf ich Ihnen ein paar Infos zur Bundestagswahl geben?", fragt Höhne die vorbeilaufenden Passanten. Die meisten wollen nicht. Es ist kalt an diesem Winternachmittag, die Temperatur liegt nur knapp über null Grad.

"Man merkt schon: Die Leute haben gerade keine große Lust, am Wahlkampfstand zu stehen", sagt Jonas Höhne. Eine Herausforderung für ihn und seine Mitstreiter, nicht nur an diesem Nachmittag in Potsdam. Im Osten haben es die Grünen in der Regel schwer. Bei der brandenburgischen Landtagswahl im vergangenen Jahr ist die Partei mit 4,2 Prozent aus dem Landtag geflogen. Je ländlicher und strukturschwächer eine Region ist, desto weniger gibt es für die Grünen dort zu holen.

Grünen-Wahlkämpfer Jonas Höhne in der Potsdamer Innenstadt: "Die Leute haben gerade keine große Lust, am Wahlkampfstand zu stehen". © Fabian Hartmann

Auf Potsdam trifft das nicht zu. Die Landeshauptstadt mit ihren hübsch sanierten Gründerzeitfassaden boomt, die Einwohnerzahl wächst, Wohnraum ist knapp und teuer. Von Aufschwung und Zuzug profitieren die Grünen. Der Kreisverband zählt inzwischen 900 Mitglieder, auch die Landespartei wächst. Doch für ein grünes Wintermärchen reicht das nicht.

Der interne Schub bei den Mitgliedern kommt draußen im Land nicht an. Nicht bei der Stimmung und nicht in den Umfragen. Die Grünen liegen zwischen 12 und 15 Prozent. Dass Robert Habeck Kanzler wird, glaubt kein Grüner am Potsdamer Wahlkampfstand. Und auch in der urbanen Landeshauptstadt merken sie, dass Wahlkampf in diesen Zeiten rau sein kann. Ein Grünen-Mitglied schätzt, dass jedes zweite Großplakat in Potsdam beschädigt, besprayt oder abgerissen wird.

Am Wahlkampfstand oder beim Haustürwahlkampf sind die Mitglieder immer mindestens zu zweit – aus Sicherheitsgründen. Körperlich habe es in Potsdam noch keine Angriffe gegeben. Verbal aber schon. "Mir hat mal jemand aus dem Auto zugerufen, dass man mich anzünden sollte. Das war die krasseste Sache", sagt Jonas Höhne.

Von Wut, gar Hass ist an diesem Nachmittag in der Potsdamer Innenstadt allerdings nichts zu spüren. Manche Passanten nehmen das Wahlkampfmaterial, einige sagen sogar, dass sie grün wählen. Andere gehen schnell weiter. Irgendwohin ins Warme.

Ein älterer Mann, offensichtlich Rentner, bleibt am Wahlkampfstand stehen. Er schimpft, dass Löhne und Renten nicht steigen. Die Wirtschaft müsse in Gang kommen. Die Energiepreise seien zu hoch. Es ist ein Sammelsurium an Vorwürfen. Die Wahlkämpfer hören geduldig zu, immer freundlich. Irgendwann geht der Mann weiter.

Seine Stimme geht wohl nicht an die Grünen.

SPD in Versmold: Dabei sein ist alles

Tief im Westen der Republik ist das politische Berlin nicht nur geografisch weit entfernt. Auch die Themen sind andere. Er habe vor kurzem eine Veranstaltung zur Gesundheitspolitik organisiert, erzählt der SPD-Landtagsabgeordnete Thorsten Klute. "Die Hütte war voll", sagt er. Es ging um den Ärztemangel auf dem Land und das lange Warten auf Termine "beim Doktor". Themen, die in TV-Duellen oder in den Schlagzeilen der Zeitungen kaum vorkommen.

Klute steht an einem Samstagvormittag vor einem roten Anhänger in der Innenstadt von Versmold: 21.000 Einwohner, Kreis Gütersloh, Ostwestfalen, die Fleischindustrie sorgt für Arbeitsplätze, die Krise des Einzelhandels aber auch für viele leere Schaufenster.

Wahlkampfgeschenke passend zum Winter: Eiskratzer und Früchtetee. © F. Busch

Der frühere Bürgermeister Klute hilft den Genossen beim Wahlkampf, drückt Vorübergehenden rote Kullis und Flyer in die Hand. Wer sich näher herantraut, bekommt auch einen heißen Kaffee. Angst vor Anfeindungen müssen Politiker und Ehrenamtliche hier nicht haben. Man kennt sich. Die Gespräche drehen sich nicht immer um Politik, manchmal auch um die BVB-Mütze eines Passanten.

Für die SPD ist es kein einfacher Wahlkampf. Nicht nur wegen der Temperaturen. Die dominanten Themen wie Migration und Wirtschaft spielen den Sozialdemokratien nicht gerade in die Karten. Und der Bundeskanzler mit SPD-Parteibuch? Olaf Scholz spielt in den Gesprächen am Wahlkampfstand nur eine Nebenrolle. "Ich sage es mal so", meint Thorsten Klute: "Wenn man die Wahl hat zwischen Friedrich Merz, der bei Blackrock gearbeitet hat und mit dem Flugzeug zur Hochzeit fliegt, und dem bodenständigen Hanseaten Olaf Scholz, dann ist Scholz klar die bessere Wahl."

Überhaupt Merz: Der CDU/CSU-Kanzlerkandidat kommt der SPD durchaus gelegen. Die gemeinsamen Abstimmungen der Union mit der AfD haben zumindest für Gesprächsstoff gesorgt. Über Berlin hinaus. "Es gibt einen großen Gesprächsbedarf", sagt die lokale SPD-Bundestagskandidatin Elvan Korkmaz-Emre, die am Stand der Versmolder SPD vorbeigekommen ist. Das Erstarken der AfD mache vielen Menschen Angst, sagt sie.

Nordrhein-Westfalen war zwar mal sozialdemokratisches Stammland, der Wahlkreis Gütersloh ist aber seit Jahrzehnten in CDU-Hand. Die Chancen von Korkmaz-Emre auf einen Einzug in den Bundestag sind entsprechend gering. Sie ist trotzdem gut gelaunt. Es geht hier auch darum, Präsenz zu zeigen. "Wahlkämpferin" steht auf der roten Wintermütze im Korb der Kandidatin, darunter liegen kleine Geschenke für den Straßenwahlkampf, passend zur Jahreszeit: rote Eiskratzer und Früchtetee. Wie die CSU in Augsburg hat die SPD aber auch Papiertaschentücher im Angebot. Auf der Packung steht: "Nicht weinen, wählen."