Die CDU will ab 2025 wieder regieren – aber wie? Generalsekretär Carsten Linnemann spricht im Interview über seine Kritik am Bürgergeld, die Hoffnung auf eine Agenda 2030 und seine Sympathie für ein "Genderverbot".
Carsten Linnemann wirkt euphorisch. Mit einem festen Händedruck empfängt der CDU-Generalsekretär unsere Reporter am Donnerstag in seinem Bundestagsbüro. Schon zur Begrüßung denkt er an den nächsten Tag. Da trifft sich die CDU zu ihrer letzten von insgesamt sechs Grundsatzprogramm-Konferenzen. "Kommen Sie auch? Das wird großartig", sagt
Seine gute Laune kommt nicht von ungefähr – und sie hat auch, aber nicht nur mit der programmatischen Neuaufstellung der Partei zu tun. Seit Monaten liegt die Union in allen Umfragen stabil in Führung. Kritik an CDU-Chef
Was aber will die Union den Wählerinnen und Wählern anbieten? Zeit, den Generalsekretär danach zu fragen.
Herr Linnemann, im Regelsatz des Bürgergelds sind pro Tag 6,50 Euro für Lebensmittel und Getränke vorgesehen. Warum ist das aus Sicht der CDU zu hoch?
Carsten Linnemann: Das behauptet die CDU doch gar nicht. Wir kritisieren aber den Anpassungsmechanismus, weil er die Inflation falsch abbildet. Faktisch haben Empfänger innerhalb von zwei Jahren rund 25 Prozent mehr Bürgergeld bekommen. Von so einer Steigerung können Arbeitnehmer nur träumen.
Vorher gab es aber fast keine Erhöhungen.
Ja, weil die Inflation praktisch bei null war. Nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs lag sie dann zuweilen bei knapp zehn Prozent. Da haben wir einer Erhöhung zugestimmt. Im zweiten Jahr hat die Bundesregierung dann aber noch nachgelegt, obwohl die Inflation runterging. Wir finden diese Anpassungen für das komplette Jahr falsch. Wenn die Inflation mitten im Jahr plötzlich steigt, könnte man das Bürgergeld immer noch erhöhen.
Die CDU will das Bürgergeld durch die "Neue Grundsicherung" ersetzen. Warum?
Menschen, die arbeiten können, müssen auch eine Arbeit annehmen. Darum geht es uns. Ansonsten bekommen sie in unserem Modell keine Sozialleistungen. Wer nicht arbeiten kann, muss dagegen noch mehr Unterstützung bekommen. Wir wollen ein gerechtes System. Wer arbeiten kann und das nicht macht, der kann in Zukunft nicht mehr erwarten, dass andere mit ihren Steuern und Abgaben für ihn bezahlen.
Menschen, die hartnäckig Jobangebote ablehnen, haben häufig psychische Probleme oder befinden sich in Lebenskrisen. Ist es da klug, ihnen alle Sozialleistungen zu entziehen? Auch Christian Bäumler vom CDU-Arbeitnehmerflügel warnt: Das CDU-Konzept darf nicht dazu führen, dass Menschen verhungern oder obdachlos werden.
Ich empfehle jedem, Papiere zu lesen, bevor man sich zu ihnen äußert. In unserem Konzept steht explizit, dass Obdachlosigkeit zu vermeiden ist. Außerdem geht es um zumutbare Arbeit. Wer zum Beispiel schwere Schicksalsschläge zu verkraften hat oder schwer krank ist, bekommt keinen Job angeboten. Es geht um Leute, die arbeiten können. Die braucht die Wirtschaft dringend. Zeitungen werden nicht mehr ausgeteilt, Gastronomie und Logistik suchen nach Arbeitskräften. Wir haben 700.000 offene Stellen – und das sind nur die offiziell ausgeschriebenen.
Die konjunkturelle Lage ist trist. Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass der Aufschwung weiter auf sich warten lässt – auch wegen der Sparpolitik des Staates. Warum hält die Wirtschaftspartei CDU trotzdem stur an der Schuldenbremse fest?
Die Schuldenbremse ist für uns eine Frage von Generationengerechtigkeit. Vor allem aber: Neun von zehn Investitionen sind privat. Was die Unternehmen jetzt brauchen, ist Planungssicherheit. Dann wird auch wieder mehr investiert.
Trotzdem: Es entspricht nicht der gängigen Lehrbuchmeinung, in der Krise auch noch die Ausgaben zu kürzen.
Es wäre naiv zu glauben, dass ein Konjunkturpaket – also einfach mehr Geld – ausreicht, um die strukturellen Probleme zu lösen. Das Wachstumschancengesetz der Ampel hat ein Volumen von drei Milliarden Euro, geht die großen Probleme aber nicht an. Dieses Land braucht eine Agenda 2030.
Das klingt nach Ex-Kanzler Gerhard Schröder.
Nein, denn damals ging es nur um den Arbeitsmarkt. Jetzt müssen wir uns breiter neu aufstellen. Bei der Infrastruktur, in der Bildungspolitik, bei der Digitalisierung. Deutschland fehlt ein Ziel. Es gibt keine Vision, wo dieses Land hinwill. Und solange das so ist, verpufft jedes Konjunkturpaket.
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Und Ihre Agenda 2030 soll unter den strengen Vorgaben der Schuldenbremse möglich sein?
Es geht nicht immer nur um Geld. Beispielsweise bei der Infrastruktur: Genehmigungsverfahren dauern zu lange. Da hilft mehr Geld nicht. Das Ziel ist, verkrustete Strukturen aufzubrechen. Wieder flexibler, agiler zu werden. Oder bei der Bildung: Wir müssen in der Grundschule nicht so viel über Digitalisierung reden. Da sollten Grundtechniken wieder viel stärker vermittelt werden: Lesen, Rechnen, Schreiben.
Sie haben einen "Mentalitätswechsel" gefordert. Sind die Deutschen zu bequem geworden?
Nein, das hat nichts mit Bequemlichkeit zu tun, sondern ist ein normaler Prozess: Da, wo der Wohlstand steigt, nimmt irgendwann die Eigenverantwortung ab. Das hat schon Ludwig Erhard festgestellt. Die Politik hat in den letzten Jahren den Eindruck erweckt, dass der Staat alle Probleme mit Geld lösen kann. Das war ein Fehler.
Wie wollen Sie die Eigenverantwortung stärken?
Indem wir Leistung belohnen. Es gibt Arbeitnehmer, die sagen: Ich arbeite gerne drei Stunden pro Woche mehr, weil ich einen zweiten Urlaub finanzieren will. Stellen wir diese Überstunden doch steuerfrei. Anderes Beispiel: Viele Arbeitnehmer gehen von 100 auf null in den Ruhestand. Warum geben wir diesen Menschen nicht die Möglichkeit, weiterzuarbeiten – dafür fallen auf die ersten 2000 Euro monatlich keine Steuern an.
Die Ampel setzt in der Rentenpolitik auf Aktien und nennt das Generationenkapital.
Ich habe mit dem Generationenkapital ein grundsätzliches Problem: Aktien sind gut – aber sie haben in der ersten Säule, also in der Umlage, nichts verloren. Würden Sie einen Kredit aufnehmen und davon Aktien kaufen? Vermutlich nicht, weil es eine Rechnung mit zu vielen Unbekannten ist. Genau das macht aber der Staat. Und das kann nicht funktionieren. Besser wäre es, die Säulen zwei und drei, also die betriebliche und private Vorsorge, attraktiver zu machen.
Das zweite Ziel der Ampel ist es, das Sicherungsniveau in der Rente bei 48 Prozent zu fixieren.
Ich weiß nicht, warum die Ampel jetzt dieses Fass aufmacht. Das Rentenniveau ist ohnehin für die nächsten Jahre gesichert. Mein Eindruck ist: Die Diskussion verunsichert die Menschen nur. Wichtiger wäre, sich jetzt um die zweite und dritte Säule zu kümmern.
Weniger Steuern, mehr Eigenverantwortung, Vorfahrt für Arbeit: Die Union wirkt auf uns wie zur Zeit des Leipziger Parteitags 2003, als ein schneidiges Reformprogramm verabschiedet wurde. Damit ist am Ende fast eine Bundestagswahl verloren gegangen.
Ich sehe uns als Land eher in der Zeit vor Leipzig. 1997 hat Roman Herzog seine berühmte Ruck-Rede gehalten. Von da an hat es noch fünf Jahre bis zur Agenda 2010 gedauert. Reformen werden immer erst dann gemacht, wenn das Land mit dem Rücken zur Wand steht. Das ist jetzt wieder der Fall. Nur, dass es diesmal eben nicht nur um den Arbeitsmarkt geht.
Ihre Schwesterpartei, die CSU, hat in Bayern gerade die Verwendung von gendergerechter Sprache in Schulen, Hochschulen und Behörden verboten. Wie finden Sie das?
Ich finde das richtig. Es gibt in Deutschland einen Rat der deutschen Sprache – und der lehnt Gendersternchen und andere Zeichen weiterhin ab. Daran orientieren wir uns. Man kann Sprache nicht einfach so aufdrücken.
Aber genau das macht man doch mit so einem Verbot. Warum darf nicht jede und jeder selbst entscheiden, wie sie und er spricht?
Natürlich kann jeder reden, wie er will. Wenn wir abends ein Bier trinken gehen würden und Sie den ganzen Abend gendern, habe ich damit überhaupt kein Problem – ich würde mich trotzdem mit Ihnen unterhalten. Niemand will das in Privaträumen kontrollieren. Es geht aber um die Sprache von staatlichen Institutionen. Da bin ich der Meinung: Wenn staatliche Institutionen Gendersprache verwenden, dann spalten sie.
Also wären Sie auch für ein Genderverbot auf Bundesebene?
In staatlichen Institutionen hätte ich kein Problem damit. Ich würde das Gendern aber nicht zum Hauptwahlkampfthema machen. Ich finde es gut, wie Boris Rhein das in Hessen gemacht hat: Der hat es im Wahlkampf nicht groß thematisiert, hat es dann aber in den Koalitionsvertrag geschrieben. Genau so ist das richtig.
Über den Gesprächspartner
- Carsten Linnemann ist seit Juli 2023 Generalsekretär der CDU. Der promovierte Betriebswirt stammt aus Paderborn und ist seit 2009 Mitglied des Bundestags. Von 2013 bis 2021 war er Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU. Neben seinem Amt als Generalsekretär ist er als Vorsitzender der Programmkommission auch für die inhaltliche Neuaufstellung der Partei verantwortlich.
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