Selten gab es einen so umstrittenen Fernsehauftritt: Der AfD-Politiker Björn Höcke diskutierte am Donnerstag bei "Welt TV" mit seinem Thüringer Mitbewerber Mario Voigt (CDU). Kritiker sagten im Vorfeld, das TV-Duell nutze am Ende nur Höcke. Waren ihre Befürchtungen gerechtfertigt?

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Datum: 2023:11:08
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Joshua Schultheis dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es ist eine Frage, die sich viele Journalisten stellen: Wie umgehen mit der AfD? Die einen würden mit Politikern der Rechtsaußen-Partei niemals ein Interview führen, aus Sorge ihnen eine Bühne zu geben. Die anderen argumentieren, dass man die AfD im direkten Gespräch stellen muss, da sie schlicht nicht mehr zu ignorieren ist.

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Die Redaktion der "Welt" entschied sich für letzteres – und ließ den wohl umstrittensten AfD-Politiker im hauseigenen Fernsehsender auftreten. Björn Höcke stellte sich am Donnerstagabend im TV-Duell Mario Voigt (CDU). Bei der Thüringer Landtagswahl im September sind die beiden Konkurrenten. Der Verfassungsschutz stuft Höckes Landesverband als "gesichert rechtsextrem" ein.

Bereits das Zustandekommen der Talkrunde, die von "Welt TV"-Chefmoderatorin Tatjana Ohm und Chefredakteur Jan Philipp Burgard moderiert wurde, war kurios. Höcke forderte Voigt im Januar auf "X" zu einer öffentlichen Diskussion heraus. Voigt ließ sich darauf ein: "Wir schlagen Sie mit guten Argumenten", schrieb er. "Bin sicher, es wird deutlich, was Sie sind: Das Risiko für Wohlstand & Ordnung unseres schönen Thüringens. Termin & Ort folgen."

Kurz darauf stand fest: Die beiden würden sich im Berliner Studio von "Welt TV" am 11. April um 20.15 Uhr duellieren.

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Björn Höcke: EU ist "Wohlstandsvernichter" Deutschlands

Die beiden Moderatoren des Abends, Ohm und Burgard, nannten zu Beginn die Themen, um die es gehen solle – Europa, Migration und Erinnerungskultur –, und kündigten für den nächsten Tag schon mal einen Faktencheck an. Leider blieb das über weite Strecken das schärfste Schwert der Welt-Journalisten gegenüber den Diskutanten: Mehr als einen Faktencheck androhen konnten sie nicht.

Gleich beim ersten Thema zeigte sich, warum das ein Problem ist. Die Diskussionsfrage lautete: "Ist die Europäische Union für Deutschlands Wohlstand verzichtbar?"

Höcke zögert nicht: "Auf jeden Fall!" Die EU sei der "Wohlstandsvernichter" Deutschlands, so der AfD-Politiker. Im Übrigen zeigten aktuelle Zahlen, dass die Briten mit dem EU-Austritt besser dastünden als derzeit Deutschland, und die Thüringer Unternehmer, mit denen Höcke spräche, würde ihm erzählen, dass sie die EU satt hätten.

Voigt kontert mit eigenen Erfahrungen: Ihm würden Unternehmer etwas ganz anderes sagen. Außerdem sei der Brexit für die Briten eindeutig ein wirtschaftliches Desaster. Die EU habe "über 70 Jahre Wohlstand und Frieden in Europa" gebracht, so Voigt.

Und wem soll das Publikum nun glauben? Früh im TV-Duell scheint sich zu bewahrheiten, was Kritiker schon zuvor befürchteten: Dass eine Diskussion wenig Sinn macht, wenn sich mindestens einer der Teilnehmer nur bedingt an Fakten hält.

Schon im Vorfeld wurde heftig über das Duell diskutiert

Seit seiner Bekanntgabe wurde heftig über das TV-Duell diskutiert. Schon allein das Datum löste eine Kontroverse aus: Am 11. April 1945 wurde das KZ Buchenwald in Thüringen von den amerikanischen Soldaten befreit. Sollte man ausgerechnet an diesem Tag einen Politiker im Fernsehen sprechen lassen, der einmal eine "eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte? Für viele ein Tabubruch.

Auch an der Frage, ob das TV-Duell ein journalistischer Coup oder doch eher ein großer Fehler ist, schieden sich die Geister. "Voigt kann in diesem Duell nur verlieren, Höcke nur gewinnen", schrieb etwa der Journalist Christian Buß im "Spiegel". "Entweder bedient der AfD-Mann völkisches Denken und sichert sich so seine Gefolgschaft am rechten Rand, oder er gibt sich rhetorisch gemäßigt, um sich als potenzieller seriöser Landesvater zu empfehlen." Beides, so Buß, wäre eine Katastrophe.

Für das TV-Duell war dagegen der ehemalige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. "Es ist der richtige Weg, die AfD und ihre Vertreter nicht zu Märtyrern zu machen, sondern sie mit Argumenten zu stellen und zu zwingen, konkrete politische Vorschläge zu präsentieren", schrieb er in der "Jüdischen Allgemeinen".

Björn Höcke kommt regelmäßig ins Schlingern

Im Laufe des Duells zeigte sich: Sowohl Befürworter als auch Kritiker des TV-Formats konnten sich am Ende bestätigt sehen.

Tatsächlich kam Björn Höcke regelmäßig ins Schlingern, wenn er mit seinen eigenen Aussagen konfrontiert wurde. Abschiebefantasien für Millionen von Menschen? Will Höcke so nie geäußert haben. Eine Passage aus seinem Buch, in dem er einer SPD-Politikerin mit Migrationshintergrund die Zugehörigkeit zu Deutschland abspricht? Da könne er sich nicht zu äußern, ohne die Stelle erneut zu lesen. Höcke kam zeitweise ganz schön ins Schwitzen.

Andererseits gelang es ihm aber immer wieder, die Moderatoren auszumanövrieren. Als sie ihn fragten, was er mit dem Begriff "Remigration" verbinde, sagte Höcke, es sei doch ein simpler Fakt, dass Menschen auch mal wegzögen. "Wo ist das Problem?" Höcke wollte nichts davon wissen, dass in rechtsextremen Kreisen der Begriff genutzt wird, um millionenfache Abschiebungen zu bezeichnen. Das nennt man erfolgreiche Selbstverharmlosung – und genau das dürfte die Strategie gewesen sein, mit der Höcke in dieses Duell gegangen war.

Ein Triumph war der Abend für den ehemaligen Geschichtslehrer aber nicht. Dafür wirkte er viel zu steif und nervös. Selbst neben einem eher mäßig charismatischen Voigt konnte Höcke nicht glänzen.

Dagegen ging sein Kontrahent mit der Zeit immer mehr in die Offensive – und konnte einige Wirkungstreffer landen. Voigt war insgesamt schlagfertiger, angriffslustiger und besser vorbereitet als Höcke. Am Ende der 90 Minuten – eine halbe Stunde länger als vorher veranschlagt – glaubte der CDU-Politiker schon, den Sieg in der Tasche zu haben: "Wir ändern heute das Bild der Wählerinnen und Wähler", sagte er. Doch es ist zweifelhaft, ob ihm das gelungen ist.

Der Gewinner des Abends liegt im Auge des Betrachters

Dass der Gewinner des Abends im Auge des Betrachters liegt, zeigen die zahlreichen Kommentare auf dem Kurznachrichtendienst "X", die parallel zur Debatte abgegeben wurden. "Mit Sachverstand die Populisten souverän stellen", schrieb der CDU-Bundestagsabgeordnete Paul Ziemiak. Mario Voigt zeige, "wie es geht".

Der AfD-Abgeordnete Hannes Gnauck sieht das ganz anders. "Es war grandios", schrieb er auf "X". Und an die Adresse von Björn Höcke: "Du wirst ein hervorragender Ministerpräsident im September sein."

Am Ende, so scheint es, hat an diesem Abend jeder ein bisschen das bekommen, was er wollte. Ganz besonders gilt das für "Welt TV". So eine Einschaltquote hatte der Sender bestimmt selten.

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