Die CDU hat Friedrich Merz erneut zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Er bekam etwas weniger Stimmen als vor zwei Jahren, bei seiner Rede am Vormittag brachte er das Publikum nur langsam in Schwung. Vielleicht, weil Merz sich allzu scharfe Kritik an den anderen Parteien verkniff.

Eine Analyse
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An diesem Tag bekommt man ein ungewohntes Bild von Friedrich Merz zu sehen. Am Montagnachmittag ehrt der CDU-Parteitag in Berlin seinen ältesten Delegierten: Der 91-jährige Otto Wulff berichtet vom Wiederaufbau Deutschlands nach Zweitem Weltkrieg und Nazi-Terror, er betont die Bedeutung der europäischen Aussöhnung, vor allem mit Frankreich.

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Friedrich Merz steht sichtlich gerührt neben ihm. Zur Verabschiedung verschlägt es ihm die Stimme. Er sei stolz auf ein solches Mitglied in der CDU, sagt Merz unter Tränen.

CDU-Bundesparteitag
Friedrich Merz (rechts) und Otto Wulff auf dem Bundesparteitag. © dpa / Carsten Koall

Knapp 90 Prozent für Merz

Der Vorsitzende steht an diesem Tag ganz im Mittelpunkt des Parteitags. Seine Wiederwahl ist der wichtigste Tagesordnungspunkt. Vor zwei Jahren hat Friedrich Merz bei seiner ersten Wahl 94,6 Prozent der Delegiertenstimmen bekommen. Am Sonntagabend sagte ein hochrangiger CDU-Politiker auf einem Presseempfang voraus: Dieses Mal könnten 97 Prozent drin sein.

Ganz so kommt es dann aber doch nicht. Von 972 gültigen Stimmen entfallen 873 auf Merz als einzigen Kandidaten. 89,8 Prozent – für Merz möglicherweise ein kleiner Dämpfer. Generalsekretär Carsten Linnemann schneidet mit 91,4 Prozent ein bisschen besser ab.

Merz-Rede auf CDU-Parteitag: Zunächst mit angezogener Handbremse

Friedrich Merz gilt zwar als angriffslustiger und treffsicherer Redner – aber vor allem, wenn es gegen den politischen Gegner geht. Etwas anders ist das oft vor den eigenen Anhängern. Bei seinen gescheiterten Bewerbungen um den CDU-Vorsitz 2018 und 2021 hat Merz Parteitagsreden auch schon vergeigt. Das sollte ihm nicht wieder passieren.

Für die Vorbereitung der Rede auf dem diesjährigen Bundesparteitag am Montag hatte sich Merz dem Vernehmen nach zwei Tage Zeit genommen. Staatsmännisch werde sie sein, hatte Generalsekretär Linnemann im Vorfeld angekündigt.

Merz beginnt am Montagvormittag allerdings stockend. Er macht viele kurze Pausen, spricht in langen Sätzen, zitiert etwas umständlich den griechischen Philosophen Thukydides. Am meisten Applaus erhält er, wenn er die Landwirtschaft lobt, auf das Bürgergeld schimpft und die Grünen kritisiert.

Trotzdem verkneift sich der CDU-Chef scharfe Kritik an den politischen Mitbewerbern. Vielleicht erklärt das, warum viele Delegierte die Rede zunächst eher mit angezogener Handbremse verfolgen. In den hinteren Reihen wird geplaudert – und vor allem: auf dem Handy getippt.

Die CDU ist in der eigenen Wahrnehmung die geborene Regierungspartei. Dabei soll es aus ihrer Sicht bleiben. Die Union sei nun einmal keine Partei der Opposition, hat Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner zur Eröffnung des Parteitags gesagt. "Deswegen dürfen wir uns in der Opposition, im Dagegensein niemals einrichten."

So schnell wie möglich wieder regieren – das ist auch die Botschaft, die von diesem CDU-Parteitag ausgehen soll. Am Dienstag werden die Delegierten das neue CDU-Grundsatzprogramm verabschieden. Damit sei die Partei spätestens im Herbst des nächsten Jahres bereit, wieder Regierungsverantwortung zu übernehmen, sagt Merz. "Maximal vier Jahre Ampel in Deutschland sind genug."

"So viel Gesetze wie nötig, so viel Freiheit und Verantwortung für jeden Einzelnen wie möglich."

Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender

Einer durch Krisen und Kriege zunehmend verunsicherten Gesellschaft soll das Programm nach dem Wunsch von Merz Mut vermitteln. "Die Probleme unserer Zeit sind lösbar", sagt er. Die CDU müsse "zuversichtlich, zukunftsgewandt und vor allem selbstbewusst" sein.

Ein Wort stellt der CDU-Chef in den Mittelpunkt: Freiheit. Den Grünen wirft er vor, "bis in den kleinsten Lebensalltag der Menschen hinein" alles staatlich regeln zu wollen. Für die CDU dagegen gelte: "So viel Gesetze wie nötig, so viel Freiheit und Verantwortung für jeden Einzelnen wie möglich."

Über Koalitionsmöglichkeiten will die Partei bei diesem Parteitag ausdrücklich nicht diskutieren – und macht es dann doch. Wobei es nicht um die Frage geht, mit wem die CDU regieren will – sondern mit wem sie es nicht will.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer verwendet seine Rede weitgehend für eine Absage an die Grünen – mit denen er in Sachsen übrigens gerade koaliert. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann stellt wiederum klar, dass er in keiner Weise mit der AfD kooperieren will. Die Partei dürfe "nicht eine Sekunde" Verantwortung übernehmen. "Das ist unser aller Auftrag."

Klare Abgrenzung von der AfD

Die Rede soll vor allem die Parteiseele wärmen: Merz verurteilt die jüngsten Angriffe auf Politiker verschiedener Parteien. Er verurteilt aber auch islamistische Demonstrationen für das Kalifat, prangert die "irreguläre Migration" nach Deutschland an und bekennt sich zur Forderung nach einer deutschen "Leitkultur". Merz pocht auf eine neue Wirtschafts- und Arbeitspolitik und eine bessere Ausstattung der Bundeswehr: "Frieden entsteht nicht allein durch Friedfertigkeit", sagt er.

Den außenpolitischen Staatsmann traut er sich offenbar zu. Merz fordert mehr Unterstützung für die Ukraine, mehr Zusammenarbeit mit Frankreich und Polen. Die Europäische Union müsse ihre Freiheit verteidigen gegen die Ansprüche des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Scharf grenzt sich Merz auch von den extremen Rechten in ganz Europa, auch von der AfD in Deutschland, ab. "Gegen die Kraft der Zersetzung werden wir uns mit aller Kraft zur Wehr setzen", ruft er.

Diesen Ton hat der CDU-Vorsitzende in den vergangenen Monaten häufiger gesetzt: "Wir nehmen den Kampf auf mit dieser Partei", sagt der CDU-Chef – und lobt unter lautem Applaus den Thüringer CDU-Chef Mario Voigt, der mit AfD-Politiker Björn Höcke diskutiert hat. Merz setzt bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im September auf drei Siege seiner Partei. Nach dieser Passage kommen die Delegierten zum ersten Mal richtig in Fahrt. Mehrmals will Merz zu einem neuen Satz ansetzen, wird aber vom Applaus übertönt.

Noch Überzeugungsarbeit zu leisten

Der Parteivorsitzende hat sich bisher nicht festgelegt, ob er bei der nächsten Bundestagswahl als Kanzlerkandidat von CDU und CSU antreten will. Er hat die Partei nach der desaströsen Bundestagswahl zwar zu neuer Geschlossenheit und passablen Umfrageergebnissen geführt. Trotzdem hat Merz ein Problem: Außerhalb der eigenen Partei stößt er immer noch auf Vorbehalte. Merz ist nicht unbedingt ein Sympathieträger, und er hat zwar viel politische Erfahrung – aber nicht in einem Regierungsamt. Nur 35 Prozent der Deutschen sind laut "Trendbarometer" von RTL und N-TV der Meinung: Merz wäre ein besserer Kanzler als Scholz.

Spricht da am Montagvormittag trotzdem ein möglicher Kanzler? Andeutungen zu seinen persönlichen Ambitionen kommen Merz nicht über die Lippen.

Die eigenen Delegierten weiß Merz am Ende der Rede hinter sich: Es gibt den traditionellen minutenlangen Parteitagsapplaus im Stehen. Als Wahlkämpfer müsste Merz wohl noch deutlich zulegen. Immerhin: Dann kann der CDU-Chef wieder gegen den politischen Gegner austeilen. Das kann er wie gesagt am besten.

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Teaserbild: © dpa / Carsten Koall