Die Regierungsbildungen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gestalten sich schwierig – auch wegen BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht. Vor einem Jahr machte sie mit der Abspaltung ernst, gründete erst den Verein BSW, dann die Partei. Jetzt setzt sie die anderen Parteien unter Druck. Aber kann und will sie auch regieren?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Regierungsbildung in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gestaltet sich schwierig. In Sachsen sondiert das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit CDU und SPD, in Brandenburg mit der SPD. In Thüringen sind die Sondierungen bereits abgeschlossen, als nächstes soll es in die Koalitionsverhandlungen gehen. Wenn sie erfolgreich verlaufen, könnte der CDU-Politiker Mario Voigt dort Ministerpräsident werden.

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In allen drei Ländern ist eine Regierungsbildung fast nur mit dem BSW möglich. Doch wagt Wagenknecht nur ein Jahr nach der Gründung ihres Bündnisses gleich den Schritt in die Regierungsverantwortung? Bisher lässt sich feststellen: Sie bremst die Erwartungen.

Wagenknecht fordert Distanz zu CDU-Chef Merz

Wagenknecht fordert bei möglichen Koalitionsbildungen ihres BSW mit der CDU in Thüringen und Sachsen eine Abgrenzung zum Kurs des CDU-Chefs Friedrich Merz in der Ukraine-Politik.

Bei den möglichen Koalitionspartnern wächst die Ungeduld. Der stellvertretende Thüringer CDU-Vorsitzende Christian Hirte entgegnete, Wagenknechts Forderungen würden "immer abenteuerlicher". Auch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch warnte Wagenknecht vor zu harten roten Linien in Sachen Außenpolitik – man werde sich nicht erpressen lassen, stellte er klar.

Sahra Wagenknecht erklärt auf Anfrage unserer Redaktion: "Herr Voigt wird sich entscheiden müssen, wem er sich mehr verpflichtet fühlt­." Auf der einen Seite stünden die Wähler in Thüringen, "die mehrheitlich für mehr Diplomatie statt immer weiterer Waffenlieferungen sind und eine Stationierung der US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland mit großer Mehrheit ablehnen". Auf der anderen Seite stehe Friedrich Merz, "der im Bundestag faktisch einen Kriegseintritt Deutschlands gegen Russland 'binnen 24 Stunden' gefordert hat."

In seinem Newsletter bekräftigte Merz am Wochenende: Kanzler Olaf Scholz (SPD) hätte zusammen mit den Regierungschefs von Frankreich und Großbritannien eine deutliche Ansage an den russischen Präsidenten Wladimir Putin machen müssen. Merz schrieb: "Wenn der Kriegsterror gegen die Zivilbevölkerung nicht binnen 24 Stunden aufhört, werden die Reichweitenbegrenzungen der gelieferten Waffen aufgehoben. Wenn das nicht reicht, liefert Deutschland Taurus-Marschflugkörper, um die Nachschubwege der russischen Armee zu zerstören." Die Ukraine fordert immer wieder, dass sie in ihrem Verteidigungskampf westliche Waffen auch gegen Ziele auf russischem Territorium einsetzen darf.

"Wir wurden für Veränderung gewählt, nicht für ein Weiter-so."

Sahra Wagenknecht

Wagenknecht macht deutlich: "Die Frage von Krieg und Frieden, die viele Menschen zu Recht stark bewegt, ist für uns nicht verhandelbar. Wir wurden für Veränderung gewählt, nicht für ein Weiter-so. Wenn es einer Landesregierung nicht gelingt, dem Wählerwillen gerecht zu werden, werden wir uns daran nicht beteiligen."

Wagenknecht pocht auf Wunsch der Veränderung

Rechnerisch hätte Wagenknecht noch eine andere Option: Sie könnte mit der AfD zusammenarbeiten. Die Menschen im Osten haben Veränderung gewählt, das macht Wagenknecht immer wieder deutlich. Im Duell mit Alice Weidel (AfD) bei "Welt-TV" wirkte es, als mache Wagenknecht der AfD-Chefin einen Vorwurf: Weil ihre Partei mit Björn Höcke so weit nach rechts gerutscht ist, ist die Veränderung, die Wählende sich wünschen, nicht möglich.

Noch vor den Wahlen hat die Parteichefin deutlich gemacht: Mit der AfD will sie nicht koalieren. Und doch wollte sie ein solches Bündnis im direkten Duell mit Weidel nicht komplett ausschließen.

Wagenknecht spricht, wenn sie den Veränderungswillen nennt, nicht nur von ihren eigenen Wählenden, sondern auch von denen der AfD. In Thüringen und Brandenburg hat die Partei etwa ein Drittel der Stimmen auf sich vereint. Diese seien nicht überwiegend rechtsradikal, ihre Themen seien berechtigt, sagte die BSW-Chefin vor einigen Tagen. Wie geht das alles zusammen? Ist eine Koalition mit der AfD für sie vielleicht doch eine Option?

Politikexperte: Zusammenarbeit zwischen BSW und AfD lässt sich nicht mehr ausschließen

Aus Sicht des Politik- und Kommunikationsexperten Johannes Hillje lässt sich diese Zusammenarbeit nicht mehr grundsätzlich ausschließen. "Wagenknecht hat sich bei einigen Themen abgegrenzt, aber Weidel grundsätzlich für koalitionsfähig erklärt", führt er auf Anfrage unserer Redaktion aus. Gerade beim Thema Russland sind sich die beiden Politikerinnen einig gewesen. Hillje spricht in diesem Zusammenhang von einem Duett statt eines Duells.

Wagenknecht schließt Bündnis mit Höcke-AfD aus

Eine Personalie steht einer möglichen Zusammenarbeit von Weidel und Wagenknecht allerdings im Weg: Thüringens AfD-Chef Björn Höcke. Der Spitzenkandidat, der bei der Landtagswahl zwar nicht sein Direktmandat gewonnen hat – mit seiner Partei aber die gesamte Wahl. Der Spitzenkandidat, der zudem als rechtsextrem gilt und laut Gericht als Faschist bezeichnet werden darf. Ein Radikaler.

So sieht es offenbar auch Wagenknecht. Einem Höcke könne man nicht zur Macht verhelfen, erklärte sie in dem Duell. "Ich will nicht, dass so ein Mann in unserem Land Macht bekommt", stellte sie klar. Deswegen gebe es im Osten das Dilemma, dass das BSW nun mit CDU und SPD versuchen müsse, die versprochene Veränderung umzusetzen.

Mit Höcke geht’s also nicht. Aber mit Weidel? "Wagenknecht unterscheidet zwischen einer koalitionsunfähigen Höcke-AfD und einer anschlussfähigen Weidel-AfD", sagt Hillje dazu. Für die AfD-Chefin wäre es aus Sicht des Experten ein wichtiger Erfolg, wenn andere Parteien eine Zusammenarbeit in Erwägung ziehen. "Damit wird die Brandmauer wieder ein bisschen brüchiger. Vor allem weil Weidel für die Bundes-AfD steht und Höcke formal nur für einen Landesverband."

BSW lehnt AfD-Verbotsverfahren ab

Wagenknecht stellt gegenüber unserer Redaktion klar: "Eine Koalition mit der AfD, die immer stärker von dem rechtsextremen Flügel um Björn Höcke dominiert wird, kommt für uns nicht infrage. Auch von Alice Weidel, die für blinde Marktgläubigkeit und Aufrüstung wirbt, trennt uns viel." Von "Brandmauer-Gerede" und einer allgemeinen Ausgrenzung der AfD hält die BSW-Chefin allerdings nichts.

Auch ein AfD-Verbot, das eine parteiübergreifende Gruppe von Bundestagsabgeordneten anstreibt, würde Wagenknecht übrigens nicht unterstützen. "Als BSW lehnen wir entschieden alle Verbotsinitiativen ab und plädieren für eine sachliche Auseinandersetzung mit der AfD. Wir sind angetreten, um die berechtigten Anliegen der Wähler, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen, aufzunehmen und Veränderungen in ihrem Sinne zu erreichen."

Sahra Wagenknecht macht deutlich, wo sie Probleme sieht und was sie alles nicht möchte. Mit wem sie sich die Veränderung, die sie beschwört, wirklich vorstellen kann, das lässt die BSW-Gründerin bislang allerdings offen.

Verwendete Quellen

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